Wirtschaft

Kriege, Krisen, Werbegags "Deutsche Autoindustrie wird Gewinner 2020"

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Autoexperte Helmut Becker geht davon aus, dass die Talsohle erreicht ist. Die deutsche Automobilindustrie könnte der große wirtschaftliche Gewinner des Jahres werden.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Brexit naht, der Handelskrieg zwischen den USA und China dauert ebenso an wie die Konjunkturabkühlung. Politische Spannungen drücken ebenfalls auf die Stimmung der Autoindustrie. 2020 wird ein spannendes Autojahr. Experte Helmut Becker verrät ntv.de die Gründe und wagt eine Prognose.

ntv.de: 2019 war ein "Horrorjahr" für die Automobilindustrie. Der Branchenverband VDA meldet dennoch mehr Neuzulassungen auf dem deutschen Automobilmarkt als noch 2018. Alles gut also im Autoland Deutschland?

Helmut Becker: Nein, im Gegenteil. Der schöne Schein trügt. Richtig ist, dass 2019 3,6 Millionen Neuzulassungen registriert wurden und damit fünf Prozent mehr als 2018. Das ist zwar das drittbeste Ergebnis seit der Wiedervereinigung. Allerdings waren dafür auch Sonderfaktoren mitverantwortlich, etwa mehr Arbeitstage. Gleichzeitig macht der Inlandsmarkt nur noch für 15 Prozent des Gesamtabsatzes der deutschen Autohersteller aus. Über 80 Prozent werden dagegen im Ausland direkt oder über den Export realisiert.

Und wie sieht es da aus?

Ganz klar: mau. Der Export 2019 ist um 13 Prozent auf 3,5 Millionen Autos eingebrochen, die Produktion um fast 10 Prozent auf 4,7 Millionen Fahrzeuge. Das ist der schlechteste Wert seit 20 Jahren.

Sind das Vorboten für ein weiteres schlechtes Jahr für die Branche?

Wie man es nimmt: Das Niveau aller Schlüsselzahlen wie Produktion oder Export bleibt niedrig, das ist gewiss. Allerdings bleibt als Trost, dass wir die Talsohle 2020 wohl erreicht haben. Es wird also nicht noch schlimmer. Der Schmerz der Branche bleibt, nur die Pein wird nicht noch größer. Entspannung oder Genesung sind deshalb nicht in Sicht.  

Welche Themen dürften die Nachrichten aus der Automobilindustrie 2020 bestimmen?

Neue Themen fallen mir nicht ein - alle Marterwerkzeuge für die Branche liegen auf dem Tisch: Ökologie und Abgasemissionen, politische Risiken, Brexit, Handelskriege, miese Konjunktur - vor allem in China. Die Gewinne schrumpfen, der Beschäftigungsabbau setzt sich fort. Dazu ganz klar die Fahrt ins Risiko beim Thema Elektromobilität. Und auch Tesla wird ein Thema bleiben.

Eine Menge Holz, das die automobilen Konzernlenker bohren müssen. Worauf sollten die Manager besonders achten? Worauf kommt es an?

Gefragt sind Manager mit Erfahrung. Und Geduld, keine Hektik. Sie sollten sich auf die alten, konservativen Geschäftsgrundsätze ehrbarer Kaufleute besinnen. Das klingt zwar komisch und ist auch über Harvard und Consulting-Lehrbücher nicht zu erlangen, wohl aber durch eine geradlinige Erziehung und solide Ausbildung. Familienunternehmen kommen diesem Ideal immer noch am nächsten. "The trend is your friend", nicht die kurzfristige Gewinnmaxi- oder Kostminimierung. Weitsicht, Voraussicht und solide Arbeit sind gefragt. Wunderheiler sind fehl am Platz.

2019 setzten mehrere Autokonzerne und Zulieferer bereits auf Kurzarbeit. Auch Stellenabbau war ein Thema. Wird sich diese Entwicklung im laufenden Jahr verschärfen?

Vorerst einmal ein eindeutiges Ja, denn der Arbeitsmarkt ist ein konjunktureller Nachläufer. Das heißt, dass wir in den kommenden Monaten noch eine Verschlechterung sehen werden - auch wenn sich in vielen Auftragsbüchern der Branchenunternehmen bereits eine Konsolidierung abzeichnet. Das wirkt sich aber noch nicht direkt auf die Produktion und die Beschäftigung aus. Ich gehe davon aus, dass erste Anzeichen einer Konsolidierung am Arbeitsmarkt frühestens im Frühsommer erkennbar sein werden.

