Wirtschaft

Fundament "jeden Tag schwächer"Techriesen laufen im KI-Boom in die Cash-Klemme 

19.11.2025, 16:16 Uhr imageHannes Vogel
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Amazon "US-East-1" ist ein Rechenzentrum-Region von Amazon Web Services (AWS) in Nord-Virginia, das eine der ältesten und wichtigsten AWS-Regionen ist. (Foto: REUTERS)

Der Tech-Ausverkauf folgt einer Trendwende: Statt aus der Portokasse müssen Meta, Oracle & Co. den KI-Ausbau zunehmend über Schulden finanzieren. Dadurch wird das Crash-Risiko immer weiter in der Wirtschaft verteilt. Einige Vehikel wecken dabei böse Erinnerungen.

OpenAIs "Stargate"-KI-Rechenzentrum im texanischen Abilene, am Rande des Nirgendwo, zwei Autostunden westlich von Forth Worth, beeindruckt nicht nur logistisch. Allein für die Bauarbeiter wurde ein temporärer Parkplatz mit 5000 Plätzen aus dem Boden gestampft. Schließlich entsteht hier nichts weniger als der bislang größte Supercomputer der Weltgeschichte - mit gut einer halben Million KI-Chips und dem Stromverbrauch von mehreren Millionen Haushalten.

Das erste Gebäude ist bereits seit September online. Doch nicht nur beim Baufortschritt stellt OpenAIs KI-Initiative alles in den Schatten. Mit ihren nächsten beiden "Stargate"-Serverfarmen anderswo in Texas und bei Milwaukee in Wisconsin sprengen OpenAI und Oracle auch alle finanziellen Rekorde: 38 Milliarden US-Dollar haben Banken dafür zusammengelegt. Das Finanzierungsvolumen ist so gewaltig, dass neben JPMorgan und Mitsubishi mehr als 30 Finanzriesen an dem Konsortium beteiligt sind, darunter Goldman Sachs, BNP Paribas und Société Générale.

Der fünfjährige Megakredit namens Jacquard ist der bisher größte Schuldendeal der KI-Revolution. Und das bisher deutlichste Zeichen einer Trendwende: "Was einst eine ganz einfache Story war, wird plötzlich um einiges komplizierter", zitiert "Fortune" die Chefvermögensverwalterin von Morgan Stanley, Lisa Shalett. In einer Abwärtsphase sei man zwar nicht. Die Fundamente des KI-Booms würden aber "von Tag zu Tag schwächer und schwächer".

Denn bisher haben Meta, Google, Amazon und Co. das KI-Wettrüsten aus eigenen Mitteln gestemmt. Doch nun stoßen sie an ihre finanziellen Grenzen. Die Finanzlast ist so riesig, dass sie sich verschulden oder private Großinvestoren anzapfen müssen. Zudem setzen sie dabei immer mehr auf Finanzalchemie und Schuldenakrobatik, die böse Erinnerungen an die Finanzkrise wecken. Die Risiken der KI-Blase werden damit zunehmend in der US-Wirtschaft verteilt. Sollte es zum Knall kommen, könnte die Schockwelle daher längst nicht mehr nur das Silicon Valley erschüttern. Sondern auch den Finanzsektor und die Mainstream-Wirtschaft.

Schuldenschock erschüttert das KI-Fundament

Die Investoren werden deshalb immer nervöser. Bereits seit mehreren Tagen läuft an den Börsen ein Tech-Ausverkauf. Dieser ist nicht nur auf die völlig von der Realität entkoppelten Bewertungen und die wachsende Erkenntnis zurückzuführen, dass viele KI-Investments Kreisgeschäfte sind, die die Blase zusätzlich aufpumpen. Hinzu kommt der wachsende Schuldenberg der KI-Firmen.

