
Die Sorge vor einem erneuten Lockdown wächst. Auch der Mittelstand fordert nun eine Impfpflicht, der Ferienwohnungsverband FEWO will Impfgegner sogar ausschließen. Eine Pflicht würde allerdings so manchen ungeimpften Kunden auf den Schwarzmarkt treiben.
In zahlreichen Unternehmen ist die Angst vor einem nächsten Lockdown offensichtlich groß: Nun kommen selbst aus der Wirtschaft Rufe nach einer allgemeinen Corona-Impfpflicht, und sie werden lauter. Nach Meinung des Mittelstandsverbands BVMW führt kein Weg mehr daran vorbei. Sogar der Einzelhandel fordert eine Pflicht, obwohl ihn dies einige Kunden kosten dürfte. Bisher hatte die Branche vor allem betont, kein Pandemie-Treiber zu sein.
Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger ist einer Impfpflicht ebenfalls nicht abgeneigt. Arbeitgeber setzten auf Dialog und Überzeugung, teilt Dulger auf ntv.de-Anfrage mit. "Daher ist eine gesetzliche Impfpflicht immer nur die zweitbeste Lösung; sie darf aber nicht von vornherein ausgeschlossen werden", so der Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Im Sommer hatten die Arbeitgeber eine Verpflichtung noch abgelehnt; sie scheuten unter anderem die Kontrollen.
Doch inzwischen setzen etwa auch Friseure auf eine Impfpflicht. Diese sei zwar eine schwierige Entscheidung, gibt die Präsidentin des Zentralverbands des deutschen Friseurhandwerks, Manuela Härtelt-Dören, gegenüber ntv.de zu bedenken. Doch aus Unternehmerinnen-Sicht sei sie für eine allgemeine Impfpflicht oder zumindest eine Pflicht in den körpernahen Dienstleistungen. "Wir müssen ja irgendwie vorankommen", sagt die Chefin von Friseur Härtelt in Göttingen mit Blick auf die hohe vierte Corona-Welle.
Neuer Haarschnitt in dunklen Ecken
"Jetzt haben wir wieder einen Flickenteppich in den Bundesländern mit 2G und 3G", beklagt Härtelt-Dören. Für ihre Salons in Niedersachsen rechnet sie mit einer 2G-plus-Regel für Kunden ab Mittwoch, also Zugang nur geimpft oder genesen plus Testpflicht. "Wir müssen dann jeden vor dem Laden testen und außerdem ungeimpfte Mitarbeiter. Das ist ein wahnsinniger Aufwand - es wäre besser, wenn alle Mitarbeiter geimpft wären."
Eine Impfpflicht für die Kunden, wie sie in manchen Bundesländern mit 2G de facto bereits gilt, führt laut der Verbandschefin allerdings nicht dazu, dass Ungeimpfte nicht mehr zum Friseur gehen. Statt im Salon lassen sich viele "in dunklen Ecken" die Haare schneiden, also schwarz, wie Härtelt-Dören berichtet. Das habe sich schon im Lockdown gezeigt, als alle Salons geschlossen waren. "Profis erkennen, ob die Frisur von einem Profi stammt."
Ein erneuter harter Lockdown - gerade in der Weihnachtszeit, in der sich die Auftragsbücher nun wieder füllten - wäre der Verbandspräsidentin zufolge der "Todesstoß" für zahlreiche Friseure. Beim vergangenen Lockdown hätten die Soforthilfe-Richtlinien für viele Betriebe nicht gegriffen. Falls diese nun noch einmal auf ihre Rücklagen zurückgreifen müssten, "werden das viele wirtschaftlich nicht überleben". Schon 2G bedeute finanzielle Einbußen.
FEWO: Impfgegner provozieren Lockdown
Auch in anderen Branchen sind die Existenzängste zurück. BVMV-Bundesgeschäftsführer Markus Jerger warnt: "Müssten Betriebe und Einzelhandel im so wichtigen Weihnachtsgeschäft erneut zwangsweise schließen, hätten wir den wirtschaftlichen Super-GAU: Ganze Branchen wären betroffen, und sehr viele mittelständische Unternehmen würden einen erneuten Lockdown wirtschaftlich nicht überleben." Eine Impfpflicht käme zwar zur Bekämpfung der vierten Welle zu spät, verschone die Menschen und die Wirtschaft aber vor Schlimmerem. "Angesichts der dramatischen Pandemie-Entwicklung kann nur so ein drohender Lockdown abgewendet werden."
Der Verband der Eigentümer von Ferienwohnungen und Ferienhäusern (FEWO) will Mitglieder, die öffentlich ihre Impfgegnerschaft propagieren, ausschließen. "Wer Impfungen ablehnt und dies im Zusammenhang mit seiner Eigenschaft als Vermieter einer Ferienwohnung oder eines Ferienhauses über unsere öffentlichen Kanäle propagiert, schadet den satzungsmäßigen Verbandszielen und wird ausgeschlossen", teilt Fewo-Präsident Daniel Rousta mit. Zudem fordert er die nächste Bundesregierung auf, eine allgemeine Impfpflicht einzuführen. "Wer Impfgegner ist, provoziert den nächsten Lockdown. Und der Schaden trifft uns alle - auch diejenigen, die sich in jeder Situation der letzten knapp zwei Jahre solidarisch verhalten haben."
Das sehen allerdings nicht alle in der Branche so. Der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft verweist gegenüber ntv.de auf die Politik. "Das Thema Impfpflicht ist nicht in erster Linie eine wirtschaftspolitische, sondern eine gesamtgesellschaftliche Frage, die die Politik entscheiden muss", findet Generalsekretär Michael Rabe. "Generell muss für alle möglichen Maßnahmen der Grundsatz gelten, dass diese geeignet, erforderlich und angemessen sind."
IW-Chef verlangt Klarheit - und zwar schnell
Auch Arbeitgeber-Präsident Dulger stellt klar: "Die Wirtschaft kann der Politik diese Entscheidung allerdings nicht abnehmen." Trotz vierter Welle bleibt eine Pflicht zur Impfung eine heikle Entscheidung - einige Branchenverbände wollen sich gar nicht dazu äußern. Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges hatte vor kurzem "Zeit Online" gesagt: "Wie in der Gesellschaft gibt es dazu in unserer Branche unterschiedliche Auffassungen."
Das Wichtigste für die Wirtschaft ist in der Regel Klarheit und damit Planungssicherheit. So drängt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) die Politik zu einer raschen Entscheidung über eine Impfpflicht. "Die geschäftsführende Regierung und die Ampelkoalitionäre sollten schnellstmöglich klären, ob und in welchem Umfang eine Impfpflicht in Frage kommt", fordert IW-Direktor Michael Hüther. Impffortschritte seien Voraussetzung für ein kräftiges Wachstum der deutschen Wirtschaft im kommenden Jahr. Erneute Lockdowns gelte es unbedingt zu vermeiden.
Die Pandemie und damit einhergehende Transport- und Produktionsprobleme belasten die Wirtschaft nach wie vor. Im laufenden Jahr wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach Einschätzung des IW um 2,5 Prozent zulegen. Im kommenden Jahr werde - bei raschen Impffortschritten - die Wirtschaft um 4,0 Prozent wachsen.
Aus der Politik mehren sich die Forderungen nach einer allgemeinen Impfpflicht schon länger. Für Kliniken und Heime will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil eine Pflicht noch vor Weihnachten einführen. Sie könnte als Blaupause für eine allgemeine Impfpflicht dienen.
Quelle: ntv.de, mit dpa