VW, BMW und Mercedes unter Druck "Der Abgesang auf die deutschen Autobauer kommt zu früh"
07.09.2023, 11:59 Uhr Artikel anhören
Auf der IAA in München stehen die chinesischen Autobauer in diesem Jahr erstmals im Rampenlicht. Hersteller wie BYD, Saic oder Nio drängen mit aller Macht nach Europa - auch auf den deutschen Markt.
(Foto: picture alliance / SVEN SIMON)
Die chinesischen Elektroautobauer treten auf der diesjährigen IAA sehr selbstbewusst auf. Sind E-Autos von BYD oder Nio westlichen technologisch überlegen? Werden sie Europa überrollen? Und können die deutschen Autobauer, nachdem sie die Elektromobilität anfangs verschlafen haben, noch aufholen? Frank Schwope, Autoexperte und Lehrbeauftragter an der FHM Hannover, sagt, "chinesische Autobauer kommen mit Wucht". Damit spornten sie die deutschen Autobauer aber gleichzeitig auch zu Höchstleistungen an. ntv.de spricht mit ihm über Risiken, Chancen und Herausforderungen für die deutsche Autoindustrie.
ntv.de: Die deutsche Autoindustrie gilt bei E-Autos vielfach als abgehängt. BMW und Mercedes haben jetzt neue Modelle vorgestellt, die weniger Strom verbrauchen und damit hohe Reichweiten erlangen. Ist deutsche E-Mobilität möglicherweise besser als ihr Ruf?
Frank Schwope: Der Abgesang kommt tatsächlich zu früh. Die deutschen Hersteller sind bei der Elektromobilität wahrscheinlich ein Stück weit hinten dran. Aber man muss differenzieren: BMW und Mercedes sind Premiummarken, und Premiumkäufer schwenken nicht so einfach auf eine chinesische Marke um. Xpeng oder Nio nennen sich zwar Premiumhersteller, aber in den Augen der Käufer sind sie es nicht. Die Käufer werden sich eher einen Mercedes, BMW oder einen Porsche vor die Tür stellen, um Nachbarn zu beeindrucken. Den Begriff Premium muss man sich erarbeiten. Audi hat dafür 20 bis 30 Jahre gebraucht. Anders sieht es natürlich bei Massenfahrzeugen aus. Jemand, der ein Standardauto sucht, ist sicherlich froh, wenn er für ein chinesisches Modell bis zu 5000 Euro weniger zahlen muss, vorausgesetzt, das Auto ist vergleichbar.
Die chinesischen Autobauer kommen auf der IAA sehr selbstbewusst daher und ihr Kerngeschäft ist die E-Mobilität. Wie gut sind die chinesischen E-Autos technologisch?
Im Bereich der Elektromobilität sind die Chinesen mindestens gleichwertig mit den etablierten westlichen Herstellern. Batterietechnologie kommt zum großen Teil aus China, BYD ist das beste Beispiel. Ich würde sagen, dass die chinesischen Autobauer auch bei der Software - ähnlich wie Tesla - neue Standards setzen und damit absolut konkurrenzfähig sind. Im Detail muss man die Fahrzeuge natürlich immer fahren und testen.

Frank Schwope ist Lehrbeauftragter für Automobilwirtschaft an der FHM Hannover
(Foto: Frank Schwope)
Die deutschen Autobauer tun sich - bis auf BMW - vor allem in China schwer. Können sie mit ihren neuen Autos auf dem größten Automarkt der Welt Marktanteile zurückgewinnen?
Das wird schwierig. Aber man darf nicht vergessen, dass der chinesische Automarkt immer noch absolut untermotorisiert ist. In China gibt es schätzungsweise 200 Autos auf 1000 Einwohner. In Europa sind es 550 Autos und in den USA über 700 auf 1000 Einwohner. Damit ist der chinesische Automarkt tendenziell auch in den nächsten Jahrzehnten immer noch ein großer Wachstumsmarkt. Die Absatzzahlen der westlichen Hersteller können also wachsen und ihre Marktanteile trotzdem sukzessive schrumpfen.
Da ist eine gute Strategie gefragt. VW hat sich in China für 700 Millionen Euro mit knapp fünf Prozent an Xpeng beteiligt. Ist das aus Ihrer Sicht ein Offenbarungseid oder ein geschickter Schachzug?
