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Film war gestern"Searching" mischt das Kino auf

19.09.2018, 10:01 Uhr
imageVon Volker Probst

Ein Streifen, der von vorn bis hinten aus der Perspektive sozialer Netzwerke wie Whatsapp, Facebook oder Youtube erzählt wird - klingt erstmal seltsam? Schwierig? Vielleicht sogar abschreckend? Mag sein. Doch "Searching" ist richtig gut.

Ob sich das wohl alte Hollywood-Recken jemals hätten vorstellen können? Clark Gable? John Wayne? Greta Garbo? Nun gut, würde man sie jetzt zurück ins Leben holen, hätten sie ohnehin erstmal gut damit zu tun, die schöne neue Computerwelt im digitalen Zeitalter zu verstehen. Doch würde man ihnen dann noch klarmachen, dass sogar ihre ureigene Domäne, der Film, inzwischen geradezu handstreichartig von den sozialen Netzwerken gekapert werden kann, würden sie vermutlich endgültig aussteigen.

Der Thriller "Searching" nämlich macht genau das. Regisseur Aneesh Chaganty verwendet bei seinem Spielfilmdebüt einzig und allein Versatzstücke aus sozialen Medien, um die komplette Handlung zu erzählen - seien es Messenger-Dienste à la Whatsapp, Videoplattformen wie Youtube oder Nachrichtenkanäle der Marke Facebook, Instagram und Co.

Spannung und unerwartete Wendungen

Was beim ersten Hören womöglich klingt wie ein abgedrehtes Kunstprojekt, bei dem mehr gewollt als gekonnt ist, entpuppt sich als ziemlich genial. "Searching" kann was, auch wegen Hauptdarsteller John Cho, der zuletzt unter anderem als "Hikaru Sulu" in den jüngsten "Star Trek"-Filmen zu sehen war und nun in die Rolle des besorgten Vaters David Kim schlüpft.

Kim kümmert sich nach dem Krebstod seiner Frau Pamela (Sara Sohn) als Alleinerziehender treusorgend um seine Tochter Margot (Michelle La). Der Vater und die 16-Jährige stehen im Alltag praktisch ständig in Kontakt - den sozialen Netzwerken sei Dank. Doch auf einmal ist seine Tochter für David Kim nicht mehr zu erreichen und sie meldet sich auch nicht. Aus der Befürchtung wird nach und nach Gewissheit: Das Mädchen ist von einem Moment auf den anderen verschwunden.

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Bei seinen eigenen Nachforschungen gerät er schon auch mal mit den Ermittlern aneinander. (Foto: Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH)

Kriminalkommissarin Rosemary Vick (Debra Messing) leitet die Ermittlungen auf der Suche nach Margot. Doch Kim wird auch auf eigene Faust aktiv, nicht zuletzt, indem er die letzten Aktivitäten seiner Tochter in den sozialen Netzwerken unter die Lupe nimmt. Ist Margot etwa abgehauen? Welche Rolle spielt ein angeblicher Freund, mit dem sie in jüngster Zeit rumgehangen haben soll? Oder hat gar Kims kiffender Bruder mit dem Verschwinden der jungen Frau zu tun? "Searching" legt viele Fährten aus, überrascht mit unerwarteten Wendungen und treibt die Spannung zusehends auf die Spitze.

Ich sehe, was du denkst

So kommt bei dem Film alles zusammen, was zu einem guten Film gehört: ein spielfreudiges Ensemble, eine intelligente Handlung und eine innovative Erzählweise. Chaganty geht es dabei keineswegs darum, die sozialen Netzwerke zu verteufeln. Vielmehr spielt er auf ihrer Klaviatur, um so die Zuschauer den Charakteren noch näher zu bringen. Dann zum Beispiel, wenn David Kim eine Nachricht in sein Handy tippt, um sie anschließend wieder zu löschen und durch eine andere zu ersetzen. Das Publikum kriegt nicht nur mit, was der Vater sagt oder tut, sondern sogar, was er denkt.

Mit "Blair Witch Project" kam Ende der 90er das Genre sogenannter "Found Footage"-Filme ganz groß raus. Damals war es das scheinbar von einem Camcorder eingefangene Material, das dem Film so viel Authentizität verlieh, dass manche sogar glaubten, der Horrorfilm erzähle eine wahre Geschichte. "Searching" könnte man in gewisser Weise als eine "Found Footage"-Variante 2.0 bezeichnen. "Blair Witch Project" wandelte sich bei Produktionskosten von gerade mal 60.000 Dollar vom ultimativen Low-Budget-Projekt zum Mega-Blockbuster mit einem Einspielergebnis von rund 250 Millionen Dollar. Auch wenn sich "Searching" vermutlich nicht zu einem derartigen Überflieger mausern sollte - mehr als nur ein Geheimtipp ist der Streifen allemal.

P.S.: Für den hiesigen Markt wurde der Film komplett ins Deutsche übertragen. Wer nicht wirklich gut Englisch versteht, sollte sich ihn wohl auch eher nicht in der Originalversion ansehen. Schließlich geht es auch darum, vieles schnell zu lesen, zu erfassen und zu begreifen.

"Searching" läuft ab dem 20. September in deutschen Kinos.

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