Surreal, meisterhaft, aktuell Salvador Dalí wäre heute ein Influencer


Salvador Dalí: "Der Surrealismus ist destruktiv, er zerstört jedoch nur das, was er als Fesseln betrachtet, die unsere Sicht einschränken." (Foto: "Galas Fuß")
(Foto: FOTOGASULL / Fundació Gala-Salvador Dalí, Figueres)
"Lobster Calling - Die Kunst und das Leben von Salvador Dalí", dem Genie, dem Synonym für Surrealismus. Heute sagen wir gern so dahin: "Ist das nicht total surreal?", wenn wir uns etwas nicht erklären können, dabei erklärte Dalí bereits im vergangenen Jahrhundert die Welt auf seine eigene Art und schaffte damit ein neues Universum.
Wenn man der Realität entrücken möchte, wenn man etwas Schönes braucht, was aber nicht realistisch ist, wenn man der aktuellen Welt entfliehen oder die Zeit anhalten möchte - dann könnte man zum Beispiel zu Salvador Dalí greifen. Er ist einer der Titanen der modernen Malerei, der Inbegriff des surrealistischen Künstlers. Dalí war aber auch Performer, Designer und Visionär. "Lobster Calling - Die Kunst und das Leben des Salvador Dalí" könnte es schaffen, den Betrachter in so eine andere Welt zu versetzen. Falls dieser nicht mehr über den Preis dieses phänomenalen Bildbandes nachdenkt - aber das steht auf einem anderen Blatt. Und gelegentlich muss man sich etwas gönnen in den tristen Zeiten, in denen wir uns zumindest politisch gerade befinden.
Diese Publikation präsentiert Dalís Werk nicht nur in einem beispiellosen Format und Detailreichtum, sondern liefert mit Fotos, Skizzen und Magazinseiten Einblicke in das Leben des Ausnahmekünstlers. Von Katalonien geht es über Paris nach Hollywood und wieder zurück nach Hause. Aber warum fasziniert dieser Künstler, zu Lebzeiten und auch lange nach seinem Tod, die Massen derart? Heute, wo wir uns alles selbst am Rechner herstellen können, Fotos machen, sie beliebig bearbeiten, mit Computer-unterstützten Programmen zeichnen; wo jeder Einzelne wirklich individualistischer sein darf - theoretisch - als je zuvor? Liegt es vielleicht daran, dass wir spüren, dass diese Form der Darstellung, auch des Sich-selbst-Darstellens, bald wieder ein Ende finden könnte? Weil zu viele böse Mächte am Werk sind, die die Individualität des Einzelnen einschränken wollen, die Konformität wünschen? Die alles, was ausschert, plattmachen wollen?
Dalí ist ein Vorbild, eine Ikone für viele, und er ist zum Synonym für den Surrealismus geworden. Seine fließenden Uhren, die brennenden Giraffen und Hummertelefone wirken wie eine natürliche Sprache aus dem Reich der Träume. Doch sein Werk birgt noch immer viele weitere Überraschungen, denn Dalí war getrieben von dem Wunsch, sich mit der Welt auseinanderzusetzen - sei es die Erforschung der katalanischen Landschaft oder seine Reaktionen auf die Erfindung der Atombombe, die er in Gemälden verarbeitete.
"Wie ein Engel"
Er entwickelte seine eigene "paranoisch-kritische Methode", erforschte optische Täuschungen, Doppelbilder und stereoskopische Gemälde, erfand das "surrealistische Objekt mit symbolischer Funktion", schuf prächtige Kulissen für seine eigenen Ballette und inszenierte sich selbst in fotografischen Kollaborationen als Schnurrbart tragendes Genie. Darüber hinaus malte er einfach "wie ein Engel", wie Kritiker stets anerkannten. In späteren Jahren wandte er sich der klassischen Kunst zu: Er aktualisierte und subvertierte die Bildwelt der Renaissance in monumentalen Visionen und schuf schließlich stille, persönliche Hommagen an Michelangelo und Velázquez.

Es geht immer um die Details.
(Foto: The Dalí Museum, St. Petersburg, FL; Oriol Tarridas Photography)
Dieser umfangreiche Überblick nun umfasst zwei Bände: Ein Buch im Baby-Sumo-Format zeigt Dalís wichtigste Werke in einer bisher in Druckform noch nie dagewesenen Größe und Detailtreue, sodass jeder Pinselstrich des Künstlers sichtbar wird. Begleitet wird das Buch von einem Chronologie-Band mit Texten von Montse Aguer und Carme Ruiz von der Fundació Gala-Salvador Dalí in Figueres, der Heimatstadt des Künstlers. Unter Berücksichtigung neuester Forschungsergebnisse erzählen die Autorinnen die Geschichte der Kunst und des Künstlers mit zahlreichen Zitaten aus seinen eigenen Schriften, Briefen und zeitgenössischen Rezensionen - illustriert mit seltenen und ikonischen Porträtaufnahmen, Zeitschriftenartikeln, Skizzen und Buchillustrationen sowie weiteren Werken in verschiedenen Medien.
Dalí schockierte die Gesellschaft
Wir lernen den jungen Dalí als frühreifes, eigensinniges Talent kennen, das sich der katalanischen Avantgarde anschloss und bald unzertrennlich mit dem Dichter Federico García Lorca befreundet war. "Baby Sumo" begleitet ihn bei seinem ersten Besuch in Paris und bei seiner schüchternen Begegnung in Picassos Atelier, bevor er 1929 durch seinen ersten Film mit Luis Buñuel in ausgewählten Kreisen bekannt wurde. Bald schockierten seine Gemälde mit schmutziger Unterwäsche und Masturbationsidolen nicht nur das bürgerliche Publikum, sondern auch die hart gesottenen surrealistischen Avantgardisten.

Einfach mal wirken lassen, dass dieses Bild 1945 entstand.
(Foto: FOTOGASULL / Fundació Gala-SalvadorDalí, Figueres)
Im selben ereignisreichen Jahr lernte Dalí seine Muse Gala kennen, die fortan untrennbar mit seinem Leben und seiner Vision verbunden ist. Das Paar zog um nach Amerika, wo Dalí zu einer öffentlichen Persönlichkeit, in den Medien und auf den Society-Magazinseiten präsent wurde, bei Theater- und Modeprojekten mitwirkte, seinen legendären Schnurrbart wachsen ließ und in Hollywood mit Hitchcock und Disney zusammenarbeitete.
Wäre Dalí heute ein Influencer?
Schließlich aber kehrten die beiden nach dem Krieg nach Spanien zurück, wo sie ein Leben wie am Hofe inszenierten und der Künstler im Dalí-Theater-Museum in Figueres sein eigenes Vermächtnis aufbaute. Unvorstellbar, was gewesen wäre, wenn einer wie Dalí Medien wie Instagram oder Tiktok zur Verfügung gehabt hätte. Auch 35 Jahre nach seinem Tod fasziniert und überrascht Dalí noch immer. Und 40 Jahre nach seiner ersten Monografie im Taschen-Verlag erscheint nun eine neue, großangelegte Hommage an diesen Titanen der modernen Malerei. Ob man seine Kunst mag oder nicht, ob man ihn modern findet oder nicht - an Dalí kam und kommt man nicht vorbei. Vor allem dann nicht, wenn er in Form eines Baby-Sumo-Bildbands auf dem Couchtisch liegt.
Dalí, Baby Sumo, Hardcover in einer Schlagkassette, 438 Seiten, 1000 Euro, (Multilingual Edition)
Quelle: ntv.de