Fed und EZB vor Entscheidungen Notenbanken stecken in der Omikron-Falle
15.12.2021, 16:49 Uhr
Auf die jüngste Inflationsentwicklung reagieren EZB-Chefin Lagarde und Fed-Chair Powell unterschiedlich.
(Foto: REUTERS)
Die Inflation zieht an, der Druck auf die amerikanische Federal Reserve und die EZB wächst, die Geldpolitik zu straffen. Doch eine überstürzte Zinserhöhung ist riskant. Sie könnte die durch die Omikron-Welle ohnehin gefährdete Konjunkturerholung im Keim ersticken.
2022 könnte das Jahr werden, in dem die Geldpolitik einen neuen Kurs einschlägt. Heute Abend berät die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) und morgen die Europäische Zentralbank (EZB) über ihre nächsten Schritte. Sie stehen vor einer Herausforderung: Die Pandemie droht mit der Omikron-Variante in neuer Stärke zurückzukehren, weswegen die Wirtschaft billiges Geld zu niedrigen Zinsen braucht. Eben diese Niedrigzinspolitik befeuert aber auch die zuletzt stark angestiegenen Inflationsraten.
Ihre Ankündigungen müssen die Zentralbanken genau abwägen: Entsteht der Eindruck, dass sie ihre lockere Geldpolitik frühzeitig beenden, könnte dies den wirtschaftlichen Aufschwung ausbremsen. Je länger sie jedoch mit der Ankündigung warten, desto schwieriger wird es, die hohen Inflationsraten wieder unter Kontrolle zu kriegen.
In den USA hat die Wirtschaft die Rezession hinter sich gelassen, doch die Beschäftigung ist noch immer nicht auf dem Niveau vor der Pandemie angekommen. Die Corona-Variante Omikron könnte nun auch die Lieferketten-Probleme wieder verschärfen. Andererseits bereitet den Zentralbankern auch die Inflation zunehmend Sorgen - sie erreichte in den USA mit 6,8 Prozent im Vorjahresvergleich im November ein 40-Jahres-Hoch.
Die Märkte rechnen als erste Maßnahme mit einem schnelleren Rückzug der Fed aus den großzügigen Anleihekäufen. Bereits im November hatte die Zentralbank angekündigt, den Rhythmus der Käufe zu verlangsamen: Von derzeit 120 Milliarden Dollar (rund 106 Milliarden Euro) monatlich sollen die Käufe jeden Monat um 15 Milliarden Dollar abgesenkt werden und somit Mitte Juni 2022 auslaufen. Denkbar wäre danach auch eine schrittweise Erhöhung der Leitzinsen ab 2022.
Fed-Entscheid könnte EZB unter Druck setzen
Diese im Fachjargon als Tapering bekannte Operation zum Herunterfahren der Anleihenkäufe markiert eine geldpolitische Trendwende, die an den Finanzmärkten bereits Spekulationen auf eine Zinserhöhung im nächsten Jahr auslöste. Für den heutigen Entscheid steht fest: Der Leitzins, der in der extrem niedrigen Spanne zwischen 0,0 und 0,25 Prozent liegt, wird noch nicht angetastet.
Eine verfrühte Zinserhöhung könne "ein politischer Fehler" sein, warnt die Chefökonomin bei Oxford Economics, Kathy Bostjancic. Es bestehe das Risiko, dass dadurch das Wirtschaftswachstum abgebremst werde. Sollte die Fed eine Zinserhöhung im Jahr 2022 andeuten, steigt auch der Druck auf die EZB - bisher zeigten sich die im EZB-Rat versammelten europäischen Zentralbanker sehr zurückhaltend, was eine konkrete Aussage zum Zeitplan der Normalisierung ihrer Geldpolitik angeht.
Uneinig sind sich EZB und Fed außerdem bei der Bewertung der aktuellen Inflationsraten: Während Fed-Präsident Jerome Powell kürzlich anerkannte, dass diese nicht mehr als "vorläufig" bezeichnet werden können, sieht EZB-Präsidentin Christine Lagarde das anders. Lagarde zeigte sich noch kürzlich überzeugt, dass die Inflation im Jahr 2022 zurückgehen werde, insbesondere wenn die Energiepreise wieder sinken. Auch in der Eurozone war die Inflation mit 4,9 Prozent im Vorjahresvergleich im November auf ihren höchsten Stand seit 30 Jahren geklettert. Das Argument der vorübergehenden Inflation verliert indes zunehmend an Glaubwürdigkeit.
APP statt PEPP
Auch in der Eurozone könnte die Omikron-Variante all jenen einen Strich durch die Rechnung machen, die auf einen früheren Ausstieg aus dem umfangreichen Anleihekaufprogramm der EZB hoffen. Die Verantwortlichen bei der EZB betonten immer wieder, dass die Anleihekäufe im Rahmen des PEPP-Programms wie angekündigt im zweiten Quartal 2022 eingestellt würden. Aktuell kauft die EZB monatlich Anleihen im Wert von 80 Milliarden Euro, insgesamt hat das Corona-Notprogramm ein Volumen von 1,85 Billionen Euro.
Eine Option für die EZB wäre die Verlängerung und Ausweitung des ursprünglichen Anleihekaufprogramms APP, über das aktuell monatlich rund 20 Milliarden Euro an Anleihen aufgekauft werden. Mit einer solchen Ankündigung ist aber laut Analysten erst bei der nächsten EZB-Ratssitzung Anfang Februar 2022 zu rechnen.
Eine Zinserhöhung im Euroraum im Jahr 2022 sei "sehr unwahrscheinlich", betonte Lagarde immer wieder. Der ING-Analyst Carsten Brzeski erwartet gleichwohl, dass die EZB der Fed bei aller Vorsicht "folgen" und dann ebenso in eine neue Phase eintreten werde: Auf die Phase der massiven finanziellen Unterstützung folge dann eine Phase des Risikomanagements.
Quelle: ntv.de, mbo/AFP