
Nikolas findet den magischen Ort voller Wichtel, Elfen und Trolle.
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Ob es das magische Dorf Wichtelgrund wirklich gibt, weiß keiner - aber der kleine Nikolas glaubt daran. Mit seiner Maus Miika wagt er die abenteuerliche Reise. Gil Kenan zeigt in "Ein Junge namens Weihnacht", wie wichtig Hoffnung in dunklen Zeiten ist, und erzählt die Weihnachtsgeschichte vollkommen neu.
Was hat der Weihnachtsmann eigentlich gemacht, bevor er Weihnachtsmann wurde? Theorien zum Ursprung des alten Mannes mit dem Rauschebart gibt es bekanntlich viele. Da ist zum Beispiel der Heilige Nikolaus, der als Vorgänger-Figur unerkannt in der Nacht Kinder beschenkte. Oder ein paar Jahrhunderte später der Getränkehersteller Coca-Cola, der dem dicken Mann das freundliche Lächeln, die rote Zipfelmütze und den weißen Bart verpasste.

Tante Ruth erzählt die Geschichte des kleinen Nikolas, der Weihnachten zu den Menschen brachte.
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Das neue Familien-Abenteuer "Ein Junge namens Weihnacht" von Regisseur Gil Kenan nach dem gleichnamigen Roman von Matt Haig geht der Frage nach, wie ein kleiner Junge aus Finnland zu dem gütigen Schenkenden mit Weihnachtsmütze wurde. Wenn man dem Autor Glauben schenkt, hat es sich so zugetragen:
Gemeinsam mit seinem Vater Joel wohnt der elfjährige Nikolas in einer Holzhütte in den tief verschneiten Wäldern Finnlands. Viel hat die kleine Familie nicht: Vater und Sohn teilen sich das einzige Zimmer der Hütte und Nikolas Freundschaften beschränken sich auf eine Puppe, die ihm seine Mutter, die inzwischen verstorben ist, aus einer Rübe geschnitzt hat, sowie Maus Miika, die der Junge vor der Axt des Vaters rettete. Dafür "haben wir uns", betont Nikolas zufrieden.
"Glaube an gar nichts"
So ganz scheint das seinem Vater nicht zu reichen. Als der König Finnlands ihm einen hohen Lohn verspricht, wenn er der Bevölkerung die Hoffnung zurückbringt, zögert dieser nicht lange und macht sich auf den Weg in den hohen Norden. Dort, so erzählt man sich, sollen Wichtel, Elfen und Trolle im Dorf Wichtelgrund leben. Nikolas hingegen bleibt bei seiner kinderhassenden Tante Carlotta. Als diese die Tortur auf die Spitze treibt, beschließt der Junge, seinem Vater zu folgen.
Also macht sich Nikolas mit Mausfreund Miika auf der Schulter und seiner roten Zipfelmütze über den Ohren auf den beschwerlichen Weg "an den schlafenden Riesen vorbei, den spitzen Berg hinauf". Gleich zu Beginn seiner Reise raunt ihm eine verbitterte Dorfbewohnerin zu: "Glaube an gar nichts, schon gar nicht an Märchen."
Hätte sich Nikolas an diesen Ratschlag gehalten, hätte der Film ein schnelles Ende gefunden - und Weihnachten wäre nie entstanden. Damit machen Kenan und Haig schon zu Beginn der Abenteuerreise deutlich, worum es geht: Hoffnung und der Glaube an das Unmögliche ziehen sich als Wegweiser eines kleinen Jungen und Lichtblick einer Gesellschaft durch die Geschichte. So erweckt ein Hoffnungszauber der Wichtel den erfrorenen Nikolas wieder zum Leben und Maus Miika lernt sprechen, weil der Elfjährige nicht aufgibt, es ihr beizubringen. Schließlich findet der Junge Wichtelgrund nur durch den entscheidenden Hinweis: "Du musst daran glauben, um es zu sehen."
Fehlerhafte Eltern und Hoffnung
Die Macher der Geschichte lassen die ganz großen Gefühle - von besagter Hoffnung über Enttäuschung bis hin zur Trauer - innerhalb kürzester Zeit aufeinanderprallen. Selbst als Nikolas zum Vollwaisen wird, widmen Kenan und Haig der Trauer des kleinen Jungen gerade einmal eine Szene, was mindestens irritierend wirkt, vom Autor aber durchaus gewollt ist. "Ich wollte sehen, ob es möglich ist, ein Kinderbuch zu schreiben, in dem es um reale Dinge wie Trauer und Verlust und fehlerhafte Eltern geht, das aber auch Hoffnung, Magie, Elfen und Rentiere enthält", schreibt Haig zur Entstehung der Geschichte.
Der Versuch ist ihm gelungen. In Dutzenden Szenen vermittelt der Film die Botschaft: "Du bist stark genug, um schwere Zeiten zu überstehen". Durch eine Rahmenhandlung hilft Kenan dem Zuschauer bei der Übertragung in die heutige Zeit. Die alte Tante Ruth liest ihren drei kleinen Nichten und Neffen aus London, die ihre Mutter verloren haben, die Sage des kleinen Weihnachtsmanns vor. Am Ende lächelt der Jüngste von ihnen: "Jetzt habe ich es verstanden."
Gelungen ist auch die visuelle Gestaltung des Wintermärchens. Während sich die parallel erzählten Handlungen abwechseln, werden die Schatten aus dem Londoner Kinderzimmer zu den Figuren in der Weihnachts- und Wichtelgeschichte. Die weiten Schneelandschaften am Polarkreis vermitteln eine ebenso zauberhafte Stimmung wie die Besetzung des Films. Mit Maggie Smith (Tante Ruth), Jim Broadbent (König) und Toby Jones (Vater Topo) hat sich Kenan gleich drei Stars des "Harry Potter"-Ensembles an Bord geholt. Henry Lawfull nimmt man die Rolle des bescheidenen, aber fest an sich glaubenden Nikolas ab und Zoe Coletti sorgt als quirlige Wahrheitselfe mit bunten Knallbonbons für Lacher.
Die lästige Wahrheit
Es sind die vielen kleinen Details, welche die Geschichte lebendig und sinnstiftend machen. So kann die kleine Wahrheitselfe ganz schön nervig sein, weil sie immer die knallharte Wahrheit sagt - am Ende ist sie aber unentbehrlich und hilft Nikolas aus dem Schlamassel. Die Menschenkinder im Dorf kennen zu Beginn der Geschichte kein Spielzeug - klar, es gibt ja auch noch kein Weihnachten.

