Unterhaltung

Ein Kölscher Jung für alle Mehr Böll wagen

Böll in seiner Wohnung in Bornheim/Merten.

Böll in seiner Wohnung in Bornheim/Merten.

(Foto: imago/Sven Simon)

Kein Bücherregal in (West)-Deutschland ohne ein Werk von Heinrich Böll, oder? Inzwischen haftet dem Literaturnobelpreisträger etwas Altbackenes, Gestriges an. Dabei ist er jetzt, zu seinem 100. Geburtstag, aktueller denn je.

Wofür Heinrich Böll alles steht, hat der Bundespräsident in diesen Tagen deutlich gemacht: bei einem Abend im Berliner Schloss Bellevue, der auf humor- und liebevolle Art und Weise den Autoren feierte. Politik und Kultur versammelte sich, um den Inhalt vieler Deutschstunden und Gesprächsrunden und vor allem ihren Urheber und Inspirator zu feiern. Auf eine beschwingte, fast heitere Art soll ihm dort gehuldigt worden sein. Es ging um Katholizismus, das Deutschsein (insbesondere das Rheinländersein) und Gesang.

Böll im Oktober 1970 bei einer Pressekonfernz in Castrop-Rauxel.

Böll im Oktober 1970 bei einer Pressekonfernz in Castrop-Rauxel.

(Foto: dpa)

Wem das zu schunkelig und zu oberflächlich erscheinen mag, der sei darauf verwiesen, dass es eine weitere Veranstaltung geben wird, in unmittelbarerer Nähe des Geburtsortes des Gefeierten, denn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird 2018 zu einem weiteren Abend laden, nach Bonn. Und da soll es vor allem um den politischen Autoren Böll gehen, um den Zerrissenen, um den, der Generationen nach ihm geprägt hat und der mit seiner Vielfältigkeit bestach.

Böll, der die alte Bundesrepublik wie nur wenige andere intellektuell geprägt hat, war ein großer Hinterfrager dieser damals noch jungen Republik. Er war ein Adenauer-Kritiker, demonstrierte gegen Atomkraft und unterstützte russische Dissidenten. Er liebte Kirchen und stand ihr doch immer kritisch gegenüber. Böll selbst sagte über sich in "Ansichten eines Clowns": "Ich bin nicht religiös, nicht einmal kirchlich, und bediene mich der liturgischen Texte und Melodien aus therapeutischen Gründen: Sie helfen mir am besten über die beiden Leiden hinweg, mit denen ich von Natur belastet bin: Melancholie und Kopfschmerz." Ein bisschen melancholisch wirkte er, der Baskenmützenträger, tatsächlich immer, aber im guten Sinne.

Lebensluft seiner Generation

Zu seiner Heimatstadt Köln hatte er eine enge Verbindung, vielleicht war es eine Art Hassliebe. Nach der Erfahrung des väterlichen Bankrotts während der Inflation der 1920er Jahre und den traumatischen Kriegserfahrungen begehrte Böll nach 1945 gegen das alte Deutschland mit seinen Nazi-Relikten auf, gegen die Springer-Presse und gegen alles Bigotte. Er war ein "angry young man". Erst im Alter wurde er versöhnlicher. Und man wurde auch erst später wieder versöhnlich mit ihm. Lange haftete ihm an, dass er ein Sympathisant der RAF gewesen sein soll.

Doch sowohl in seinem Schreiben, als auch in seinem intellektuellen Gewicht führte kein Weg an Böll vorbei. 1972 verlieh man ihm den Literaturnobelpreis. Ein Jahr zuvor war sein Roman "Gruppenbild mit Dame" erschienen. In der Begründung für den Preis verwies die Schwedische Akademie auf seine meisterhafte Fähigkeit, "mit sparsamen, mitunter nur angedeuteten Konturen sein Milieu und dessen Figuren lebendig werden zu lassen". Sie speise sich aus der "Lebensluft, die seine Generation atmen musste, das Erbe, das sie anzutreten hatte".

Trotz Nobelpreis kamen Jahre, in denen geringschätzig auf Böll geschaut wurde. Überall las man, Böll sei von ein paar Ausrutschern abgesehen ein guter Mensch, aber kein besonders guter Schriftsteller gewesen. Wie kann das sein, bei einem Werk, wo einem jedes zweite Buch bekannt vorkommt? "Doktor Murkes gesammeltes Schweigen", "Billard um halbzehn", "Ansichten eines Clowns", "Ende einer Dienstfahrt", "Gruppenbild mit Dame", "Irisches Tagebuch" (immer noch gern benutzt von Irland-Reisenden), "Die verlorene Ehre der Katharina Blum", "Frauen vor Flusslandschaft".

Würde er sich heute freuen, wenn er wüsste, was für Gedanken man sich 32 Jahre nach seinem Tod über ihn macht? Dass er noch immer gelesen wird, verehrt und zurate gezogen? Vielleicht haftet Böll der Geruch der alten Bundesrepublik an, vielleicht sind seine Romane inzwischen eher als historisches Zeugnis zu lesen, möglicherweise ist sogar der Nobelpreisruhm verblasst. Höchst aktuell und lesenswert aber ist er bis heute. Seine Haltung, seine Zivilcourage und sein Sich-Einsetzen für andere (wie für Wolf Biermann nach seiner Ausbürgerung aus der DDR) halten das Interesse an ihm hoch. Wie hatte Böll noch selbst gesagt? "Einmischung ist die einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben."

Quelle: ntv.de

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