Blue Owl Capital steht dafür wie kein anderes Unternehmen. Noch vor wenigen Jahren hat die Finanzfirma Geld an Tiefkühlbäcker, Whiskybrennereien oder Pumpenhersteller verliehen. Nun strickt sie Milliardenfinanzierungen für KI-Rechenzentren. Auch das Geld für OpenAIs erstes "Stargate"-Flaggschiff in Abilene hat Blue Owl Capital besorgt. Mit einem Vermögen von fast 300 Milliarden Dollar spielt der Asset Manager für alternative Investments inzwischen in der gleichen Liga wie mittelgroße US-Banken oder Finanzfirmen wie American Express.

Die Firma, die längst auch an der New Yorker Börse gehandelt wird, dreht mittlerweile also ein großes Rad. "Spielen die Zahlen überhaupt noch eine Rolle, wenn wir in den kommenden Jahren bei Investitionen von einer Billion Dollar landen?" schüttelt einer der Gründer Bedenken angesichts der KI-Risiken dennoch lässig im "Wall Street Journal" (WSJ) ab.

Kein Wunder, denn seine Kunden machen es genauso. Auch für Mark Zuckerberg hat Blue Owl kürzlich einen Megadeal geschnürt: die Finanzierung von Metas größtem "Titanen", dem Rechenzentrum "Hyperion". Es ist so groß wie Manhattan und hat einen Stromverbrauch von zwei Atomkraftwerken. Es entsteht im ländlichen Louisiana. Drei Milliarden Dollar davon kommen von Blue Owl. Die restlichen 27 Milliarden Dollar stammen aus Schulden von Pensionsfonds und anderen Großinvestoren. Laut der Zeitung ist es der größte private Schulden-Deal aller Zeiten.

In Metas Büchern findet sich trotzdem keinerlei Spur des gigantischen Kredits. Für die Finanzierung wurde nämlich extra ein Spezialvehikel namens "Beignet" aufgesetzt - benannt nach dem französischen Fettgebäck aus New Orleans. Die Zweckgesellschaft tranchiert Metas Mieten für das Rechenzentrum, verschnürt sie zu neuen Anleihen und verkauft sie an Investoren weiter. Über die Finanzalchemie wird es zum investierbaren Produkt.

Dieses Prinzip ist aus der Finanzkrise berüchtigt: Auch damals verpackten Goldman Sachs, die Deutsche Bank oder die UBS über obskure Vehikel namens "Abacus" oder "Gemstone" fragwürdige Kredite neu und reichten sie an ihre ahnungslosen Kunden weiter. So wurden Milliarden von Ramschpapieren zu attraktiven Investments schöngerechnet und global verteilt – von faulen US-Hypotheken über Kreditkartenzahlungen bis zu isländischen Regierungsschulden. Als die zugrunde liegenden Kredite platzten, kippten Banken weltweit und mussten mit Steuergeldern gerettet werden.

Zwischen Anleihe-Rausch und Zweckgesellschaften

Das ist heute nicht zu befürchten: Der US-Konzern Meta, einer der finanzkräftigsten US-Konzerne, garantiert die Mieten für "Hyperion". Der Tech-Riese hat ein besseres Rating als die US-Regierung und machte 2024 rund 62 Milliarden Dollar Gewinn. Der "Hyperion"-Deal könnte aber der Anfang sein: Gut möglich, dass Investmentbanken bald wieder Kredite für Rechenzentren verbriefen wie einst US-Hypotheken. "Das lässt sich wiederholen", zitiert "Fortune" einen der beteiligten Berater.

Die Nervosität der Anleger lässt sich an Metas Megadeal ablesen. Obwohl "Hyperion" vollständig aus der Bilanz ausgelagert wurde, musste der Konzern Investoren trotzdem eine wasserdichte Ausfallgarantie geben. Zudem kassieren sie exorbitante Zinsen von rund 6,6 Prozent. Die Risiken wurden weiträumig im Finanzsektor verteilt: Weil die Kredite weiterverkauft wurden, stecken sie nun in Produkten von Blackrock, Invesco und Pimco. Und über Blue Owls digitale Infrastrukturfonds haben sich zudem US-Beamtenpensionsfonds an den finanziellen Erfolg der KI-Revolution gekettet.

