Tschüss, Bentley W12! Bentley Flying Spur Speed - der Zwölfzylinder ist Geschichte


Hier ist er noch ein letztes Mal zu sehen, der wunderschöne W12. Neue Bentleys werden künftig nicht mehr mit diesem Sahnemotor zu bestellen sein. Aber Fans des gepflegten Maschinenbaus werden mit Ersatz versorgt. Dabei ist der Sechsliter jedoch nicht so richtig ersetzbar.
(Foto: Patrick Broich)
Auch Bentley verpasst den Fans der Vielzylindermotoren einen Dämpfer. W12? Das war einmal. Doch obgleich sich Bentley-Interessenten keine Sorgen über die gepflegte Antriebsart machen müssen, wird der krönende Zwölfender vermisst werden. ntv.de hat eine Abschiedstour unternommen.
Was ist denn da bloß los im Hause Volkswagen? Warum kappt der Konzern, der so klangvolle Markennamen unter einem Dach vereint (Bentley, Bugatti oder Lamborghini) den noblen Zwölfzylinder schon so viel früher, als er eigentlich müsste? Ist es das Image (CO2-Thematik und so)? Oder ist es der Profit?
Ja, der Achtzylinder wird wohl immerhin noch einige Jahre weiterleben. Aber Freunde des gepflegten Säuselns werden sich dennoch schwertun, den ultraruhigen und akustisch sowie mechanisch gleichförmigen Lauf gegen fast schon rustikales Bollern einzutauschen. Ferdinand Piëch würde sich wohl im Grabe herumdrehen, wenn er noch mitbekäme, dass das Ende des W12 ausgemachte Sache ist. Denn das technisch aufwendige, aber dafür kompakt bauende Konzept geht wohl auf das Konto des Ingenieur-Genies - womöglich inspiriert vom legendären W18-Flugzeugmotor der im Jahr 1900 gegründeten italienischen Schmiede Isotta-Fraschini.
Also, wenn Sie gerade Ihre Firma verkauft, eine satte Lebensversicherung ausgezahlt bekommen oder im Lotto gewonnen haben - schauen Sie, irgendwie noch an ein Bentley-W12-Exemplar zu kommen. Beknien Sie den nächstgelegenen Bentley-Händler oder durchforsten Sie die Internetbörsen.

Anno 2024 ist die Länge von 5,32 Metern fast nicht mehr State of the Art. Selbst der koreanische Genesis G90 ist länger.
ntv.de hat sich das W12-Vergnügen auch gegeben, zumindest für kurze Zeit. Die Presseabteilung hatte nämlich noch einmal zur Probefahrt in der viertürigen Limousine Flying Spur gebeten - ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. Jedenfalls gilt das für Autoenthusiasten. Der Flying Spur Speed gehört zu den letzten Möglichkeiten, bei Bentley in den Genuss der Zwölfzylinder-Antriebskultur zu kommen. Viele gibt es tatsächlich nicht mehr, aber immerhin gibt es überhaupt noch welche, wenn man der Markenwebsite glauben möchte.
W12 verströmt den Reiz des besonderen Motors
Ha! Ich höre sie schon wieder zetern vor meinem geistigen Ohr, die moralischen Weltverbesserer, die einer kleinen Fangemeinde der mechanischen Laufruhe mit Hang zum Benzingenuss ewige Gestrigkeit vorwerfen, weil sie nicht gleich zu 100 Prozent von der elektrisch angetrieben Mobilität überzeugt sind. Dabei geht es darum gar nicht. Der Gedanke, dass unter der Motorhaube ganz viele Zylinder tanzen und in fein austarierter Taktung mit dem Hüpfen der Ein- und Auslassventile korrespondieren, kann schon glücklich machen. Diejenigen mit einer Nerd-Stufe darunter freuen sich über die Noblesse, die der Sechslitermotor per Akustik transportiert, wie es ein elektrisches Triebwerk niemals können wird.
Kleine Runde gefällig? Gepaart mit der Urgewalt von 900 Newtonmetern Drehmoment legt dieser Bentley feurig los. Vielleicht nicht mehr ganz so sämig wie ehemals mit der Wandlerautomatik - jetzt ist ein achtstufiger Doppelkuppler am Drücker, den der sogenannte modulare Standardantriebsbaukasten - ja, schwieriges Wort - eben so mit sich bringt. Auf diesem basieren auch modernste Gefährte wie beispielsweise der Porsche Panamera oder in höherer Ableitung sogar die Kandidaten Porsche Taycan oder Audi E-Tron GT.

