Geburten machen den Unterschied Wen das Ehegattensplitting vom Geldverdienen abhält


Steuerfachmann Malte Chirvi erwartet eine Reform des Ehegattensplittings.
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Kritiker des Ehegattensplittings monieren, dass Frauen deshalb weniger berufstätig seien. Studien dazu scheinen ihnen recht zu geben. Ein Steuerexperte glaubt trotzdem nicht an die Abschaffung - wohl aber an eine Reform.
Die Forderung ist so alt wie aktuell: SPD-Chef Lars Klingbeil will das Ehegattensplitting für künftige Ehen am liebsten ganz abschaffen, sein Parteifreund Hubertus Heil hält es zumindest für reformbedürftig. Das deutsche Steuerrecht sei "wie aus den 50er Jahren", sagte der Arbeitsminister im "ntv Frühstart". Sein und der Vorwurf anderer Kritiker: Das Ehegattensplitting halte viele Frauen davon ab, mehr erwerbstätig zu sein. Doch stimmt das überhaupt? Malte Chirvi, Steuerberater und Gastwissenschaftler an der Berliner Humboldt-Universität, hat genau das in einer Studie untersucht. Sein Ergebnis: Ja - wenn die Ehefrauen in den Jahren um die Hochzeit Mütter werden.
Minister Heil sagt: "Wenn man eine höhere Frauen-Erwerbsbeteiligung will, dann braucht man zwei Dinge, bessere Kinderbetreuung und auch ein reformiertes Steuerrecht, damit sich Arbeit für alle lohnt." Zahlreiche Studien ergaben, dass Frauen insgesamt mehr berufstätig wären, wenn es das Ehegattensplitting nicht gäbe. Denn die Regelung führt in vielen Fällen dazu, dass es sich für sie vermeintlich nicht lohnt, mehr in ihrem Beruf zu arbeiten - Ehepaare genießen Steuervorteile, wenn ein Partner deutlich mehr verdient als der andere. Kritiker des Ehegattensplittings monieren, dass Frauen deshalb am vom Fachkräftemangel geplagten Arbeitsmarkt fehlen und weniger in ihre Renten- und Sozialversicherung einzahlen. Mal davon abgesehen, dass der Steuervorteil auch kinderlosen Paaren zugutekommt und unverheirateten Eltern auf der anderen Seite nicht.
Die für Deutschland durchgeführten Studien haben Chirvi zufolge allerdings einen Haken: Es handle sich stets um Prognosen, wie er im Gespräch mit ntv.de erklärt. Seine Analyse aus dem Jahr 2021 ist seines Wissens die bisher einzige, die anhand von Daten im Rückblick untersucht, wie sich Frauen in Deutschland tatsächlich auf dem Arbeitsmarkt verhalten haben. Der Steuerexperte, der auch an der Hochschule Flensburg lehrt, verglich die Arbeitszeit verheirateter Frauen in den jeweils zwei Jahren vor und nach der Hochzeit mit der Arbeitszeit unverheirateter, aber in eheähnlicher Beziehung lebender Frauen. Dabei zeigte sich ohne die Geburt eines Kindes kein Unterschied, ohne Mutterschaft reduzierten frisch Verheiratete ihre Arbeitszeit nicht anders als Frauen aus eheähnlichen Beziehungen. Doch die Frauen, die kurz vor oder nach ihrer Trauung ein Kind bekamen, senkten ihre Arbeitszeit deutlich stärker als vergleichbare Mütter, die nicht geheiratet hatten. Die unverheirateten Mütter waren im Schnitt 15 Prozent beziehungsweise fast sechs Stunden pro Woche mehr erwerbstätig.
"Verfassungsrechtlich kaum möglich"
"Es ist somit nicht auszuschließen, dass die Arbeitszeitreduzierung durch das Ehegattensplitting gefördert wird", sagt Chirvi. Würde das Ehegattensplitting für in Zukunft geschlossene Ehen komplett abgeschafft, wie von SPD und Grünen gewünscht , könnte das im Umkehrschluss einen deutlichen Effekt auf die Erwerbstätigkeit von Müttern haben. Laut der Studie hatte die Mehrheit der unter 35-Jährigen kurz nach der Hochzeit ein Kind bekommen. Die Daten stammen aus dem Sozioökonomischen Panel, einer jährlichen repräsentativen Umfrage unter privaten Haushalten in Deutschland. Chirvi wertete die Befragungswellen 2002 bis 2015 aus.
