So wird die 74. Berlinale Kunst sticht Prominenz
14.02.2024, 15:48 Uhr Artikel anhören
Die fünfte Berlinale der ersten Doppelspitze ist auch schon deren letzte. Dazu rollt der künstlerische Leiter Carlo Chatrian den Cineasten nochmal den Teppich aus. Schräg wird es auf der Leinwand aber auch - mit außerirdischen Rittern und einem sprechenden Nilpferd.
Die Frage musste ja kommen: Bei der Berlinale-Pressekonferenz wurde das scheidende Leitungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian gebeten, auf die vergangenen knapp fünf Jahre zurückzublicken und Bilanz zu ziehen. Trotz der Corona-Pandemie hätten die Internationalen Filmfestspiele Berlin Formate für das Festival gefunden, sagte die Geschäftsführerin pragmatisch. Der künstlerische Leiter wählte eine etwas offene Antwort: "Die Filme sprechen für sich selbst." Und: Das Ziel, Fragen aufzuwerfen, sei erreicht worden.

Für sie wird es die letzte Berlinale als deren Leitung sein: Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian.
(Foto: picture alliance/dpa)
So wird Chatrian es nicht gemeint haben, aber in der Tat gibt es offene Fragen: Wo sind die Publikumsmagneten, wo die Stars geblieben? Wo steht Berlin im Vergleich zu Cannes und Venedig heute? Klar ist derweil: Chatrian drückt der 74. Berlinale vom 15. bis 25. Februar noch mal seinen Stempel auf. Es wird ein Festival für Cineasten, zumindest mit Blick auf den Wettbewerb, in dem 20 Beiträge aus 30 Ländern laufen, darunter zwei Debüts und zwei Dokus. Die Sektion ist eine treue Seele: Sechs Filmemacher waren bereits im Bären-Rennen.
Zwei deutsche Filme im Wettbewerb
Aus Deutschland dabei sind Andreas Dresen und Matthias Glasner. Dresens "In Liebe, Eure Hilde" mit Liv Lisa Fries ("Babylon Berlin") spielt 1942 und basiert auf der Geschichte der NS-Widerstandskämpferin Hilde Coppi, die mit ihrem Mann Hans in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde. In Glasners Familiendrama "Sterben" bilden Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Lilith Stangenberg, Ronald Zehrfeld und Robert Gwisdek das renommierte Ensemble.
Zu den weiteren bekannten Namen zählt der Franzose Olivier Assayas mit "Hors du temps" über zwei Paare im Corona-Lockdown in einem Landhaus. In der Liebesgeschichte "Another End" von Piero Messina spielt Gael Garcia Bernal die Hauptrolle; der Filmtitel ist der Name einer Technologie, die Trennungsschmerz lindern soll. In Hong Sangsoos "A Travelers's Needs" ist Isabelle Huppert als Französischlehrerin zweier koreanischer Frauen zu sehen.
Ein Nilpferd als Protagonist
Bruno Dumont zeigt mit "L'Empire" eine schräge Science-Fiction-Komödie: In einem Fischerdorf in Nordfrankreich herrschen in einer Parallelwelt außerirdische Ritter, welche die Körper der menschlichen Bevölkerung besetzt haben. Kurios wird es auch, wenn Regisseur Nelson Carlos De Los Santos Arias aus der Dominikanischen Republik in "Pepe" ein totes Nilpferd aus Kolumbien seine Geschichte erzählen lässt.

Der Film "Shambhala" besticht mit seinen Landschaftsaufnahmen.
(Foto: picture alliance/dpa/Shooney Films/Berlinale)
Aus den USA stammt lediglich Aaron Schimbergs Psychothriller "A Different Man", die Geschichte eines Mannes, dessen Leben sich nach einer Schönheitsoperation dramatisch verändert. Eine österreichisch-deutsche Koproduktion ist das Psychogramm "Des Teufels Bad" von Severin Fiala und Veronika Franz, produziert von Ulrich Seidl.
