
Kommentatoren können nerven. Ohne sie wäre es aber sehr still beim Fußballschauen.
(Foto: imago sportfotodienst)
Die deutsche Nationalmannschaft spielt das erste Mal bei der WM in Russland und im Stadion herrscht Stille. Ein Horrorszenario. Um das zu verhindern, muss Fußball nicht nur auf dem Rasen stattfinden, sondern auch im Mund.
Ein Fußballspiel ohne Sprache ist wie ein Brot ohne Butter: genießbar, aber langweilig. Nicht nur die Dialoge zwischen den Spielern auf dem Rasen oder mit dem Trainer sind essentiell für den Spielverlauf. Auch Kommentare, Gesänge und Kneipendebatten der Fans verleihen einem Fußballspiel seinen Charakter. "Ohne Sprache kein Fußball", schreibt der Journalist Christoph Marx in seinem Buch "Der springende Punkt ist der Ball" über die "wundersame Sprache des Fußballs." Spätestens ab 17. Juni werden die deutsche Nationalmannschaft, die deutschen Fans und die deutschen Sportjournalisten ihre Wortgewandtheit unter Beweis stellen. Dann hat die DFB-Elf gegen Mexiko ihren ersten Aufritt bei der Fußball-WM 2018 im Moskauer Stadion Luschniki.
Zur Bedeutung der sprachlichen Komponente im Fußball passt, dass der Sport durch einen Braunschweiger Deutschlehrer ab 1847 in Deutschland publik wurde. Konrad Koch versuchte mit einem eigens aus Großbritannien georderten Lederfußball seine Gymnasialschüler zu mehr körperlicher Aktivität zu ermutigen. 1903 entwarf Koch einen deutschsprachigen Vokabelkatalog, der sich den bisher gebrauchten englischen Fußballbegriffen entgegenstellte, und ließ diesen in Vereinen und an Schulen zirkulieren. Dass heutzutage auf deutschen Fußballplätzen der "Stürmer" das "Tor" erzielt und nicht etwa der "forward" das "goal", ist Koch zuzuschreiben.
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Fußballsprache stark vom Militär geprägt. Es geht um "Siegen oder Sterben", wie Benito Mussolini es der italienischen Nationalelf bei der Weltmeisterschaft 1938 in Frankreich androhte. Die Spieler machen sich "klar zum Gefecht", wie Marx schreibt, oder gehen auf "gleicher Marschroute". Die politische Vereinnahmung des Sports schritt voran. 1923 schrieb der "Berliner Lokalanzeiger" gar von einer "Völkerwanderung gen Stadion". Diese Entwicklung beobachtet Marx in seinem Buch aber auch in entgegengesetzter Richtung. So schreiben Medien heutzutage über "Eigentore" von Politikern, die gelegentlich "den Ball flachhalten". Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel greift auf Fußballfloskeln zurück, wenn sie über die Chancen in der vor ihr liegenden Amtszeit spricht. 2006 sagt sie dazu auf dem CDU-Parteitag: "Ja, wir haben schon einige tolle Tore geschossen. Ja, wir hatten einige gute Chancen, aber gewonnen ist noch gar nichts."
Die Vermischung von Alltags- und Fußallsprache nimmt seit Kochs Vokabelvorgaben stetig zu. Wer kontinuierlich auf ein Ziel hinarbeitet, "bleibt am Ball" und wer besonders schlagfertig ist, kann "gut kontern". Dabei weist die Sprache, die Fußballer und Beteiligte sprechen, eine Besonderheit auf: Sie ist extrem anschaulich gestaltet. Dafür greift sie auf metaphorisch-eindeutige Bezeichnungen aus den Bereichen Militär ("Ballgefecht"), Natur ("Bananenflanke"), Kunst ("Mittelfeldregisseur") und Technik ("Torfabrik") zurück und setzt diese in einen fußballerischen Kontext. Aber auch fußballerische Wortneuschöpfungen dienen der Veranschaulichung: Wenn Stürmer Thomas Müller ein Tor für den FC Bayern München oder die DFB-Elf schießt, dann "müllert" er - ebenso wie sein Namensvetter Gerd Müller in den Sechziger- und Siebzigerjahren.
"Das Ding" sagt alles

Mit dem FC Bayern München gewinnt Oliver Kahn 2006 „das Ding“ alias den DFB-Pokal.
