Kino

Ein Kammerspiel auf Rädern "Daddio" - ein Seelenstriptease auf der Rückbank

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Legen während ihrer gemeinsamen Fahrt einen Seelenstriptease hin: Dakota Johnson und Sean Penn.

Legen während ihrer gemeinsamen Fahrt einen Seelenstriptease hin: Dakota Johnson und Sean Penn.

(Foto: picture alliance / Everett Collection)

Eine junge Frau steigt in New York in ein Taxi und wird von dem älteren Fahrer immer tiefer in ein Gespräch verwickelt. Was als Bühnenstück sehr vielversprechend wäre, enttäuscht als Kammerspielfilm "Daddio - Eine Nacht in New York".

Auf dem Papier klingt "Daddio - Eine Nacht in New York" vielversprechend: eine Begegnung zwischen einem älteren New Yorker Taxifahrer und einer hübschen jungen Frau, die im Verlauf einer nächtlichen Fahrt auf engstem Raum ihre Geschichten und Gedanken teilen. Als Bühnenstück, als welches das Drehbuch ursprünglich konzipiert war, hätte die Prämisse samt der minimalistischen Inszenierung sicherlich eine packende und in gewisser Weise klaustrophobische Atmosphäre erzeugen können. Als Kammerspielfilm, mit dem Autorin Christy Hall ihr Regiedebüt feiert, enttäuscht er jedoch auf mehreren Ebenen.

Der Film beginnt wie ein Albtraum für alle, die im Taxi gerne schweigend zu ihrem Zielort gefahren werden wollen. Es ist Nacht, Girlie (Dakota Johnson) steigt nach ihrer Landung am New Yorker Flughafen JFK in ein gelbes Auto ein und will einfach nur nach Hause. Doch ihr Taxifahrer Clark (Sean Penn) versucht, seine letzte Kundin des Abends ab der ersten Minute in ein Gespräch zu verwickeln, indem er zunächst über mageres Trinkgeld, über Gott und die Welt schimpft und sie schließlich mit teils übergriffigen Fragen bombardiert. Dass Girlie nur einsilbig antwortet, scheint ihn nicht weiter zu stören.

Johnson und Penn legen einen Seelenstriptease hin

Erst als sie in einen Stau geraten, beginnt Girlie sich allmählich zu öffnen. Es stellt sich heraus, dass die Person, mit der sie zwischendurch schreibt, ihre Affäre ist - ein deutlich älterer und verheirateter Familienvater, den sie "Daddy" nennt. Vergeblich wartet sie bei ihrem SMS-Geplänkel auf ein "Ich dich auch" auf ihr "böses L-Wort", das ihr vor wenigen Tagen herausgerutscht war. Zu ihrer Enttäuschung erhält sie stattdessen nur ein gestochen scharfes Dickpic und drängende Bitten um Nacktbilder und Sextalk, damit er zum Höhepunkt kommen kann. Clark versucht Girlie klarzumachen, dass ihr Liebhaber keinen Ersatz für seine Ehefrau sucht, sondern sie nur als Spielzeug sieht. So distanziert sich Girlie während der Fahrt gedanklich allmählich von ihrem Lover und öffnet sich dem Taxifahrer dafür umso mehr, was zu einem intensiven Dialog zwischen den Charakteren und schließlich einem gegenseitigen Seelenstriptease führt.

Was von "Daddio" wohl am meisten in Erinnerung bleibt, ist die Erkenntnis, dass es manchmal viel leichter ist, sich Fremden anzuvertrauen als Freunden. Girlie offenbart dem ihr unbekannten Taxifahrer Details aus ihrem Leben, die sie normalerweise für sich behalten würde und noch nicht ganz verarbeitet hat. Auch er gesteht sich und seiner Kundin irgendwann ein, dass er im Grunde ein zutiefst unglücklicher Mann ist. Diese Momente bringen eine gewisse Tiefe in den Film, die jedoch nicht ausreicht, um das eher gewöhnliche Gespräch, vor allem, wenn es um Beziehungen zwischen Männern und Frauen geht, auszugleichen. Die Dialoge - das Herzstück eines jeden Kammerspiels - wirken oft bemüht und künstlich.

Eine der größten Schwächen von "Daddio" ist jedoch Dakota Johnsons Darstellung von Girlie. Johnson verbringt die meiste Zeit damit, sich gedankenverloren mit den Fingern über die Haut und ihren Mund zu streichen. Diese Gesten sollen vermutlich ihre Anspannung vermitteln - schließlich hat sie gerade ein paar nervenaufreibende Wochen in ihrer Heimat Oklahoma hinter sich -, wirken aber aufgesetzt und unpassend lasziv. Eine fragwürdige Regieanweisung, mit der Christy Hall ihrer Hauptdarstellerin keinen Gefallen getan hat. Selbst einfache Handlungen wie das Kaugummikauen erscheinen bei ihr unnötig anzüglich und erinnern stark an Szenen aus "50 Shades of Grey", in denen sie sich als Anastasia Steele ständig unschuldig auf der Unterlippe herumbeißt und ihren dauergeilen BDSM-Lover Christian Grey damit in den Wahnsinn treibt.

Mansplaining und Taxifahrer-Weisheiten

Johnsons limitierte Mimik und die Tatsache, dass sie sich als Schauspielerin nicht wirklich weiterzuentwickeln scheint, lassen ihre Darstellung eindimensional und unglaubwürdig wirken. Es fällt auch schwer, ihr die Rolle einer Programmiererin abzunehmen, wenn sie so verträumt über Einsen und Nullen faselt, die sie wegen ihrer Bedeutung von "Wahrheit und Lüge" faszinieren.

Sean Penn dagegen spielt seine zu Chauvinismus neigende Rolle wie immer mit Leichtigkeit. Als sei er in einem früheren Leben selbst einmal Taxifahrer gewesen, versteht er es, mit expliziten Einblicken in sein Privatleben mal für Cringe-Momente, mal für Mitgefühl und mit seinen Taxifahrer-Weisheiten für genervtes Augendrehen zu sorgen. Dass Girlie auf sein Mansplaining meist keine schlagfertige Antwort findet, sondern nur beleidigt schweigt, hinterlässt zwar ein unbefriedigendes Gefühl, dürfte aber bei vielen Frauen Erinnerungen wecken, die sich schon in einer ähnlichen Situation befunden haben. Penn trägt den Film mit seiner wie immer soliden Darstellung, kann aber die Schwächen des Drehbuchs und die mangelnde Chemie zwischen den beiden Charakteren nicht vollständig ausgleichen.

Mit ihrem Erstlingswerk als Regisseurin beweist Christy Hall zwar, dass sie ein Gespür für atmosphärische Inszenierungen hat. Doch sicherlich hatte sie gehofft, die Zuschauer mit ihrem Kammerspielfilm über 100 Minuten so fesseln zu können wie etwa Roman Polanski mit "Der Gott des Gemetzels" oder Richard Linklater mit "Before Sunset". Als Film, der wie die beiden Klassiker auf intensiven Dialog und charakterliche Tiefe setzt, wirkt "Daddio" aber stellenweise langatmig und bleibt dadurch hinter den Erwartungen zurück.

"Daddio - Eine Nacht in New York" läuft ab dem 26. Juni in den Kinos.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen