Klimaschäden leeren alle KassenZentralbankerin warnt: "Deckungslücke sollte Staat, Wirtschaft und jeden Haushalt beunruhigen"
Christian Herrmann
Hitzewellen, schwere Unwetter und Stürme zerstören immer häufiger Stromnetze, Gebäude und Ernten. "Die Zahlen sind alarmierend", sagt die Vizepräsidentin der Bundesbank im Gespräch mit ntv.de. Besonders beunruhigend: Immer mehr Menschen verlassen sich im Notfall auf den Staat - doch dessen Kassen sind bereits leer.
Sabine Mauderer wird manchmal gesagt, sie solle sich nicht mit Honigbienen beschäftigen. Die Vizepräsidentin der Bundesbank macht es trotzdem, denn Hitzewellen, sintflutartige Regenfälle und schwere Stürme zerstören immer häufiger Stromnetze, Gebäude und Ernten: Ein Preisschild an einer Biene gibt Aufschluss über die steigenden Kosten durch Klimaschäden. "Die Zahlen sind alarmierend", sagt die Zentralbankerin im "Klima-Labor" von ntv. Der Klimawandel ist nicht länger die "Tragödie am Horizont", sondern schon jetzt eine unmittelbare Gefahr. Ökomisch. Für private Haushalte, für die Wirtschaft und für leere Staatskassen. Denn immer häufiger bleibt der Katastrophen-Deckel nicht bei Versicherungen, sondern Regierungen liegen. "Viele Menschen gehen davon aus, dass der Staat im Notfall einspringt", sagt Mauderer. "Das geben die Mittel in Einzelfällen her, auf Dauer kann der Staat diese Last nicht tragen."
ntv.de: Warum beschäftigen sich Zentralbanken mit dem Klimawandel?
Sabine Mauderer: Das ist Teil des Jobs. Ich bin ein Zahlenmensch und beleuchte finanzielle Risiken. So verhält es sich auch mit dem Klimawandel. Das ist ein Risiko wie jedes andere. Wir sind verpflichtet, uns damit zu beschäftigen.
Bei der Kreditvergabe? Oder welche Risiken sind gemeint?
Extremwetterereignisse wie Stürme oder Dürren bedrohen Ernten, manchmal Gebäude oder ganze Regionen. Das hat wirtschaftliche Konsequenzen. 2022 hat eine schwere Flut in Pakistan Ernten vernichtet. Anschließend ist die Inflation um einen hohen zweistelligen Betrag gestiegen, viele Lebensmittel wurden teurer. Das sehen wir auch in anderen Ländern.
Wie berechnen Sie diese Risiken? Man weiß doch nicht, wo, wann, welches Extremwetterereignis auftritt.
Üblicherweise beschäftigen sich Zentralbanker mit Risiken, für die es Vergleichswerte gibt und die man hochrechnen kann: In welcher Häufigkeit tritt welches Phänomen unter welchen Rahmenbedingungen auf? Beim Klimawandel kann man sich nicht auf historische Daten stützen. Insofern ist das eine große Herausforderung. Wir wissen, dass etwas passieren wird, aber nicht wann und mit welcher Heftigkeit. Wir können nicht wie in anderen Fällen linear denken, sondern müssen verschiedene Szenarien simulieren, um eine ganze Bandbreite möglicher Auswirkungen zu testen.
Welche Szenarien liegen momentan auf dem Tisch? Bei soundsoviel Grad Erwärmung gibt es diese oder jene Häufung von Extremwetterereignissen?
Das NGFS ist eine Organisation von weltweit 150 Zentralbanken und Aufsichtsbehörden, die sagen: Das ist ein globales Phänomen mit großen Risiken. Lasst uns gemeinsam überlegen, wie wir damit umgehen. Zusammen können wir Daten schneller verarbeiten und auswerten.
Weil absehbar ist, dass der Klimawandel die Wirtschaft jedes einzelnen Landes beeinflussen wird?
Genau. In dieser internationalen Organisation haben wir sieben Langzeitszenarien entwickelt und geschaut, wie politische Rahmenbedingungen das Wirtschaftswachstum und andere ökonomische Größen bis 2050 beeinflussen. Ein Szenario ist das "Hot-house"-Szenario. Darin wird beschrieben, was passiert, wenn die Welt nicht länger versucht, den Klimawandel einzudämmen. Was bedeutet das für das Wirtschaftswachstum weltweit, aber auch in gewissen Regionen? Für die Inflation? Die Produktivität? Die Beschäftigungszahlen? Andere Szenarien beschreiben eine verzögerte Transformation mit einer gewissen Müdigkeit gegenüber den Maßnahmen - so wie jetzt ungefähr.
