
Nach seiner Krebsdiagnose wächst die Sorge um ihn: König Charles III.
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Was, wenn der britische Monarch lange (oder für immer) ausfällt? Trotz aller öffentlichen Bekundungen haben seine Untertanen Anlass zur Sorge. Der Zustand ist ungewiss - und lenkt von Prinzessin Catherine ab, die ebenfalls erkrankt ist. Das Schlimmste erscheint auf einmal möglich: Prinz William als einsamer Regent.
Kaum ist die eine Krise überwunden, bricht die nächste herein: über das britische Königreich - und die 14 weiteren Staaten, deren Oberhaupt Charles III. gegenwärtig ist. Vor weniger als drei Jahren verstarb sein Vater, vor nicht einmal zwei Jahren die Mutter, und nun ist der noch immer neue König so schwer erkrankt, dass er für die nächsten Monate nicht mehr öffentlich auftreten kann. So viel steht fest.
Dem 80. "D-Day"-Jubiläum Anfang Juni werde der König fernbleiben müssen, lautete eine beiläufige Information in der Adhoc-Berichterstattung der BBC. Für die Briten ist die kollektive Erinnerung an die Landung der alliierten Armeen in der Normandie 1944 von großer Bedeutung, schließlich war sie der Anfang von Hitlerdeutschlands Ende und verhinderte den eigenen Untergang. Dass Charles während der Feierlichkeit von seiner Frau, Queen Camilla, und seinem Sohn, Prinz William, vertreten wird, weckt einerseits Erinnerungen an die letzten Jahre von Königin Elizabeth, als sie sich ebenfalls bei wichtigen Anlässen vertreten ließ.
Gehört dem König der eigene Körper?
Andererseits - und immerhin! - weiß das Volk warum, wie die meisten britischen Medien inzwischen hervorgehoben haben. Das unterscheide sich fundamental von jener Kriegs- und Nachkriegszeit, als Charles' Großvater König war. George VI., der 1936 den Thron bestiegen hatte und am 6. Februar 1952 mit nur 56 Jahren an Lungenkrebs starb, war von den eigenen Ärzten im Ungewissen gehalten und viele Monate nicht über seine terminale Erkrankung informiert worden, von einer öffentlichen Bekanntmachung ganz zu schweigen. Legitimiert wurde diese Geheimhaltung mit der uralten Vorstellung, dass der Körper eines Königs nicht dessen Privateigentum, sondern eine nationale Angelegenheit sei, über die er selbst weder verfügen noch informieren könne. Mit dieser Tradition hat Charles gebrochen - "um Spekulationen zu vermeiden und in der Hoffnung, zum allgemeinen Verständnis für all jene in der Welt beizutragen, die von Krebs betroffen sind", ließ er von der "Royal Communications"-Abteilung im Buckingham-Palast verkünden.
Ausdrücklich heißt es auch, er werde weiterhin "Staatsgeschäften" nachgehen - "State business and official paperwork as usual" -, aber jegliche Pflichten unterlassen, für die er sich in der Öffentlichkeit zeigen muss - "public-facing duties". Ersteres bedeutet, dass er ausreichend Kraft besitzt, um im Amt zu bleiben. Zweiteres könnte bedeuten, dass die kommende Behandlung seine bisherige gesunde Erscheinung verändern wird, weil er sich zum Beispiel einer Chemotherapie zu unterziehen hat.
Sind die neuen Geldscheine schon wieder alt?
Aller Transparenz zum Trotz kommt die Nachricht von Charles' Krebserkrankung - die genaue Diagnose soll vorerst ein Geheimnis bleiben - in einer äußerst kritischen Zeit. Nicht nur, dass etwa in Australien, dem größten seiner Nebenreiche, viel über eine Loslösung von der Krone gesprochen und wohl auch nachgedacht wird. Royalisten wissen genau, dass mit jeder Krise eine neue Übergangszeit wahrscheinlich wird - und mit jedem Übergang eine zunehmende Infragestellung einhergeht. Ein verstärkender Faktor sind dabei die Finanzen, die durch nichts mehr symbolisiert werden als durch Bargeld. Gerade erst wurden daheim und in Übersee Münzen mit Charles' Konterfei in Umlauf gebracht. In diesem Sommer beginnt die Bank of England mit dem Austausch der Geldscheine - eine relativ kostspielige Aktion, wenn man bedenkt, dass sie rein zeremoniellen Charakter hat und mehrere hundert Millionen Pfund verschlingt. Sollte Charles am Ende seine eigenen Geldscheine nicht mehr erleben, werden Kritiker der Monarchie nicht nur den Sinn solcher Rituale hinterfragen, sondern gleich wieder die Institution als Ganzes.
