
In ganz Afrika sind erst rund ein Prozent der Menschen komplett geimpft.
(Foto: imago images/Le Pictorium)
Die Corona-Infektionen ziehen fast auf der ganzen Welt wieder an. In einigen afrikanischen Staaten haben sich die Zahlen zuletzt verdoppelt. Gleichzeitig wird auf dem Kontinent vergleichsweise wenig geimpft. Das liegt nicht nur daran, dass es dort zu wenig Impfstoff gibt.
Afrika ist vom Coronavirus bisher vergleichsweise verschont geblieben. Zumindest lassen die offiziellen Statistiken darauf schließen. Aber die Zahlen lassen sich nur schwer mit denen aus Europa oder Nordamerika vergleichen. In den afrikanischen Ländern wird deutlich weniger getestet als anderswo.
Umso dramatischer scheint die Situation mit Blick auf die aktuellen Infektionszahlen. In der vergangenen Woche gab es 33 Prozent mehr Infektionen als in der Woche davor, und es starben 42 Prozent mehr Menschen an Corona, sagt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Insgesamt gab es bisher in Afrika rund 5,6 Millionen Infektionen. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich noch viel höher.
Hotspots sind unter anderem Südafrika, Namibia und Tunesien. Südafrika ist in Afrika zahlenmäßig das am schwersten betroffene Land. Hier gab es bisher zwei Millionen Fälle. Und nicht nur hier breitet sich die neue, besonders ansteckende Delta-Variante immer weiter aus. "In Uganda zum Beispiel haben 97 Prozent der Proben, die man genommen hat, die Delta-Variante nachgewiesen, und in der Demokratischen Republik Kongo war in 79 Prozent der Positiv-Proben die Delta-Variante. Wir sehen einen wöchentlichen Anstieg der Fallzahlen in Afrika aktuell von 25 Prozent. Das sind Zustände, die sind besorgniserregend.", sagt Elisabeth Massute, politische Referentin in der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen, im Podcast "Wieder was gelernt".
Gegen Covid-19 schützen momentan nur Impfstoffe. Aber die kommen in Afrika kaum an. Erst gerade mal rund ein Prozent der 1,2 Milliarden Menschen auf dem Kontinent hat den vollen Impfschutz. Zählt man noch diejenigen dazu, die nur die Erstimpfung bekommen haben, sind es rund drei Prozent. Zum Vergleich: in Asien sind etwa acht Prozent der Menschen komplett geimpft, in Südamerika 14 Prozent, in Europa 29 Prozent und in Nordamerika rund 34 Prozent.
"Werden uns die Reste zugeschachert?"
Einige Experten sagen, dass 80 Prozent einer Bevölkerung komplett geimpft sein müssen, um die Pandemie einzudämmen, weil die Delta-Variante so ansteckend ist. Davon ist Afrika weit entfernt. Die WHO befürchtet, dass es wahrscheinlich fast kein afrikanisches Land schaffen wird, wie geplant bis September mindestens zehn Prozent der Einwohner gegen das Coronavirus zu impfen. Zum einen gebe es vor Ort zu wenig Impfstoffe, sagt Massute im Podcast, aber auch viele Impfskeptiker. Die Verzögerungen bei der Lieferung führten dazu, dass sich die Menschen fragten: "Was kriegen wir dann? Werden uns dann die Reste zugeschachert?"
Ein weiterer Grund sei, dass die Menschen in Afrika häufig andere Probleme hätten, sagt Daniel Geiger, Professor für Organisation an der Universität Hamburg. "Wenn sie sich nämlich die Frage stellen, wie sie morgen essen und trinken können, ist für sie die Covid-Impfung vielleicht nicht immer die erste Priorität."
Weil nicht genug Impfstoff da ist, mussten schon mehrere Staaten im Süden Afrikas ihre Impfprogramme abbrechen, sagt die WHO. Sie können keine zweiten Impfdosen verabreichen. Knapp ist das Mittel in Afrika auch deshalb, weil der Kontinent abhängig ist vom Ausland. Nur ein Prozent der Impfstoffdosen stellen die Staaten selbst her, 99 Prozent werden importiert. Darin eingeschlossen sind auch Impfstoffe gegen Masern, Tetanus oder Tuberkulose.
Der Großteil der Covid-19-Vakzine kommt normalerweise aus Indien. Das Land ist einer der größten Lieferanten von Corona-Impfstoffen überhaupt. Doch Indien hat gerade selbst mit etlichen neuen Corona-Ausbrüchen zu tun. Deshalb werden die Vakzine dort selbst dringend gebraucht und seit April nicht mehr exportiert.
