Jetzt auch extra lang Cool, aber teuer - im Land Rover Defender 130 unterwegs


Der kantige Land Rover Defender mit seinen geometrisch-akkuraten Designelementen zitiert die historischen Modelle an mancher Stelle, ist aber beileibe keine Kopie.
(Foto: Patrick Broich)
Die moderne Ikone Land Rover Defender ist ja mittlerweile bekannt. Mit der längsten Version "130" bringen die Briten deren Transportfähigkeit auf ein Maximum. Allerdings wirken die Proportionen gewöhnungsbedürftig, geradezu schrullig. Aber Schrulligkeit passt wiederum zum Defender.
Als der neue Land Rover Defender präsentiert wurde, ging das mit einem lachenden und einem weinenden Auge einher. Die eingefleischten Fans waren raus: So ein moderner Kram würde ihnen nicht in den Sinn kommen. Damit war die Stunde von Milliardär Jim Ratcliffe eingeläutet, der sich mal eben dazu entschied, eine neue Automarke (Ineos) zu gründen und gleichzeitig einen neuen puristischen Geländewagen zu entwickeln (den Grenadier), um enttäuschten Alt-Defender-Fahrern eine potenzielle neue Heimat zu geben. Doch das ist eine andere Geschichte.

Von hinten kann man die sich verbreiternde Silhouette ab der Gürtellinie schön erkennen. Sie ist typisches Merkmal für den Defender und ein Zitat der historischen Modelle.
(Foto: Patrick Broich)
Eigentlich ist der neue Defender total cool. Selten gibt es in der Automobilgeschichte die Möglichkeit, eine Fahrzeugikone in dieser Weise neu aufleben zu lassen - also mit gleichzeitig modernen und traditionellen Elementen. Die Alpine A110 ist auch so ein Beispiel. Allerdings haben die Designer das Original nicht eins zu eins kopiert, wie im direkten Vergleich auffällt, sondern an einigen zentralen Stellen zitiert. Prominent ist beim neuen Modell vor allem die sich nach unten verbreiternde Silhouette, die man am besten von der Heckansicht aus sieht - sie geht glatt als Signatur durch.
Der Defender ist das coolste automobile Arbeitsgerät der Welt

Jawohl, der Defender 130 ist verdammt lang. Genauer gesagt: 5,36 Meter. Die Proportionen wirken dadurch merkwürdig. Oder schrullig? Das darf der Betrachter entscheiden.
(Foto: Patrick Broich)
Interessent ist, welche Philosophie hinter dem Defender 4.0 steckt. Im Ursprung war der schlicht "Land Rover" genannte Geländewagen reines Arbeitsgerät, inspiriert durch den Willys MB. Eines, das allerdings bis in die Zehnerjahre immer wieder leicht verfeinert wurde, aber eben nicht wesentlich - das wäre strukturell gar nicht möglich gewesen. Aber noch als rumpeliges Lasten- und Kraxeltier hat sich der Brite sozusagen einen gewissen Lifestyle-Status erarbeitet. Und exakt mit diesem Wissen im Hinterkopf mussten Ingenieure und Marketingleute nun ein Auto entwickeln, das in dessen Fußstapfen treten können würde.