Welchen Hersteller oder Zulieferer könnte es am härtesten treffen?

Namen will ich nicht nennen. Aber ganz pauschal gilt: die am schwächsten aufgestellten Hersteller und Zulieferer, etwa in Bezug auf ihr Produktportfolio, die globale Diversifikation und natürlich auch finanziell. Geld ist zwar billig, aber eben nicht für jeden verfügbar. Banken wollen schließlich auch Geschäfte machen. Festzuhalten gilt, dass alle Großen wie Conti, ZF oder Bosch auf Zulieferseite überlebensfähig sind. Für das eine oder andere kleinere Unternehmen wird es dagegen eng werden.

Die Autobauer PSA und Fiat Chrysler haben Ende 2019 die Fusion beschlossen. Könnten 2020 weitere Zusammenschlüsse in der Branche anstehen? Wer sind für Sie mögliche Kandidaten?

Dass weitere Zusammenschlüsse kommen, ist absolut sicher. Wann sie kommen, ob 2020 schon, hängt von vielen nicht prognostizierbaren Faktoren ab. Ich habe zwar solide Vermutungen, möchte dazu aber nichts sagen.

Warum schließen sich PSA und FCA eigentlich zusammen?

Weil beide schwach sind. Für Fiat Chrysler gilt das in allen Belangen. Die Opel-Mutter PSA braucht zumindest Wachstum und Volumen, um sich am Weltmarkt behaupten und im Konzert der Großen mitspielen zu können. PSA ist im Gegensatz etwa zu BMW mit Rover oder Daimler einst mit Chrysler bei einer Fusion auch bisher noch nicht auf die Nase gefallen. Beide erhoffen sich Kostensenkungen und Synergieeffekte - gerade in Zeiten zweistelliger Milliardeninvestitionen in automobile Zukunftsthemen.

... wie die Elektromobilität. Schafft das E-Auto denn 2020 endlich den politisch lang ersehnten Durchbruch hierzulande?

Klare Antwort: Nein. Wie sollte es auch? Nur weil VW und Tesla unentwegt neue Fabriken bauen oder umrüsten, kaufen die Kunden in der Masse - und auf die kommt es an - noch lange keine Elektroautos. Das galt bisher und wird sich auch 2021 nicht ändern. Noch nicht. Vielleicht danach.

Was spricht gegen Elektroautos, was dafür?

Die Nachteile von E-Autos sind 2020 für Normalverbraucher die gleichen wie in den letzten Jahren: Elektroautos sind zu teuer, haben zu geringe Reichweiten, sind zu unkomfortabel im Handling - Stichwort Ladedauer und Ladepunkte. Und alle starren heute auf den Absatz neuer E-Autos. Was ist aber mit dem Wiederverkaufswert, wenn ein Satz Ersatzbatterien ein Drittel des Neuwagenkaufpreises ausmacht? Was kostet die Entsorgung der Batterien? Alles ungelöste Fragen, die aber zentral den Gelbeutel der privaten Autokäufer berühren.

Bleibt noch ein Blick voraus: Wo steht die deutsche Automobilindustrie Ende 2020?

Helmut Becker schreibt für ntv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Helmut Becker schreibt für ntv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

In ihrer Substanz wird sie dann stärker geworden sein, als sie heute ist. Das Angebot an alternativen Antrieben wird weltweit das umfangreichste und beste sein, was es global gibt: Verbrenner in jeder Schattierung, Batterie-Elektro, Hybride, Gas, Wasserstoff und so weiter. Alles, was ein Auto zum Rollen bringt, hat die deutsche Autoindustrie im Angebot. Das hat sonst niemand, auch nicht Tesla. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie wird also besser sein, nicht schlechter. Und sie wird reumütig zum Verbrenner zurückkehren, weil synthetische Treibstoffe und Wasserstoff für Verbrennermotoren zunehmend ins Blickfeld rücken - auch ins politische. Alles in allem könnte die deutsche Automobilindustrie in der Substanz 2020 einer der großen Gewinner sein. Sie geht gestärkt aus der derzeitigen Krise hervor. Die nächste Markterholung kommt bestimmt. Die Welt will nicht zu Fuß gehen.

Wird es Tesla Ende 2020 noch geben?

Fragen Sie mich etwas Leichteres. Wenn es nach der brandenburgischen Landesregierung geht: Ja. Alles andere wäre reine Spekulation.

Mit Helmut Becker sprach Thomas Badtke

Quelle: ntv.de

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