Das "Flying B" auf der Motorhaube ist immer mit am Start und bewegt sich auf Wunsch mit 333 km/h vorwärts.
Und daher fallen auch so fortschrittliche Features wie Allradlenkung oder Wankausgleich ab. Sie bringen Agilität in den 5,32 Meter langen und 2,4 Tonnen schweren Luxusliner. Also nicht falsch verstehen, Querperformance ist hier nicht das Thema. Dafür beeindruckt umso mehr, wie brachial und sämig zugleich die Luxuslimousine anschiebt (3,8 Sekunden bis 100 km/h) und - ohne Begrenzer ausgerüstet - so lange beschleunigt, bis der Luftwiderstand das Ende setzt. Oder ist es die Motordrehzahl? Oder die Reifen? Man weiß es nicht so genau, jedenfalls rennt der Brite 333 km/h, was im viertürigen Bereich sonst nur noch Alpina bietet.
Der luftgefederte Flying Spur hat etwas Sportliches

Im Bentley nur das Feinste: Viel Carbon und Leder verströmen Noblesse. Und reichlich Display gibt es für die jüngere Generation.
(Foto: Patrick Broich)
Völlig einzigartig hingegen ist die Mischung bei Bentley. Hier sind die Hightech-Fauteuils mit Lüftung und Massage noch ein bisschen wattiger, das Ambiente noch ein bisschen luxuriöser und der Platz ein bisschen ausschweifender. Und das Prestige ist noch ein bisschen größer. Also, wer das braucht. Allerdings weist der luftgefederte Flying Spur auch eine sportliche Komponente auf, die hier und dort vielleicht ein bisschen deplatziert wirkt, wenn man das so sagen möchte. Ein bisschen geschmeidiger über Querfugen könnte der Allradler schon rollen, doch selbst im komfortabelsten Modus bleibt er eher straff. Egal. Die Musik spielt schließlich unter der Haube.

Ob die roten Polster massenkompatibel sind, mag dahingestellt sein. Die überbordende Beinfreiheit ist aber definitiv kompatibel mit großen Menschen und hoher Reiseaktivität.
(Foto: Patrick Broich)
Jetzt bleibt die Frage, wie man sich trösten kann ob des wegfallenden Zwölfzylinders. Vielleicht mit einem Blick in die Markengeschichte, bei der man das volle Dutzend Töpfe gar nicht finden wird. Vier-, Sechs- und Achtzylinder haben das Motorenportfolio der Marke über viele Jahrzehnte bestimmt, endet die Marke Bentley also wieder mit einem Vierzylinder? Nicht ganz, denn bevor akustisch wenig spannende Aggregate unter das Blech wandern, schaffen die Briten den Verbrennungsmotor lieber gleich ab. Bis zum Jahr 2030 schließlich soll die Marke rein elektrisch werden.
Und wer damit Probleme hat, darf sich mit zahlreichen Plug-in-Hybrid-Modellen langsam entwöhnen. Hier gibt es aktuell (historisch immerhin korrekte) sechs Töpfe, und mit ein bisschen Logik müsste man darauf kommen, dass dieses Konzept auch in Kombination mit einem Achtzylinder funktioniert. Zumal die Plattform das hergibt - der Porsche Panamera liefert die Steilvorlage.
Wer weiterhin Lust auf den W12 hat, dem sei versichert: Er ist ja nicht aus der Welt. Es sind genügend Fahrzeuge verfügbar - bleibt bloß das Problem, die irgendwo zwischen 250.000 und 300.000 Euro veranschlagte Summe zu organisieren. Wer diese Möglichkeit hat, wird sich außerdem kaum darüber beschweren, dass dieser Bentley auch mal 15 oder 20 Liter Super zu sich nimmt, wobei er bei moderater Fahr sogar unter 10 kann.
Ich möchte noch eine Wette abschließen. Die letzte Antriebseinheiten der Continental-Modelle, zu denen auch der Flying Spur gehört, werden stärker sein als der jetzige W12. Und vielleicht bollern. Ob das letztlich der Trost sein kann für den W12-Abschied? Irgendwie habe ich ein Déjà-vu: Jaguar feierte ebenfalls Abschied vom Zwölfzylinder, das war Ende 1996. Auch damals gab es einen Achtzylinder als Ersatz. Auch ihn haben die Enthusiasten lieben gelernt. Mal sehen. Ich werde den W12 jedenfalls vermissen. Goodbye.
Quelle: ntv.de