Sanierungsquote von fast null "Es wird im Sommer schwere Probleme im Bau geben"
22.02.2024, 17:05 Uhr Artikel anhören
Wird nicht saniert, wird auch nicht gearbeitet - viele Arbeitsplätze sind bedroht.
(Foto: picture alliance / SvenSimon)
Leipzig, Chemnitz und Dresden sind die energieeffizientesten deutschen Städte. Dreimal Ostdeutschland, dreimal Sachsen. Das ist das Ergebnis einer Auswertung, die der Bundesverband energieeffiziente Gebäudehülle (BuVEG) durchgeführt hat. Kann sich Sachsen bei der Wärmewende also zurücklehnen? Ostdeutschland sei weiter als der Westen, sagt BuVEG-Chef Jan Peter Hinrichs im "Klima-Labor" von ntv. Doch die Ursache liegt Jahre zurück: die große Sanierungswelle nach der Wende. Tatsächlich kommt Deutschland bei energetischen Sanierungen kaum voran. Die Sanierungsquote steuert auf null zu. Letzte Rettung ist für Hinrichs ein Förderbonus für Bewohner besonders schlechter Gebäude, damit die das Problem von sich aus angehen. Denn Deutschland hat ein Datenproblem, sagt er: "Wir wissen gar nicht, welche Gebäude wir eigentlich haben."
ntv.de: Was machen Leipzig, Chemnitz, Dresden oder Sachsen bei energetischen Sanierungen besser als der Rest von Deutschland?
Jan Peter Hinrichs: Das kann man nicht genau beantworten, denn unsere Auswertung war keine wissenschaftliche. Das Immobilienportal Immoscout24 hat sich für uns 375.000 Angebote in deutschen Städten angeschaut und die Energieeffizienzklassen überprüft. Das Ergebnis ist ein Indikator dafür, was im Angebot ist und was nicht.

Jan Peter Hinrichs ist Geschäftsführer des Bundesverbands energieeffiziente Gebäudehülle. Der BuVEG setzt sich dafür ein, "dass die Gebäudehülle politisch in Berlin vertreten ist".
(Foto: BuVEG)
Sie haben die Auswertung zum dritten Mal durchgeführt. Stehen immer ostdeutsche Städte an der Spitze?
Ja, die schneiden kontinuierlich gut ab, denn nach der Wende wurde sehr viel Geld in Sanierungen investiert. Das gilt speziell für die Ballungsgebiete, auf dem Land sieht es wahrscheinlich genau andersherum aus.
Es geht aber nur um Immobilien, die aktuell zum Verkauf stehen oder gemietet werden könnten?
Genau. Anders hätte man keinen Zugriff. Das ist ein großes Problem in Deutschland: Wir wissen gar nicht, welche Gebäude wir eigentlich haben. Bei Mehrfamilienhäusern wissen wir einigermaßen, wo sie stehen und wie sie aussehen. Bei den Einfamilienhäusern wissen wir, dass es sie gibt. Wir wissen ungefähr, welche Energieeffizienz sie haben, aber wir wissen nicht, wo sie stehen.
Wie bitte?
Das ist das übliche Problem: Es fehlen Daten. Nur Gebäude, die vermietet werden, benötigen einen Energieausweis. Das sind überwiegend Mehrfamilienhäuser. Bei den Einfamilienhäusern liegt meistens keiner vor.
Dort wissen nur die Bewohner, wie gut oder schlecht die Gebäudehülle ist?
Nein, auch die können in vielen Fällen nicht sagen, ob sie - energetisch gesehen - ein gutes oder ein schlechtes Gebäude haben und viel oder wenig Gas verbrauchen. Das ändert sich erst, seit die Energiepreise gestiegen sind. Das sehen wir auch in den Auswertungen der Ministerien: Gerade der Ein- und Zweifamilienhaus-Bereich hat die schlechtesten Energieeffizienzklassen. Das ist bei den Mehrfamilienhäusern eher selten der Fall, die ostdeutschen haben nach der Wende wenigstens einen Sanierungszyklus erlebt und eine relativ gute Gebäudehülle.
Wie könnte man diese "Blackbox" der Ein- und Zweifamilienhäuser auf dem Land öffnen? Das wäre für die politische Planung nicht unwichtig.
Das wäre sogar sehr wichtig, denn man muss gerade den Menschen mit schlechteren Gebäuden ein attraktives Angebot für die energetische Sanierung machen. Es sei denn, man möchte das Pferd von hinten aufzäumen, und sagt: Wir bieten den schlechtesten Gebäuden etwa 15 Prozent mehr Förderung an. Dann wäre jeder daran interessiert zu zeigen, dass man in einem schlechten Gebäude lebt.