Dass Meta überhaupt auf solche Finanzalchemie zurückgreifen musste, liegt daran, dass sich der Konzern – wie viele andere Tech-Riesen auch – bereits immer stärker auf herkömmliche Weise verschuldet hat, um das KI-Wettrüsten zu stemmen. Meta hat einen Megabond von 30 Milliarden Dollar begeben. Fast 15 Milliarden Dollar will Amazon aufnehmen - die erste Anleihe seit drei Jahren. Oracle wiederum will offenbar ebenfalls 15 Milliarden Dollar einwerben. Damit haben die Techriesen allein in den vergangenen drei Monaten über 100 Milliarden Dollar neue Schulden für den KI-Ausbau gemacht.

Ihr eigenes Geld reicht nicht mehr: Laut Morgan Stanley werden Alphabet, Amazon, Meta, Microsoft und Co. allein in diesem Jahr 400 Milliarden Dollar für neue KI-Rechenpower ausgeben. Zusammen werden sie zwar auf einen Finanzpuffer von insgesamt gut 500 Milliarden Dollar Gewinn kommen. Doch dieser deckt die gigantischen Ausgaben nur noch gerade so ab. "Insgesamt dürften die Firmen ans Limit kommen", warnt die Bank of America. In diesem und im nächsten Jahr würde ihr Cashflow zu 94 Prozent von den KI-Ausgaben aufgefressen werden.

Historische Kreditrekorde

Danach wird die Schuldenorgie noch heftiger: Morgan Stanley schätzt, dass die Techriesen bis 2028 rund 2,9 Billionen Dollar für ihre KI-Datenzentren benötigen werden. Nur knapp die Hälfte davon werden sie aus eigener Tasche bezahlen können. Die andere Hälfte wird über Fremdkapital beigesteuert, beispielsweise in Form von Anleihen, Investitionen von privaten Großinvestoren oder außerbilanziellen Schuldenvehikeln wie Metas "Hyperion"-Zweckgesellschaft.

Nicht alle Rechenzentren sind so solide finanziert wie Hyperion. Ausgerechnet der Mega-Kredit von 38 Milliarden Dollar, den OpenAI für das "Stargate"-Projekt erhalten hat, steht finanziell auf sehr wackligen Beinen. Oracle hat die Rechenzentren für 15 Jahre gemietet und an Sam Altmans OpenAI weitergereicht. Doch anders als Meta verbrennt das wertvollste Startup der Welt bislang nur Cash in atemberaubender Geschwindigkeit.

Wenn OpenAI keinen Weg findet, seine Sprachmodelle in Profite zu verwandeln, droht eine Kettenreaktion: Zwei Drittel der künftigen Umsätze von Oracle hängen mit OpenAI an nur einem einzigen Kunden. Anders als Alphabet, Microsoft oder Meta schiebt Oracle schon heute einen riesigen Schuldenberg von 90 Prozent seines Gesamtvermögens vor sich her. Oracles Bonds rangieren deshalb bereits fast auf Ramschniveau. Kommt OpenAI mit den Mieten in Verzug, hat der Konzern ein Problem - ebenso wie die Geldgeber der "Stargate"-Datenzentren.

Insgesamt bewegen sich die Schulden für den KI-Ausbau bislang zwar noch nicht auf einem systemrelevanten Level. Der Kredithebel, den die Banken etwa vor der Finanzkrise ansetzten, war ungleich größer: Goldman Sachs allein hatte damals eine Bilanzsumme von über einer Billion Dollar, die damals größte US-Bank Citigroup sogar eine von mehr als zwei Billionen Dollar. Doch es könnte nicht mehr lange dauern, bis sie historische Rekorde knacken.

Quelle: ntv.de

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