(Foto: Duden Verlag)
Neben ausgereiften Wortbildern gibt es in der Fußballsprache einen ausgeprägten Hang zu Verkürzungen. Diese machen lange Erklärungen des Spielablaufes überflüssig: So schießt der Stürmer knapp gesagt ein "Tor" oder begeht ein "Foul" statt einen Ball in ein metallumrandetes Netz zu treffen oder einen Konkurrenten regelwidrig zu berühren. Das vereinfacht die Kommunikation auf und neben dem Rasen für Spieler, Schiedsrichter, Fans und Kommentatoren. Zudem gibt es kurze Wörter, die universell einsetzbar und von vielfacher Bedeutung sind - zum Beispiel "Das Ding". Spieler können "Das Ding" drehen, reinmachen, abliefern oder sogar in den Händen halten - wie Torwart Oliver Kahn gerne formulierte, wenn er einen Pokal in die Höhe hob.
Eine weitere Spezialität von Fußballakteuren ist der Hang zur Übertreibung. Wenn eine Mannschaft eine schlechte Partie spielt, kickt sie "unterirdisch" und steht häufig beinahe vor einem "historischen Debakel", während der Gegner "furios" einen "bärenstarken" Fußball abliefert. Hüten sollten sich Kommentatoren allerdings vor dem Phrasenschwein. Das kann einen finanziellen Tribut verlangen, wenn mal wieder "Das Runde ins Eckige muss" (Josef Herberger). Besonders phrasenbegeistert zeigen sich die inzwischen medial erprobten Spieler in ihren Statements nach Spielende. Während Rekordnationalspieler Lothar Matthäus noch direkt aussprach, was ihm gerade in den Sinn kam ("Gewollt hab ich schon gemocht, aber gedurft ham sie mich nicht gelassen"), geben sich aktive Fußballprofis diplomatischer. Da wird direkt nach dem Spiel auf beliebte Floskeln wie "Wir müssen jetzt das Spiel abhaken und nach vorne schauen" oder das allgemeingültige "So ist Fußball" zurückgegriffen.
Floskelkönig Beckenbauer

1977 spielt Franz Beckenbauer beim FC Bayern München und ist ein gefragter Interviewgast.
(Foto: Duden Verlag)
Der Kaiser der inhaltslosen Floskel ist laut Marx aber Franz Beckenbauer mit Sätzen wie "Der Grund war nicht die Ursache, sondern der Auslöser." Widersprüche, Beleidigungen und Allgemeingültigkeit wie "Gehts raus und spielts Fußball" gehören zu den Markenzeichen des ehemaligen Spielers, Trainers und Funktionärs und haben mittlerweile Eingang in die Alltagssprache gefunden. Unvergessen und gern zitiert ist auch die Rede des italienischen Trainers Giovanni Trapattoni zur Kritik innerhalb des FC Bayern München. "Schwach wie eine Flasche leer" und "Ich habe fertig" sind noch immer bei Familienfeiern, in Büros und Fußballkneipen zu hören.
Es sind diese Emotionen und die Sprache, von denen der Fußball lebt. So gipfelt der Versuch von Weltmeister Andreas Möller, nach einem Spiel seinen Gemütszustand auszudrücken, in der legendären Nonsense-Floskel "Vom Feeling her habe ich ein gutes Gefühl". Nicht nur mit Posen und Gesten à la Cristiano Ronaldo bringen die Profis nach einem Tor ihre emotionale Lage zum Ausdruck. Auch sprachlich weicht gelegentlich die Anspannung und produziert historische Zitate. Jürgen Klinsmann beschrieb es einmal so: "Der Druck entlädt sich beim Torschuss - ein Wahnsinns-Feeling. So ähnlich wie beim Sex."
Schon in ihrem ersten Vorrundenspiel wird die deutsche Nationalmannschaft den Klinsmannschen "Sex" abliefern müssen, wenn sie um den WM-Titel mitspielen möchte. Wenn man allerdings den Worten von Fußballlegende Gary Lineker folgt, stehen die Chancen für die DFB-Kicker gut, "Das Ding" am 15. Juli im Moskauer Olympiastadion in den Händen zu halten: "Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen."