Wäre denn noch Zeit, die Daten zu erfassen? Oder sind wir bei der Wärmewende bereits an einem Punkt angelangt, wo wir sagen sollten: Es ist unerheblich, wie der Bestand aussieht.
Es muss ein Anreiz geschaffen werden, dass saniert wird. Dann kann man einen Energieberater hinschicken, der einen Sanierungsfahrplan aufstellt und die Werte erfasst. Diese Chance sollte man für die Datenerhebung nutzen. Anders wird es aus zeitlicher Sicht nicht mehr funktionieren. Wir haben nicht 1990, sondern 2024 und müssen in sechs Jahren Klimaschutzziele erreichen. Das ist sportlich.
Um zurück auf die erste Frage zu kommen: Man kann aus der Auswertung nicht ablesen, ob Leipzig, Chemnitz oder Dresden eine besonders gute Wohn- und Gebäudepolitik machen?
Nein, die Auswertung hat in der Hinsicht keine Aussagekraft.
Können sich die drei Städte trotzdem zurücklehnen, weil sie die Wärmewende bereits so gut wie geschafft haben? Oder sind das die effizientesten unter vielen ineffizienten Städten?
Das Energieeffizienzniveau der drei Städte ist nicht so, dass wir sagen würden: Das reicht. Sie müssen weitermachen. Bei der Auswertung werden wie erwähnt auch nur Gebäude erfasst, die im Angebot sind. Aber Sachsen und Ostdeutschland sind einen großen Schritt weiter, speziell, wenn man sie mit Nordrhein-Westfalen vergleicht: NRW-Städte werden noch über Jahre die letzten Plätze belegen.
Die Auswertung umfasst 50 Städte. Unter den letzten zehn Plätzen befinden sich mit Bochum, Neuss, Oberhausen, Dortmund, Hagen, Leverkusen und Solingen gleich sieben Städte aus NRW.
Der Gebäudebestand von NRW ist nicht gut. Normalerweise müsste es dort eine Sanierungswelle geben, wie in Ostdeutschland nach der Wende. Es gibt tatsächlich einen Worst-Performing-Building-Bonus, der besagt: Wenn ihr nachweisen könnte, dass ihr ein schlechtes Gebäude habt, wird die Sanierung besonders gefördert. Das gilt aber nur für eine Komplettsanierung. Für Einzelmaßnahmen war die Förderung auch angedacht, wurde aber nicht umgesetzt.
Diesen Bonus sollten wir ausweiten?
Das wäre eine Möglichkeit. Ich würde eher die steuerliche Förderung erhöhen, damit man seine Investitionen besser von der Steuer absetzen kann. Das geht bereits. Mit einer Erhöhung könnte man die Sanierung unkompliziert noch attraktiver machen.
Ist der sinkende Immobilienwert gar kein Anreiz für die energetische Sanierung?
Dieses Interview ist eigentlich ein Podcast, den Sie auch anhören können.
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Wenn Sie in einem Einfamilienhaus leben, das Sie nicht verkaufen wollen, ist der Immobilienwert irrelevant. Wir haben einen Bestand von 21 Millionen Gebäuden in Deutschland, darunter sind 15 bis 16 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser. Für Gebäude, die nicht vermietet werden, ist der Immobilienwert kein Treiber.
Im vergangenen Sommer haben Sie einen Brandbrief an die Bundesregierung geschrieben, weil die Sanierungsquote damals bei unter einem Prozent lag und zurückging. Hat sich die Lage verbessert?
Die Sanierungsquote ist weiterhin rückläufig. Zuletzt lag sie bei 0,72 Prozent. Irgendwann ist der Boden erreicht. Wenn wir unsere Klimaziele erfüllen wollen, müssten wir laut den großen Studien 1,4 bis 1,6 Prozent erreichen.
Die Politik hat nicht auf den Brandbrief reagiert?
Doch. Es gab einen großen Baugipfel, wo viele Dinge ins Schaufenster gestellt wurden. Aber nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts hatte die Regierung andere Sorgen und hat einen großen Teil des 14-Punkte-Plans einfach gestrichen. Darunter war bedauerlicherweise auch die Verbesserung der Sanierungsförderung. Das Ergebnis sieht man in den Zahlen: Es werden kaum noch Anträge für energetische Sanierungen gestellt. Gerade die hätten allerdings den starken Rückgang im Neubau kompensieren können. Ich gehe fest davon aus, dass wir im Sommer schwere Probleme im gesamten Bau bekommen werden.
Mit Jan Peter Hinrichs sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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Quelle: ntv.de