Einen Offenbarungseid würde ich es nicht nennen, aber es ist ein Bekenntnis zu China und zu chinesischer Technologie. Wenn man sich in China an einem perspektivisch vielversprechenden Unternehmen beteiligt, kann das eine deutliche Wertsteigerung des Anteils bedeuten. VW wird sicherlich künftig von gemeinsam entwickelten Fahrzeugen profitieren. Volkswagen ist übrigens nicht nur an Xpeng beteiligt, sondern unterhält auch Joint Ventures mit SAIC, JAC und FAW.
Chinesische Autobauer wie BYD oder Nio wollen mit aller Macht in Europa Fuß fassen. Mit Verbrennern ist ihnen das nie gelungen. Wie stehen die Chancen bei E-Autos?
Ich gehe fest davon aus, dass die chinesischen Hersteller den europäischen Markt mit Elektroautos fluten werden, wenn keine protektionistischen Maßnahmen ergriffen werden. Um sich die Dimension zu vergegenwärtigen, ist es ganz interessant, zurückzuschauen: In den 1960er, 1970er Jahren kamen acht japanische Hersteller nach Europa, um zu bleiben. Und in den 80er, 90er Jahren kamen drei koreanische Hersteller, von denen sind zwei geblieben. Die Chinesen waren 2003 erstmals mit Verbrennern auf der IAA, sind damit aber kläglich gescheitert. Und jetzt, 20 Jahre später, haben wir eine Welle von 20, vielleicht auch mehr als 30 chinesischen Elektroautoherstellern, die ihre Autos breit ausrollen und Marktanteile erobern wollen. Das ist eine Wucht.
Apropos Wucht, rechnen Sie mit protektionistischen Maßnahmen?
Ich glaube, der Ruf danach wird größer werden. Aber die chinesischen Hersteller können das natürlich umgehen, wenn sie hier Produktionsstätten errichten. Es gibt bereits Gerüchte über das Ford-Werk in Saarlouis im Saarland, das geschlossen werden soll und möglicherweise in den nächsten Jahren von BYD übernommen wird. Es sind Gerüchte, aber man kann sich sehr gut vorstellen, dass die Chinesen, ähnlich wie Tesla in Grünheide, in Europa Werke für Elektroautos errichten.
Die deutschen Autohersteller müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, zu lange auf Verbrenner gesetzt zu haben. Haben wir die Transformation zur E-Mobilität am Ende BYD, Nio und Co. zu verdanken?
Absolut. Die Chinesen haben schon vor Jahren erkannt, dass sie im Bereich Verbrennungsmotor nicht viel reißen können, deshalb haben sie auf Elektro-Fahrzeuge gesetzt. Die Chinesen haben viel Know-how und Manpower investiert in die Elektromobilität, damit bedrängen sie die etablierten westlichen Hersteller, die dadurch auch zu neuer Höchstleistung angespornt werden.
Der Volkswagen-Konzern hat kürzlich für Schlagzeilen gesorgt, als er Tesla in Deutschland die Marktführerschaft wieder abgejagt hat. Wie sind die deutschen E-Autos im Vergleich zu Tesla aufgestellt?
Tesla hat sich mittlerweile sehr stark etabliert. Dieses Jahr wird das Unternehmen wahrscheinlich 1,8 Millionen Autos bauen, das ist eine Hausnummer. Dass Tesla rein auf Elektromobilität setzt, ist dabei von großem Vorteil. Dagegen wollen die etablierten westlichen Hersteller verständlicherweise ihre alte Verbrennertechnologie so lange wie möglich melken und damit immer noch Höchstpreise erzielen. Auch wenn sie nach und nach auf Elektromobilität umschwenken, wird Tesla in den kommenden Jahren der Platzhirsch beziehungsweise einer der größten Elektroauto-Anbieter in Europa bleiben.
Der Marktanteil der deutschen Autobauer in den USA ist noch unbedeutend. Die Amerikaner haben bei E-Mobilität einen Rückstand zu den Europäern von zwei bis drei Jahren. Außerdem gibt es aufgrund der Spannungen mit Peking keine chinesische Konkurrenz. Bietet das eine Chance, in den USA Marktanteile zu gewinnen?
Die USA sind mit rund 17 Millionen Autos pro Jahr der zweitgrößte Absatzmarkt der Welt. Da lassen sich natürlich auch Elektroautos verstärkt besser verkaufen, insbesondere in Vorreiterstaaten wie Kalifornien. Nicht nur für die Premiumhersteller BMW, Mercedes und Audi bietet sich da eine Chance, sondern auch für Volkswagen.
Mit Frank Schwope sprach Diana Dittmer
Quelle: ntv.de