Untersuchungen aus anderen Ländern wie den USA oder Großbritannien zeigten Chirvi zufolge ebenfalls, dass verheiratete Frauen mehr erwerbstätig waren, wenn Steuervorteile einer Ehe entfielen. Beziehungsweise wenn die steuerliche Belastung der Frauen sank, denn das Ehegattensplitting sorgt dafür, dass ein deutlich besser verdienender Partner scheinbar weniger Steuern zahlen muss und der weniger verdienende mehr - in der Regel die Frau.
Chirvi hält von einer kompletten Abschaffung des Ehegattensplittings trotzdem wenig. Zum einen sei dies verfassungsrechtlich kaum möglich, zum anderen müssten seiner Ansicht nach dann zahlreiche weitere Regeln geändert werden, die für Ehepartner ebenfalls gelten. "Oft wird vergessen, dass das Ehegattensplitting nur ein kleines Puzzleteil der gesamten besonderen rechtlichen Behandlung von Ehepartnern ist", betont der Steuerexperte. So gelten unter anderem auch der sogenannte Zugewinnausgleich oder dass im Falle einer Arbeitslosigkeit das Einkommen des Ehepartners herangezogen wird. In Chirvis Augen macht es auch durchaus Sinn, ein Paar finanziell als Gemeinschaft zu behandeln. Wenn auch nicht unbedingt wegen des Trauscheins: "Das muss nicht die Ehe sein, auch andere Personen können sich zusammentun und füreinander einstehen." Diese sollten seiner Meinung nach gemeinsam besteuert werden.
Steuerklassen III und V sollen entfallen
Der Steuerfachmann rechnet nicht mit einer Abschaffung des Ehegattensplittings, sondern einer Reform, etwa in Form eines sogenannten Realsplittings, bei dem ein Steuerfreibetrag auf den Ehepartner übertragbar wäre. Die meisten Ehepaare hätten dadurch gar keine finanziellen Nachteile, rechnet Chirvi vor. Doch Extremfälle bei extrem unterschiedlichen Einkommen, bei denen durch das Ehegattensplitting bis zu etwa 20.000 Euro pro Jahr an Steuern gespart werden könnten, würden dann entfallen. "Das maximale Einsparpotenzial würde auf 6500 Euro reduziert."
Die Effekte für den Arbeitsmarkt wären Chirvi zufolge deutlich geringer als bei einer Abschaffung, doch auch ein Realsplitting könnte den Anreiz für den weniger verdienenden Partner erhöhen, mehr erwerbstätig zu sein. Die Steuereinnahmen des Staates würden in der Folge ebenfalls steigen, wenn auch nicht um die geschätzten 20 Milliarden Euro pro Jahr, die das Ende des Ehegattensplittings einbringen würde. Der Steuerexperte geht davon aus, dass eine Reform jährlich rund zehn Milliarden Euro mehr in die Steuerkasse spülen würde.
Ein deutlicher Anreiz, mehr erwerbstätig zu sein, würde aus Chirvis Sicht auch dann schon entstehen, wenn die Steuerklassen III und V abgeschafft würden, wie es die Ampel laut ihrem Koalitionsvertrag plant. "Die Steuerklassen III und V suggerieren eine ungleiche Belastung, es wirkt, als wäre ein Ehepartner sehr begünstigt und der andere deutlich schlechter gestellt", erklärt der Fachmann. "Aber eigentlich sparen beide Ehepartner anteilig gleich viel. Es entsteht der falsche Eindruck, dass es sich für einen Partner nicht lohnt zu arbeiten. Das abzuschaffen wäre eine super Sache." Der direkte Effekt für den Arbeitsmarkt wäre seiner Einschätzung nach unter Umständen fast genauso groß wie bei einer Reform des Ehegattensplittings - ohne finanzielle Einbußen für die Steuerpflichtigen.
Quelle: ntv.de