Nikolas auf seiner magischen Reise mit Rentier Blitz und Maus Miika.
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Regisseur Kenan hat diese Details gekonnt in die altbewährten Prinzipien von Märchen verwoben: Da gibt es das Entkommen vor der biestigen Stiefmutter oder Tante, die abenteuerliche Reise und das Kind, das die Welt besser versteht als die verkopften Erwachsenen. Neben vielen oft pathetischen Dialogen braucht es auch lustige Momente, von denen der Film durchaus hätte mehr vertragen können. So bewertet Miika, gesprochen von Sascha Grammel, das Geschehen im Wichteldorf voller Zuckerstangen aus seiner ganz eigenen Mausperspektive: "Keine Ahnung, was Weihnachten ist, aber ich liebe es."
Die Rede des Königs sorgt hingegen eher bei den Erwachsenen für Lacher. Als er sein Volk eher rhetorisch fragt, was es denn brauche, antworten die Männer und Frauen mit "Gesundheitssystem" und "höhere Löhne". Grundsätzlich keine schlechte Idee - gemeint hatte das Staatsoberhaupt allerdings eher etwas weniger Teures wie die Hoffnung.
"Widerstand gegen Verstand"
Es sind versteckte Gesellschaftskritiken wie diese, die "Ein Junge namens Weihnacht" von anderen Weihnachtsfilmen abheben und die zum Nachdenken anregen. Regisseur Kenan gelingt es auf subtile Art, auch Themen wie Fremdenhass und Ausgrenzung in sein Weihnachtsmärchen zu integrieren. Seit ein Wichteljunge von Menschen entführt wurde, hat die Anführerin von Wichtelgrund alle Menschen aus dem Dorf verbannt. Sie vergisst, dass man Menschen und Wichtel nicht einfach in Gut und Böse einteilen kann.

Die Anführerin von Wichtelgrund hat "Eindringlinge" nicht so gern.
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Nun lehnen sich die "guten" Wichtel gegen ihre strikte Anführerin und deren Wächter auf. Sie hoffen, sie feiern verbotene Weihnachtspartys und lehnen das Wort "unmöglich" grundsätzlich ab. Bis hierhin könnte sich wohl jeder ab und zu ein Beispiel an den durchweg optimistischen Fabelwesen nehmen. Allerdings befinden sie sich auch im "Widerstand gegen den Verstand". In Zeiten von Pandemie und Corona-Leugnern sollten wohl nicht alle Ideen des Films unreflektiert auf die Realität übertragen werden. Es ist eine Gratwanderung zwischen der Hoffnung als Antrieb und der Vernunft, auf die sich Gil Kenan begibt.
Kleine Ungenauigkeiten fallen in "Ein Junge namens Weihnacht" jedoch kaum auf, denn es ist etwas ganz anderes, was Regisseur und Autor ausdrücken: Ein kleiner Junge aus Finnland hat die schlimmsten und schwersten Momente seines Lebens mit Hoffnung, Glaube und Fantasie überwunden. Das möchte er nun weitergeben - jedes Jahr am 24. Dezember. Diese in rund 100 Minuten vollkommen neu erzählte Weihnachtsgeschichte lohnt sich für die ganze Familie.
"Ein Junge namens Weihnacht" läuft ab dem 18. November im Kino.
Quelle: ntv.de