Im Defender wimmelt es vor Ablagen. Aber auch USB-Anschlüsse und Bildschirmfläche sind reichlich vorhanden.
(Foto: Patrick Broich)
Eins, das irgendwie harter Worker sein würde, aber doch gleichzeitig piekfein. Das ist Land Rover wohl gelungen, wie man heute weiß. Schön ist, dass der neue Defender das Arbeitstier geblieben ist, das er immer war - aber weder Komfort- noch Lifestyle-Faktor bleiben auf der Strecke. Die Armaturen wirken sachlich, aber inszeniert sachlich. Da waren gestandene Innenarchitekten am Werk, die nichts dem Zufall überließen. Allein die Art und Weise, wie der Bordmonitor zwischen den beiden Vorsprüngen der Armaturentafel klemmt - wie die Kladde in einem Transporter, aber doch irgendwie mit Chic. Und dann wimmelt es vor "Defender"-Schriftzügen. Land Rover scheint sich bewusst darüber zu sein, dass der Defender längst zur Marke geworden ist.
In puncto Geländegängigkeit spielt der Defender weit oben mit
Ich erklimme jetzt erstmals diesen besonderen Defender. Besonders deshalb, weil es sich um die nachgereichte Variante handelt mit der größten Länge. Der Radstand entspricht mit 3,02 Metern indes jenem der mittleren Ausführung, nur das Heckabteil wurde verlängert. Die Proportionen sehen daher zugegebenerweise etwas merkwürdig aus, aber dafür kannst du zu IKEA fahren und eine Möbel-Shoppingtour machen oder im Baumarkt ganz viel Rindenmulch kaufen oder Leute spazierenfahren (bis zu acht Personen), von denen selbst die in der dritten Reihe nicht über mangenden Platz klagen.
Der Defender von heute mit der schrulligen Nietenoptik (bei genauem Hinsehen scheinen es Torx zu sein) im Bereich der Türbeläge und Holzeinlagen auf Wunsch ist modern genug, dass er ein veritabler Komfortgleiter geworden ist, der ordentlich geradeaus läuft dank Einzelradaufhängung rundum. Daher schmettert er Langstreckenambitionen nicht durch Widerwilligkeit ab wie das alte Modell. Aber dennoch ist der mit selbst tragender Karosserie und Alu-Monocoque als Basis ausgerüstete Brite ein maximal robuster Offroader.
Seine Abschleppösen sind auf neun Tonnen Zugbelastung ausgelegt, der Böschungswinkel vorn fällt mit 37,5 Grad beachtlich aus, hinten sind es gar 40 Grad - das ist Geländewagen pur. Die Techniker haben die mögliche Achsverschränkung auf die Spitze getrieben (500 Millimeter), um den Bodenkontakt der Räder selbst im maximal unwegsamen Gelände nicht zu verlieren. Und der Defender meistert Schräglagen von bis zu 45 Grad.
Die Triebwerksauswahl ist deutlich feiner geworden inzwischen. Das Experiment, auch im neuen Defender noch Vierzylinder anzubieten, ist man kurzzeitig noch eingegangen - bis die neu entwickelten Reihensechser mit leichter Elektrifizierung die allzu bodenständige Aggregateware verdrängt haben. Mit einem WLTP-Verbrauch von runden neun Litern Dieselkraftstoff je 100 Kilometer schlägt das Powerpaket auch nicht allzu sehr über die Stränge - immer im Hinterkopf, mit welchen Massen und Schleppmomenten man es zu tun hat.
Vielleicht waren die ursprünglichen Basisdiesel einfach zu profan, denn der einstige Worker Defender hat sich in der aktuellen Generation längst emanzipiert, ist zum gehobenen Lifestyle-Werkzeug avanciert, das so funktional ist wie ein Schweizer Taschenmesser.
Der Platz hinter dem Lenkrad ist Chillout-Zone
Um den 2,6-Tonnen-Brocken zu bewegen, spendiert Land Rover im besseren Diesel-Fall einen properen Dreiliter mit stattlichen 300 PS. Dass der mit seinen 650 Newtonmetern Drehmoment kein Problem hat, das 5,36 Meter lange Trumm wuchtig anzuschieben, ist klar. Aber richtig Spaß macht die Sache erst in Kombination mit der feinen Laufkultur. Der Defender legt sämig los dank klassischem Wandler und wird selbst bei vollem Ausdrehen nicht laut, weil der Selbstzünder ja per se nicht hoch dreht. Und ehrlicherweise muss man sich nie vom Drehmoment-Plateau wegbewegen, das in der Bandbreite von 1500 bis 2500 Touren zu finden ist.

Die Fondpassagiere kommen in den Genuss einer eigenen Klimaanlagen-Bedieneinheit.
(Foto: Patrick Broich)
Der Automat passt einfach in flinker Manier die Übersetzungen an (er hat acht zur Verfügung), sodass es immer souverän vorwärts geht. So ist der frühere Arbeitsplatz hinter dem Defender-Steuer - es war schon allein eine Challenge, die alte Ausgabe sauber in der Fahrbahnmitte zu halten - zur Chillout-Zone geworden auf üppigen, klimatisierten Fauteuils. Und schlechte Straßen scheint er einfach einzuatmen - kein Wunder, Federweg ist ja genügend vorhanden. Plus anpassungsfähige Dämpfer und Federn, deren Medium auf Wunsch freilich Luft statt Stahl ist.

Kleiner Besuch beim Möbelhaus gefällig? Dank der üppigen Fahrzeuglänge gibt es auch eine betont lange Ladefläche.
(Foto: Patrick Broich)
Neben der Hauptaufgabe des Fahrwerks, Rumpelpisten zu entschärfen, fallen noch kleine Finessen ab. Wer sich daran macht, das im Falle des Hundertdreißigers bis zu 2516 Liter fassende Gepäckabteil auszuräumen, kann das Fahrzeuglevel per Taster im Kofferraum einfach kurzerhand absenken. Und Fahrwerksgimmicks hat der Defender darüber hinaus noch verdammt viele zu bieten. Und diese sorgen dafür, dass er vor kaum einem Hindernis kapitulieren muss. Features wie die Geländeuntersetzung sowie ein aktives Sperrdifferenzial an der Hinterachse plus die Wattiefe von 90 Zentimetern machen den Briten fit für Gebirgstouren und Seedurchquerungen.
Sämtliche Geländefunktionen lassen sich anno 2023 hightechmäßig per Touchscreen aktivieren. Mit der Funktion "Terrain Response" lassen sich gar diverse Fahrwerkskonfigurationen programmieren, um unwegbare Passagen leichter zu bewältigen. Und per sogenanntem "Wade Sensing" kann der geneigte Geländewagenfahrer auf dem Bildschirm checken, wie hoch das Wasser bereits steht.