Impfstoffherstellung in Südafrika startet
Die Impfstoffe sind auf der Welt ungerecht verteilt. Den Großteil der Impfdosen haben sich die reicheren Länder gesichert. Für eine gerechte Verteilung hat unter anderem die WHO im April 2020 das Covax-Programm gegründet. Covax ist sozusagen eine Einkaufs- und Verteilungsgemeinschaft. Mitglieder sind 190 Staaten weltweit. Sie kaufen Impfstoffe ein und verteilen sie als Spende an Schwellen- und Entwicklungsländer. Eigentlich sei Covax als ein globaler Verteilungsmechanismus geplant gewesen, sagt Elisabeth Massute. "Dann haben aber ganz schnell Länder wie die USA, Großbritannien, aber auch Deutschland beschlossen, dass sie eben bilaterale Vorabverträge mit den einzelnen Herstellern schließen, und sie haben den Markt dann relativ schnell leer gekauft. Und für Covax blieb dann wenig übrig."
Insgesamt hat Covax bisher rund 95 Millionen Impfstoff-Dosen in 134 Länder verteilt. Das ist nur ein geringer Anteil der rund drei Prozent weltweit verabreichten Impfstoffdosen. Zwar haben die G7-Staaten auf ihrem Gipfel im Juni eine Milliarde Impfdosen bis Ende 2022 versprochen, doch das reicht der WHO nicht aus. Sie sagt, das elf Milliarden Impfdosen nötig sind, damit bis zum G7-Gipfel in Deutschland im kommenden Jahr mindestens 70 Prozent der Weltbevölkerung gegen Corona geimpft sind.
Die Impfstoffe aus dem Ausland können also den dringenden Bedarf in Afrika nicht decken, deshalb will sich der Kontinent nicht länger auf andere verlassen. Mehrere afrikanische Länder arbeiten daran, selbst Impfstoffe herzustellen. Ab August will ein Pharmakonzern in Südafrika den Impfstoff von Johnson & Johnson produzieren. Innerhalb eines Jahres sollen insgesamt 400 Millionen Dosen hergestellt werden. Außerdem baut die WHO gerade ein Technologietransferzentrum für neue mRNA-Impfstoffe, ebenfalls in Südafrika - ein Projekt, das auch von Deutschland gefördert wird. "Das Prinzip ist, das die herstellenden Unternehmen von mRNA ihre Technologien in diesen Hub reingeben und dann eine Multiplikation stattfinden kann und der Technologietransfer an mehrere Herstellerunternehmen stattfinden kann", erklärt Elisabeth Massute.
Erster Impfstoff "made in Africa" erst 2022
Bis dort Covid-19-Impfstoffe produziert werden, dauert es noch neun bis zwölf Monate. Frühestens ab Sommer 2022 können die ersten Dosen abgefüllt werden. Weitere solcher Technologietransferzentren sollen im Senegal und in Ruanda entstehen. Eine andere Möglichkeit ist, bereits existierende Medikamentenwerke umzurüsten, sagt die Impfstoffexpertin von Ärzte ohne Grenzen. Das sei unter anderem möglich in Tunesien, Marokko, im Senegal, in Südafrika und Ägypten. "Es gibt dort Möglichkeiten, da auch relativ schnell zu handeln. Und so ein Um- und Ausbau dauert durchschnittlich sechs Monate."
Warum beginnt Afrika erst jetzt damit, sich selbst um die Impfstoffproduktion zu kümmern? Erstens: Die Entwicklung und auch die Produktion sind sehr teuer. Die Bundesregierung hat zum Beispiel die Impfstoffentwicklung mit 750 Millionen Euro gefördert. Dieses Geld haben die afrikanischen Staaten nicht. Zweitens ist der Aufbau einer Impfstoffproduktion technisch sehr aufwändig, sagt Daniel Geiger. "Sie sind abhängig von hochspezialisierten Zulieferfirmen, die auf der ganzen Welt verteilt sind, brauchen eine sehr ausgefeilte Logistik. Sie brauchen hoch qualifiziertes Personal, das in der Lage ist, in diesen Reinräumen zu arbeiten. Sie brauchen zertifizierte Produktionsprozesse, die abgenommen sein müssen von Gesundheitsbehörden, damit sie da auch herstellen können. Das machen Sie nicht über Nacht und schon gar nicht so schnell, um die gegenwärtige Pandemie damit bekämpfen zu können."
Die Afrikanische Union hat ein großes Ziel. Sie will bis 2040 immerhin 60 Prozent aller Impfstoffe, die auf dem Kontinent verabreicht werden, auch selbst produzieren - nicht nur solche, die gegen Covid-19 schützen, sondern auch gegen Masern, Tetanus oder Tuberkulose. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Dieses Jahr wird es höchstwahrscheinlich noch nichts mit einem Impfstoff "made in Africa". Kurzfristig helfen könnten direkte Lieferungen der Hersteller an Covax, hat die WHO vorgeschlagen. Und Ärzte ohne Grenzen fordert, dass Länder ihre zu viel bestellten Impfstoffe an bedürftige Nationen abgeben. Deutschland hat das vor, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel beim G7-Gipfel angekündigt. Zum Wegschmeißen sind sie auf jeden Fall zu schade. Und die Pandemie wird erst zu Ende sein, wenn Impfstoffe auf der ganzen Welt verteilt sind.
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.
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Quelle: ntv.de