Was passiert, wenn diese Müdigkeit anhält?
Der Klimawandel bringt starke Risiken mit sich, das lässt sich nicht wegdiskutieren. Als Gesellschaft sollte es uns aber nicht darum gehen, Menschen Angst zu machen, sondern nüchtern und sachlich aufzuklären, was es bringt, zu handeln oder nicht zu handeln.
Es spricht der Zahlenmensch.
Ja. Unsere Szenarien zeigen: Je später gehandelt wird, desto teurer wird es. Und wenn Sie es mir nachsehen: Mir ist klar, dass der Klimawandel menschliches Leid verursacht. Als Vizepräsidentin der Bundesbank beziehe ich mich aber auf die ökonomischen Verluste, nicht die menschlichen Opfer.
Ein Kurzzeitszenario besagt: Im Euroraum könnten Extremwetterereignisse in den kommenden fünf Jahren fünf Prozent der Wirtschaftsleistung vernichten.
Dieses Szenario haben wir als NGFS zusätzlich entwickelt, weil Entwicklungen bis 2050 für viele Entscheidungsträger nicht maßgeblich sind. Die meisten Vorstandsvorsitzenden haben Verträge über drei bis fünf Jahre. Politiker werden in der Regel für vier Jahre gewählt. Vor diesem Hintergrund haben wir gesagt: Was kann innerhalb von fünf Jahren passieren? Was bedeutet es, wenn zwei Jahre in Folge extreme Wetterereignisse auftreten? Dieses extreme Szenario haben Sie gerade beschrieben: Das kann passieren, muss aber nicht.
Wie ist die Reaktion, wenn Sie Vorständen oder Politikern Ihre Einschätzungen präsentieren? Hat das einen Effekt?
Den Wirtschaftslenkern ist bewusst, dass der Klimawandel oder auch der Verlust von Natur ein finanzielles und wirtschaftliches Risiko ist, mit dem sie umgehen müssen.
Aber die Aktionäre sind wichtiger?
Das würde ich so nicht sagen, aber ja: Unternehmenserfolge werden an den Börsen eher kurzfristig bewertet. Die arbeiten mit einem anderen Zeithorizont als ein Familienunternehmen. Deshalb weisen wir bewusst auf ökonomisch relevante Schäden hin, die bereits bekannt sind. Die Europäische Umweltagentur in Kopenhagen hat ausgerechnet, dass die Schäden durch den Klimawandel in Europa von 1980 bis 2024 820 Milliarden Euro betrugen. Ein Viertel davon ist auf den Zeitraum von 2021 bis 2024 entfallen. Noch alarmierender ist eine Berechnung eines großen Schweizer Rückversicherers: Im vergangenen Jahr haben Extremwetterereignisse weltweit Schäden in Höhe von 320 Milliarden US-Dollar verursacht. Das ist gewaltig.
Man erkennt in den Daten eine enorme Beschleunigung: Extremwetterereignisse treten viel häufiger auf als früher.
Solche Zahlen zeigen Wirtschaftsakteuren an: Darum muss ich mich jetzt kümmern. Das ist etwas, das mir heute passieren kann. Die Aufgabe muss man angehen, denn weniger als die Hälfte dieser Schäden war versichert.
Das geht häufig gar nicht mehr, die Versicherungslücke wächst.
Die Versicherbarkeit sollte nicht nur Unternehmen, sondern auch private Haushalte beunruhigen. Versicherungen schauen sich Risiken für ihr Geschäft genau an, auch im Bereich von Natur, Umwelt und Klima. Wenn man in einer Region, in der Starkwetterereignisse wahrscheinlicher sind, ein Baudarlehen oder einen Immobilienkredit aufnehmen möchte, wird die Versicherung signifikant teurer - falls man überhaupt noch eine bekommt.
Ohne Versicherung muss bei Naturkatastrophen im Zweifelsfall der Staat einspringen.