Doch auch für leidenschaftliche Anhänger der Monarchie ist die Lage ein Anlass für Zweifel und Kritik. Fällt sie doch in eine Zeit allgemeiner Unsicherheit und Angst, die durch Brexit und Kriege befeuert wird, und im Unterschied zur Notlage vor 80 Jahren, als Winston Churchill regierte, ohne das Vertrauen in die Regierung auskommen muss. Der gegenwärtige konservative Premierminister Rishi Sunak, der seine Partei in Umfragen so unbeliebt gemacht hat wie schon lange nicht mehr, ist das Paradebeispiel für viele Briten, warum sie Orientierung in einem sattelfesten und inspirierenden Monarchen suchen. Und wenn ausgerechnet Sunak erklärt, der König sei "ganz bestimmt schon bald wieder fit", ist das umso mehr ein Grund zur Sorge.
Äußere Krise, innerer Zustand
Was, so müssen sich die Briten fragen, wenn Charles III. für viele Monate, gar ein Jahr oder mehr ausfällt, sodass das neue karolingische Zeitalter keine Entfaltung findet und am Ende nur ein kurzes wird? Neben der äußeren Krise könnte der neue innere Zustand der britischen Monarchie ins Gewicht fallen - ein Zustand, den der König gemeinsam mit seiner Mutter geschaffen hat. Dafür ist der Kreis der "Working Royals" verkleinert worden, also der Familienmitglieder, die sich aktiv am Königtum beteiligen und zum Beispiel mit Wohnrechten belohnt werden. Wie etwa bei einem Rosenbusch im Garten von Highgrove, der von Krankheiten befallen ist und wild wuchert, wenn man ihn nicht stutzt, gab es für die Veränderung zwingende systemische und optische Gründe.
Da waren einerseits die Peinlichkeiten, für die Charles' Bruder, Prinz Andrew, mit seinen sexuellen Eskapaden und Charles' Sohn, Prinz Harry, mit der Veröffentlichung von Indiskretionen gesorgt hatten. Sie waren nicht mehr tragbar, und die beiden Prinzen wurden aus der ersten Reihe der "Working Royals" verbannt. Andererseits wollte Charles den Kritikern zuvor- und entgegenkommen, indem er die Monarchie sichtbar verkleinerte und scheinbar günstiger machte. Dass der "Sovereign Grant", gewissermaßen das staatliche Stipendium für den Monarchen, im nächsten Jahr von gut 80 auf rund 125 Millionen Pfund springt, bleibt vor dem Hintergrund allerdings erklärungsbedürftig.
Gewinnen die Hofschranzen an Macht und Einfluss?
Besonders heikel erscheint unterdessen, dass die hausinterne Reform ein royales Team geschaffen hat, in dem nur noch zwei Personen jünger als 50 sind: Der Prinz und die Prinzessin von Wales, also Charles' Sohn William und dessen Frau Catherine, genannt Kate. Ausgerechnet sie befindet sich seit Mitte Januar ebenfalls in intensiver medizinischer Behandlung ihres Magens und ihres Unterbauchs, was zu großen Spekulationen geführt hat, denen der Palast bislang nichts entgegensetzt. Prinz William ist als Thronfolger ab sofort mehrfach gefordert: Anstelle des kranken Vaters, an der Seite seiner kranken Frau und mit Sicherheit auch als Vater seiner drei minderjährigen Kinder. George, Charlotte und Louis "von Wales" sind nach ihrem Vater zwar offiziell die nächsten in der Thronfolge, doch laut "Regency Act" von 1937, einer Art gesetzlichen Thronfolgeregelung, müssten sie bis zu ihrem jeweils 18. Lebensjahr vom nächsten volljährigen Verwandten als sogenannter Regent vertreten werden: Das sind zuerst Prinz Harry und dann Prinz Andrew! Gegen dieses unwahrscheinliche, aber mögliche Szenario haben bisher weder der König noch die Regierung etwas unternommen.
Der König selbst müsste ebenfalls von einem "Regenten" vertreten werden, sollte er nicht mehr handlungsfähig sein. Kommt es also im Laufe seiner Krebsbehandlung zu Komplikationen, die ihn am Leben lassen, während er Staatsgeschäften nicht mehr nachgehen kann, würde die Rolle mitsamt dem Titel "King Regent" automatisch Prinz William zukommen. Zuletzt gab es diesen Fall in der britischen Geschichte zwischen 1811 und 1820, als George III noch lebte, aber aufgrund seiner schweren Krankheit von seinem Sohn, dem späteren George IV (und letzten Hannoveraner) vertreten wurde.
Ob und wie sich Prinz William in diesen Zeiten als "Regent" und später als König bewähren würde, ist ungewiss. Der Schutz des Klimas und des Tierreichs scheinen ihm ähnlich wichtige Anliegen zu sein wie seinem Vater. Gleichzeitig sind seine Standpunkte weniger gefestigt und gereift - was den Einfluss der höfischen Diener und Einflüsterer verstärken könnte. Das erklärt, warum sich viele Briten im Moment nichts sehnlicher wünschen, als dass es das Schicksal gut meint: mit seinem Vater und mit seiner Frau.
Quelle: ntv.de