Um die Rücken der Passagiere zu schonen, kann man das Fahrzeuglevel per Tastendruck einfach absenken. Luftfederung macht es möglich.
(Foto: Patrick Broich)
Klingt alles allerdings nach ziemlich unwahrscheinlichen Szenarien und ist ohnehin eine Wissenschaft für sich, mit der man sich lange beschäftigen müsste. Gemessen an der Anzahl Defender, die man draußen so herumfahren sieht, dürften wohl nur ziemlich wenige Menschen das volle Kraxelpotenzial ausschöpfen. Dann eher noch den Pferde- oder Autoanhänger über nasse Wiesen ziehen. Ist ja kein Ding, der Defender 130 darf bis zu drei Tonnen an den Haken nehmen.
Aber die allermeisten Defender sieht man gefühlt auf den Flaniermeilen der großen Städte. Also ist es wohl doch nur die Lebensart der möglichen Freiheit, die man genießen oder irgendwie nachahmen möchte. Man könnte ja überall hin, wenn man nur wollte. Vielleicht ist der extralange Defender hier eine Ausnahme und zieht vor allem Interessenten an, die zumindest praktische Fertigkeiten auf der Eigenschaftsliste des nächsten fahrbaren Untersatzes notiert haben. Praktisch ist der Defender definitiv.
Und wer Angst vor der wirklich ausufernden Länge der Topversion hat - ach was, es gibt doch die Rückfahrkamera, auch mit 360-Grad-Funktion. Genauso übrigens wie alle möglichen Infotainment-Gadgets vom Head-up-Display bis zur Smartphone-Integration sowie unzähligen Dingen mehr. Und leistungsfähige LED-Matrix-Scheinwerfer, damit der Fahrer sich auch in den dunkelsten Wäldern zurechtfindet und später beim Ritt nach Hause über die Autobahn bei Dauerfernlicht keine entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer blendet. Um die scheint das System nämlich einfach herum.
Land Rover ist durchaus selbstbewusst bei der Preisgestaltung, andererseits bietet der Defender 130 D300 verdammt viel Auto - mit 94.200 Euro ist man dabei. Spätestens an dieser Stelle werfen altgediente Defender-Fans ihre Apps an und suchen nach der originären Alternative in den einschlägigen Internet-Fahrzeugbörsen. Oder lassen sich von ihrem Land-Rover-Händler ein unverschämt gutes Leasingangebot unterbreiten. Wer weiß.
Datenblatt | Land Rover Defender 130 D300 |
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe) | 5,36 / 2,01 / 1,97 m |
Radstand | 3,02 m |
Leergewicht (DIN) | 2591 kg |
Sitzplätze | bis zu 8 |
Ladevolumen | 290 bis 2516 Liter |
Motorart | 3,0-Liter-Reihensechszylinder-Turbodiesel mit Commonrail-Einspritzung und milder Elektrifizierung |
Getriebe | Achtgang-Wandlerautomatik |
Leistung Verbrenner | 300 PS (221 kW) |
max. Drehmoment | 650 Nm / bei 1500 bis 2500 U/min |
Kraftstoffart | Diesel |
Antrieb | Allradantrieb, permanent |
Beschleunigung 0-100 km/h | 7,5 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 209 km/h |
Tankvolumen | 89 Liter |
Verbrauch (kombiniert) | 9,2 Liter (WLTP) |
CO₂-Emission kombiniert | 241 g/km (WLTP) |
Grundpreis | Ab 94.200 Euro |
Fazit: Der moderne Land Rover Defender mag alten Defender-Hasen einfach eine Spur zu distinguiert erscheinen. Sie mögen vielleicht zum knorrigeren Ineos Grenadier greifen. Oder eben doch zu einem gebrauchten Defender früherer Machart, nachdem sie die Grenadier-Preise gesehen haben. Andererseits ist der neue Defender vielseitig wie nie bei hohem Fahr- und Antriebskomfort. Und die erst kürzlich eingeführte 130er-Version? Ist vielleicht einen Hauch drüber, aber irgendwie eine coole Erscheinung angesichts der schieren Länge. Und richtig viel in den Kofferraum packen lässt sich in diesem Fall ja ebenso. Oder Menschen in den Passagierraum - acht an der Zahl. Sie sehen, es gibt so manche Gründe, Defender 130 zu fahren. Wenn der Preis dieses Unterfangen nicht so häufig verhindern würde.
Quelle: ntv.de