Es wird schon vorher problematisch: Kann in der Region ohne Versicherung überhaupt noch gebaut werden? Aber ja, der Staat sollte sich der wachsenden Deckungslücke bewusst sein. Untersuchungen zeigen, dass viele Menschen davon ausgehen, dass er im Notfall einspringt. Denn der politische Druck, die Schäden zu kompensieren, ist groß, wenn das Fernsehen Bilder einer Naturkatastrophe zeigt. Das geben die Mittel in Einzelfällen her, auf Dauer kann der Staat diese Last aber nicht tragen. Wir sehen global einen gewaltigen Anstieg der Staatsschulden. Das setzt allen Ländern Grenzen. Darüber müssen wir ehrlich reden.
Sind sich Regierungen und andere Akteure des Finanzsystems dieser Risiken bewusst?
Mir wird manchmal vorgeworfen, dass ich mich mit Dingen beschäftige, die nicht zu meinem Mandat gehören: Der Klimawandel ist eine politische Debatte, die hat nichts mit Ihnen zu tun. Warum beschäftigt sich eine Zentralbankerin mit einer Honigbiene?
Das sagt man Ihnen?
Ja. Klimapolitik ist nicht mein Job und nicht mein Mandat. Ich bin aber verpflichtet, Regierungen auf Risiken im Finanzsystem oder der Weltwirtschaft hinzuweisen und zu warnen: Passt auf, das könnte teuer werden. Dasselbe mache ich für Banken und Unternehmen: Wie resilient ist euer Kundenportfolio? Seid vorsichtig mit Krediten, die an eine Lieferkette gebunden sind, die vom Klimawandel stark beeinflusst werden kann!
Wie Kaffee und Schokolade?
Nahrungsmittel oder auch die Modeindustrie. Man benötigt Tausende Liter Wasser, um eine Jeans zu produzieren. Wasser ist aber ein knappes Gut und wird knapper. Die Pharmaindustrie ist auch betroffen. Viele zugelassene Arzneimittel hängen stark von der Pflanzen- und Tierwelt ab. Seit den 1970er Jahren ist die Zahl der Tierarten um mehr als 70 Prozent zurückgegangen. Natur und Klima müssen gesamtheitlich betrachtet werden, alles hängt voneinander ab und hat Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Wenn wir an die Biene ein Preisschild kleben, sehen wir: Die hat einen ökonomischen Nutzen.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie lesen, dass die EU ihre Klimaziele abschwächt und Dinge wie den ETS-2 verschiebt?
Viele Menschen fühlen sich überfordert - nicht nur vom Klimawandel, sondern von der Vielzahl an Ereignissen: der geopolitischen Situation, der Invasion der Ukraine, dem demografischen Wandel oder auch den Entwicklungen von KI. Deshalb ist es klug, wenn die Politik überlegt, wie man die Bevölkerung trotzdem mitnehmen kann. Speziell beim Klimawandel sind viele Menschen einfach müde. Sie merken, dass die Eindämmung Geld kostet oder sogar den Arbeitsplatz. Das muss die Politik moderieren und eine klare Richtung vorgeben. Dieses Hin und Her, das wir aktuell erleben, ist weder für die Menschen noch für die Wirtschaft tragbar.
Fehlt eine Vision, die nicht nur Kosten, sondern auch Möglichkeiten aufzeigt?
Nehmen wir das Finanzsystem: Wir erwarten von Banken, Börsen und anderen Marktteilnehmern, dass sie die Risiken kennen und managen. Dem Klimawandel und den Emissionen kann man aber vor allem mit Innovationen begegnen. Das eröffnet Chancen. Ich kann für die deutsche Kreditwirtschaft sagen, dass saubere Technologien ein großes Geschäftsfeld sind. Die finanzielle Unterstützung für Unternehmen, die ihre Emissionen reduzieren möchten, ist es auch. In China wird nach wie vor viel Kohle verbrannt, aber die Chinesen haben verstanden, dass Cleantech ein großes Geschäft ist. Ein Teil der USA auch, obwohl sich die Stimmung dort seit der Wahl von Donald Trump gedreht hat. Auch Europa kann in dem Bereich Geschäfte machen.
Wie beeinflusst Trump Ihre Prognosen denn?
Die USA sind nach Trumps Wahl leider aus unserer Organisation ausgetreten. Es gab große Sorgen, dass andere nachziehen und das NGFS bedeutungslos werden könnte. Das Gegenteil ist passiert: Es gab keinen weiteren Austritt, sondern viele Neuanträge, vom Oman über Sambia bis Ecuador. Viele Länder erkennen, dass wir im selben Boot sitzen und gemeinsam stärker sind.
Mit Sabine Mauderer sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.