Erstmals ist mit "Shambhala" eine Produktion aus Nepal dabei, die mit ihren Landschaftsaufnahmen glänzen dürfte. Deutlich spezieller sind die Dokumentationen "Architecton" über die Materialien Stein und Beton und "Dahomey" über Beutekunst aus dem einstigen gleichnamigen Königreich. Insgesamt sind in den verschiedenen Sektionen 233 Filme aus 53 Ländern zu sehen, im vergangenen Jahr waren es 287.
Christian Petzold in der Jury
Hollywood macht sich nicht zum ersten Mal rar, der große Rummel am roten Teppich bleibt wohl erneut aus. Zu rechnen ist mit "Oppenheimer"-Star Cillian Murphy, der die Hauptrolle im irisch-belgischen Eröffnungsfilm "Small Things Like These" spielt, in dem Tim Mielants vom Missbrauch junger Frauen in katholischen Heimen erzählt. Und US-Vielfilmemacher und Oscar-Preisträger Martin Scorsese ("Departed - Unter Feinden") holt sich den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk natürlich persönlich ab.
Die eigentlichen Bären werden am 24. Februar verliehen. Präsidentin der Internationalen Jury ist die kenianisch-mexikanische Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong'o ("12 Years a Slave"). Zu den weiteren sechs Mitgliedern gehört der deutsche Regisseur Christian Petzold.
840 Minuten lange Doku
Etwas mehr Glamour in die Hauptstadt bringen könnte die Reihe Berlinale Special, sollten ihre Hauptdarsteller anreisen. Die Jury-Präsidentin von 2023, Kristen Stewart, ist in Rose Glass' Thriller "Love Lies Bleeding" zu sehen, in dem sich eine Athletin in eine Fitnessstudio-Managerin (Stewart) mit krimineller Familie verliebt. Die Dokumentation "Teaches of Peaches" zeichnet den Weg der Kanadierin Merrill Nisker zur provokanten und gefeierten Künstlerin nach. Und Adam Sandler wird im Weltraumabenteuer "Spaceman" als Astronaut auf eine Ein-Mann-Mission zur Venus geschickt.
Der Gewinner des Goldenen Bären 2023, der Franzose Nicolas Philibert ("Auf der Adamant") präsentiert seinen Dokumentarfilm "Averroès & Rosa Parks", der dieses Mal eine Klinik für Psychiatrie in Paris zeigt. Die 14 Stunden lange Doku "exergue - on documenta 14" des griechischen Regisseurs Dimitris Athiridis ist mit 840 Minuten einer der längsten jemals gedrehten Filme.
Nahost ist Thema
Im Panorama stellen unter anderen der österreichische Filmemacher und Kabarettist Josef Hader und "Systemsprenger"-Regisseurin Nora Fingscheidt ihre neuen Werke "Andrea lässt sich scheiden" und "The Outrun" vor. Politisch brandaktuell ist etwa das Debüt eines palästinensisch-israelischen Kollektivs ("No Other Land"), das die Zerstörung von Masafer Yatta im Westjordanland durch die israelischen Behörden sowie die Freundschaft zwischen einem palästinensischen Aktivisten und einem israelischen Journalisten thematisiert.
Ohnehin überschattet die Situation in der Region die Berlinale: Ein Panel wird sich mit Filmemachen in Zeiten der Krise befassen, in einem von einem israelisch-palästinensischen Team betriebenen Tiny House sind Gespräche zum Nahostkonflikt geplant.
Und natürlich gibt es vorab ein paar Aufreger. Der aus Ghana und Lesotho stammende Filmemacher Ayo Tsalithaba zog seinen Beitrag wegen der seiner Meinung nach zu Israel-freundlichen Haltung Deutschlands zurück. Gegen das iranische Regie-Duo Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha, deren Film "My Favourite Cake" über eine ältere Frau in Teheran, die ihr Liebesleben reanimieren will, im Wettbewerb läuft, wurde ein Reiseverbot verhängt. Zuletzt löste die Einladung von AfD-Politikern zur Eröffnung einen Shitstorm aus. Für Rissenbeek und Chatrian wird es also noch mal spannend. Im April übernimmt dann die US-Amerikanerin und Ex-Chefin des London Film Festivals, Tricia Tuttle.
Quelle: ntv.de