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"Und was ist dein Rosebud?" Noch wach mit Stuckrad-Barre

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Benjamin von Stuckrad-Barre: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

(Foto: dpa)

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Na logo, alle sind wach. Und haben schon dieses Buch gelesen, wenn sie in der Medien-, Springer- oder Stucki-Welt leben. Durch sowohl äußerst geschickte als auch ungewöhnliche Vermarktung stieg die Spannung für die Wissenshungrigen ins fast Bodenlose. Vorneweg gesagt: Das Buch ist gut. Enthüllungen? Vielleicht.

Was soll das denn sein, ein "Rosebud"? Benjamin von Stuckrad-Barres Erzähl-Person, noch in der Ausbildung (wie er selbst damals, zum deutschen Literatur-Wunderkind, Wundermann, Stucki-Män), isst gerade Chicken-Wings, wie so oft, mit dem Chef vom fiktiven Medienbetrieb, da lässt dieser Chef so nebenbei die Frage fallen, was denn "dein Rosebud" sei. Die Erzähl-Person fragt sich kurz, ob ein florales Tattoo gemeint sein könnte, da setzt der Chef schon zur Erklärung an (siehe Seite 13).

Anyway, die Erzähl-Person "is in the game now" und traut sich, nachzufragen. Das sollte man immer: sich trauen und nachfragen. Außerdem springt bei der ganzen Sache eine Verabredung im "Borchi" raus und diverse Ankündigungen, wohin der Chef gedenkt, sie, die Erzähl-Person, demnächst mitzunehmen. Zum Papst zum Beispiel oder an die Klagemauer ("Muss man gesehen haben."), die Warnungen der anderen - neidvoll oder ernst gemeint - verhallen im Wind. Willkommen in der schönen neuen Welt der Chefetage. Die Luft wird dünner, aber eben auch exklusiver.

"Schlüsselroman? Was soll das sein?"

Apropos exklusiver, die Kollegen vom "Spiegel" hatten die Gelegenheit, mit von Stuckrad-Barre zu sprechen und stellten - nicht überraschend allerdings - fest, dass der Buchtitel "Noch wach?" einer Nachricht entstammt, die Ex-"Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt, dessen Namen zu nennen von Stuckrad-Barre zu vermeiden sucht, einer jungen Kollegin mitten in der Nacht geschickt hat. Die Frage lautet: "Haben Sie einen Schlüsselroman über den Springer-Verlag geschrieben?" Und Stuckrad-Barre antwortet: "Schlüsselroman? Auf gar keinen Fall. Was ist das auch für ein unangenehmes Wort, was soll das überhaupt bedeuten? Bei 'Schlüsselroman' denken alle an die falsche Tür."

Sein Buch sei ein Klassiker der SMS-Kommunikation. "Fast jeder, der mal eine Weile im Nachtleben unterwegs war, hat das selbst schon geschrieben oder eine so lautende Nachricht bekommen - nur eben besser nicht im Rahmen eines beruflichen Abhängigkeitsverhältnisses", erläutert der Autor und fügt hinzu: "Aber vielleicht bin ich da auch neumodisch. Davon abgesehen: Ich würde niemals ein Buch über diesen Mann schreiben."

Gut, dann also kein Buch über diesen Mann, vielleicht über einen anderen? Über Springer-Chef Mathias Döpfner vielleicht? Für den sich jetzt, vielleicht nach fast 20 Jahren, mit den Enthüllungen des Benjamin von Stuckrad-Barre, der seitdem durchaus geläufige Poesie-Album-Spruch, den Döpfner bereits 2006 in einem "Spiegel"-Gespräch zu Günther Grass prägte: "Für die 'Bild'-Zeitung gilt das Prinzip: Wer mit ihr im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten", nun vielleicht selbst bewahrheiten sollte? Man weiß es (noch) nicht. Einige sagen, dass jeder andere Manager, vor allem in den USA, schon längst seinen Hut und seine Chicken-Wings hätte nehmen müssen.

Apropos den Hut nehmen: Das Buch sei zwar inspiriert von verschiedenen realen Ereignissen, bleibe aber eine losgelöste und unabhängige fiktionale Geschichte. "Noch wach" sei ein "völlig eigenständiges neues Werk", betonen Schriftsteller und Verlag. Der Autor habe sich lediglich realer Ereignisse bedient. Und wer sich angesprochen fühlt, ist selbst schuld? Oder einfach ein Schelm, wer Böses dabei denkt? "Mein Buch ist Literatur und kein Klatsch", betont von Stuckrad-Barre im Interview des "Spiegel". Was über ihn und sein Verhalten bekannt ist, wäre kein Romanthema, wenn es nicht woanders vergleichbar vorkäme, erklärt er. "Ich interessiere mich nicht für diesen Typen, sondern für einen bestimmten Typus Mensch. Von dem erzähle ich in meinem Roman."

Gut, hätten wir das also geklärt. Der von Stuckrad-Barre nicht gern beim Namen genannte Julian Reichelt jedoch hat, laut "Tagesspiegel", schon mal seinen Anwalt losgeschickt, um die 373 Seiten "Noch wach?" auf eventuelle Persönlichkeitsverletzungen überprüfen zu lassen. Vorneweg: Sein Anwalt legt Wert darauf, dass Julian Reichelt bis heute "kein machtmissbräuchliches Verhalten nachgewiesen werden konnte". Wiederholt wurde bereits mehrfach - in den nur wenigen Stunden seit Erscheinen des Buches - dass dieses nicht den Springer-Skandal zum Thema habe und auch nicht die Person Julian Reichelt.

Ein intrinsisches Werk

Warum nun also dieses Buch lesen, wenn Sie in den nächsten Tagen doch ÜBERALL ALLES über dieses Buch lesen werden und so auch schon mitreden können? Erstens: Der Mann kann schreiben. Auf eine unvergleichlich einnehmende Art. Und er kennt die Trigger-Wörter: "Pool", auch "Pool-Sozialismus", "Absinthfarben", "Zitronenbaum", "Arschbombe", "Los Angeles", "Die letzten Tage der Menschheit", "Mama", "Scheinwelt", "Spiritanimal", "Altbau", "Jetzt geht seine Ex-Ex auf die Ex los!" und "Chateau Marmont". Der Autor kehrt an alte Schauplätze zurück, das erweckt Vertrauen und die Lesenden dürfen sich zu Hause fühlen. Ein intrinsisches (auch so ein Triggerwort) Werk. Intrinsisch = durch in der Sache liegende Anreize bedingt.

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Und er schreibt so oft Dinge, die man selbst schon gedacht hat. Zumindest, wenn man "irgendwas mit Medien" macht: "(...) er (der Chef, Anm.d.Red.) macht sich eine Notiz - er schreibt auf, was du gesagt hast und er lobt dich. Er sagt, die anderen sollten sich ein Beispiel an dir nehmen. Sie hassen dich jetzt, aber auf eine interessante Art, und sie grüßen dich auch außerhalb des Büros (...)." Fest steht: "Noch wach?" jongliert auf zwei Ebenen. Auf der einen geht es um eine zerbrechende Freundschaft zwischen der Erzähl-Person und einem Chef. Auf die Analogie zu seiner ehemaligen Männerfreundschaft mit Mathias Döpfner angesprochen, antwortet von Stuckrad-Barre lakonisch: "Wenn Sie meinen. Aber Männerfreundschaft, das klingt nach Umkleidekabine, Bier und Pisse. So etwas pflege ich nicht." Bier, Pisse, Männerfreundschaft - Trigger, hach ...

Und - von Stuckrad-Barre erklärt, was Frauen wollen: Sie wollen, dass man/Mann ihnen zuhört. "Männer fragen einen ja gar nichts, die erzählen nur, wie unfassbar toll sie sind - statt es einfach mal zu sein." Dafür möchte die Autorin dieser Zeilen den Autoren einfach nur küssen. Doch weit gefehlt, "Noch wach?" ist kein #MeToo-Roman geworden.

Und Stucki, wie ihn seine Freunde oder Verehrer und alle, die ihn gern besser kennen würden, nennen, fasst nochmal für die letzten Deppen zusammen, die einfach nicht zwischen Roman und Sachbuch unterscheiden wollen: "Das 'Ich' des Buches, das bin ja nicht ich, auch wenn wir uns gut kennen. Und die wichtigste Figur ist ohnehin keiner dieser Typen, sondern die ebenfalls fiktive Heldin Sophia." Von mir also noch ein Kuss, und jetzt ist Schluss: Schon Omma wusste, dass die besten Geschichten das Leben schreibt. Aber wir wissen inzwischen auch, dass die guten Autoren sie so zu schreiben wissen, dass ihnen kein Anwalt "an den Karren pissen" kann.

Quelle: ntv.de

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