VIP VIP, Hurra!Die Kessler-Zwillinge und die Frage, die uns alle betrifft
Verena Maria Dittrich
Zwei Show-Legenden, die lieber gemeinsam sterben, als in ein Pflegeheim zu gehen: Diese Geschichte hat in dieser Woche viele bewegt. Die Promikolumne diesmal über das Alter, die Angst vor dem Heim und das, worüber wir so ungern sprechen.
"Möchtest du lieber die blauen Obstschalen oder das alte Silberbesteck?" Ich stehe mit meiner Freundin Anett in meiner Küche. Zu unseren Füßen steht eine große Kiste, randvoll mit Dingen ihrer Großmutter. Erinnerungen in Porzellan, eingewickelt in Zeitungspapier. Anett hat die Wohnung der alten Dame ausgeräumt. Zwei kleine Zimmer, Stück für Stück, als würde man die letzten Kapitel des Lebens schließen.
Ihre Großmutter ist 93, eine Frau, die bis zuletzt stolz darauf war, allein zu leben. Nicht auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Doch irgendwann wurden die Stürze häufiger und damit auch Warnsignale, die man nicht mehr weglächeln konnte.
Also beschloss die Familie gemeinsam, dass sie in ein Pflegeheim müsse. Dort aber, erzählt mir Anett, kam alles anders als erhofft. Wegen der ständigen Überbelegung musste die Großmutter ihr Zimmer mit einer völlig fremden Frau teilen, und obwohl sie sich Mühe gab, sich einzufügen, wurde sie stiller. Mit jedem Tag etwas mehr. Sie ging zu Bastelrunden, zu Singnachmittagen und saß lächelnd am Tisch. Und doch war da dieses leise Verschwinden. Ein Jahr hat sie im Heim gelebt. Dann ist sie eines Morgens einfach nicht mehr aufgewacht. Friedlich, wie man sagt.
Wir reden oft über das Alter, über diese diffuse Angst vor dem Heim. Keiner von uns will dorthin. Wir fantasieren über Wohngemeinschaften im Grünen, über generationenübergreifende Wohnmodelle, über spätere Alternativen, die immer irgendwie nach Zukunft und ewiger Freiheit klingen. Und dann holt uns der Alltag zurück. Man verschiebt die Gedanken, weil man glaubt, noch Zeit zu haben. Jahrzehnte vielleicht, wenn man gesund bleibt. Und trotzdem: Seit dieser Woche liegt wieder diese Schwere in der Luft.
Pflegebedürftigkeit ist keine Option
Denn spätestens seit dem Tod der Kessler-Zwillinge weiß man wieder, wie wichtig es ist, auch die eher unbequemen Gespräche zu führen. Und wie tief die Angst vieler Menschen vor dem Altersheim sitzt. Alice und Ellen Kessler, diese beiden legendären, blond leuchtenden Show-Ikonen, die seit den 50er-Jahren mit ihren endlos langen Beinen, ihren perfekten Synchrontänzen und ihrer preußischen Disziplin zum Inbegriff deutscher Unterhaltung wurden, waren jahrzehntelang unzertrennlich. Sie standen mit 16 im "Palladium" in Paris auf der Bühne, tanzten im Lido, sangen im Fernsehen, gehörten in den 60ern zu den international gefragtesten Entertainerinnen und blieben dabei immer Team Kessler: zwei eigene, große Persönlichkeiten, ein Rhythmus und ein gemeinsames Leben.
Genau dieses Leben haben sie bis zuletzt konsequent gemeinsam geführt. 89 Jahre alt. Stolz und von Millionen bewundert. Und trotzdem standen auch sie am Ende vor derselben Frage wie jeder andere Mensch, ganz egal wie glamourös die Vergangenheit war: Was passiert, wenn man in ein Heim müsste? Was, wenn der Körper nicht mehr mitmacht? Was bleibt von einem Dasein, das immer aus einer fast radikalen Autonomie bestanden hatte?
Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben bestätigte, dass Alice und Ellen Kessler ihren Tod selbst bestimmt haben. Sie hatten das Datum festgelegt und den Ablauf geplant. Und vor allem hatten sie klar gesagt, dass Pflegebedürftigkeit für sie keine Option sei. Denn machen wir uns nichts vor: Ein Heim bedeutet für viele den Verlust der Selbstbestimmung und die große Angst vor dem Dahinvegetieren. Vielleicht sogar in einem Zimmer, das man mit einer fremden Person teilen muss.
Dass sogar Ina Müller sich kurz vor dem Tod der Zwillinge in einer Talkshow dazu äußerte, zeigt, wie nah dieses Thema jetzt wieder an uns herangerückt ist. Die lebensfrohe Entertainerin, die mit 60 Jahren allein lebt, erzählte plötzlich völlig unironisch davon, Mitglied im Verein Sterbehilfe werden zu wollen. Sie wolle im Alter niemandem "zur Last fallen".
Die Angst, als Bettennummer zu enden
Und Müllers Gedanken, die viele Menschen umtreiben, zeigen auch, wie wenig selbstverständlich Würde im Alter geworden ist. Früher, so schien es mir zumindest, war es irgendwie klar, dass die Älteren mit dazugehörten. Man kann das verklären, sicher, aber bilde ich mir das nur ein, wenn ich denke, dass der Respekt immer mehr abhandenkommt? Heute stehen Pflegeheime chronisch unter Druck. Überall fehlt Personal. Angehörige zahlen sich dumm und dämlich, obwohl sie ihr Leben lang in ein System eingezahlt haben, das eigentlich Sicherheit versprechen sollte.
Und bei all den Gedanken fällt mir sofort der RTL-Investigativreporter Günter Wallraff ein, der auf schockierende Weise dokumentiert hat, wie Menschen in Heimen stundenlang sich selbst überlassen werden, unversorgt und ungewaschen. Niemand will so enden. Niemand.
Da standen Anett und ich also über dieser Kiste, und wir sprachen über die Angst davor, eines Tages im falschen Heim zu landen und als Bettennummer zu enden. Die Kessler-Zwillinge haben eine klare Entscheidung getroffen. Ina Müller denkt über ihre nach. Und ich merke: Wir sollten das Thema nicht länger wegschieben. Denn alt werden wir alle. Die Frage ist nur, wie.