Wer während der WM mit sprachlicher Expertise glänzen will, dem seien folgende Fachvokabeln empfohlen:
Ampelkarte: Gelbe und Rote Karte als optisches Zeichen für das Verweisen eines Spielers vom Spielfeld nach einem Foul und seine Sperre für das nächste Spiel
Angsthasenfußball: defensives, alle Risiken scheuendes Spielverhalten
Ärmste Sau: gemeint ist der Trainer
Ballstafette: Passspiel über mehrere Stationen mit Raumgewinn
Bananenflanke: Zuspiel des Balls mit gekrümmter Flugbahn in Form einer Banane
Bankdrücker: Spieler, der die meiste Zeit auf der Ersatzbank verbringt
Beinschere: Gegenspieler durch Einklammern mit beiden Beinen zu Fall bringen
Blutgrätsche: brutales Reingrätschen in Gegenspieler mit Inkaufnahme von Verletzungen
Capo: Fanführer, der andere zu Sprechchören und Gesängen animiert
Chancentod: Vergabe jeglicher Tormöglichkeiten
Chant: Sprechchor, Fangesang
Diver: jubelnder Spieler, der mit gestrecktem Oberkörper über den Rasen rutscht
Dosenöffner: richtungsweisende Spielszene
Dreiundzwanzigster Spieler: gemeint ist der Schiedsrichter
Dritte Halbzeit: gemeinsames Trinken der Fans nach dem Spiel, oder auch Ausschreitungen gewalttätiger Fans
Drübersäbeln: beim Schussversuch über den Ball treten
Effet: Drall des Balls durch Anschneiden beim Schießen
Eindrücken: Ball mit geringem Kraftaufwand ins Tor befördern
Eisenfuß: kompromisslos, hart spielender Verteidiger
Elfmetertöter: Torwart, der häufig Elfmeter hält und dafür von anderen Mannschaften gefürchtet ist
Favoritenschreck: Mannschaft, die bekanntermaßen erfolgreichere Teams schlägt
Fliegenfänger: mieser Torwart
Flügelflitzer: schneller wendiger Außenstürmer
Flügelzange: Außenstürmer, der erheblichen Druck auf die Verteidiger ausübt
Fritz-Walter-Wetter: Dauerregen, wie ihn der Kapitän der Nationalelf von 1954 liebte
Fummelkönig: Spieler, der sich durch übertriebene Dribbelaktionen festspielt und den Ball verliert
Geholze: technisch wenig versiertes Spiel mit vielen Fouls
Goalgetter: Spieler, der häufig Tore erzielt
Groundhopper: Fans, die bei vielen Auswärtsspielen dabei sind und quasi Stadien sammeln
Hand Gottes: nach Diego Maradona benanntes vorsätzliches Handspiel
Heber: über den Torwart/Spieler gelupfter Ball
Hools: Abkürzung für Hooligans
Kantersieg: müheloser, deutlicher Spielgewinn
Karnevalsverein: nicht ernstzunehmender Gegner
Kettenhund: Sonderbewacher eines gefährlichen Gegenspielers
Kinderriegel: aus jungen Spielern bestehende Abwehr
Knipser: Torjäger
Legionär: Spieler mit Vertrag bei einem ausländischen Verein
Lichtgestalt: Franz Beckenbauer
Lufthoheit: Überlegenheit beim Kopfballspiel
Mittelfeldraute: System mit defensivem, offensivem, linkem und rechtem Mittelfeldspieler
Müllern: aus allen möglichen Positionen ein Tor schießen wie Gerd und Thomas Müller
Nadelstiche: Gegner durch Aktionen verunsichern
Nickligkeit: geringfügiger Regelverstoß gegenüber Gegner
Offensivgeist: Angriffsbemühungen
Papierform: vermeintliche Stärke einer Mannschaft aufgrund früherer Resultate
Pausentee: Halbzeitpause
Pferdekuss: Bluterguss am Oberschenkel durch gegnerischen Tritt oder Stoß
Phantomtor: vom Schiedsrichter anerkanntes, regelwidrig erzieltes Tor
Pitch-Invasion: Fans stürmen den Fußballplatz
Querschläger: unkontrolliert fliegender Ball
Reklamieren: Protest gegen Schiedsrichterentscheidung
Rochieren: Positionstausch im Spiel, um z.B. Gegner zu verwirren
Schießbude: Mannschaft, die viele Tore kassiert
Schlagerspiel: mit großer Spannung erwartetes Spiel
Schokoladenbein: stärkeres Bein eines Spielers
Sense ausfahren: Foul per Beinschlag
Sommerkick: ohne größere Anstrengungen geführtes Spiel
Staubsauger: vorgezogener Abwehrspieler
Tannenbaumsystem: Spielaufstellung nach dem Muster 4-3-2-1
Thekenmannschaft: Amateurteam
Tiki-Taka: von der spanischen Nationalelf geprägtes gewitztes Kurzpassspiel, um den Gegner auszuspielen
Umgekrempelte Mannschaft: umgestelltes Team mit vielen neu besetzten Spielerpositionen
Vollstrecker: jede sich bietende Torchance nutzender Stürmer
Wasserträger: einen Teamkameraden unterstützender Spieler
Wühler: unermüdlich kämpfender Spieler
Zampano: autoritärer Trainer
Zweiter Anzug: B-Mannschaft
Dieser Text ist Teil der großen WM-Multimedia-Reportage von n-tv.de.
Quelle: ntv.de