Panorama

Öltanker rostet vor Jemens Küste Die schwimmende Zeitbombe im Roten Meer

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Havariert der schwimmende Ölspeicher, droht eine ökologische und humanitäre Katastrophe.

(Foto: Satellite image ©2021 Maxar Technologies.)

Seit sechs Jahren rostet ein Öltanker im Roten Meer vor der Küste des Jemen vor sich hin. Bricht er auseinander, droht eine ökologische und humanitäre Katastrophe. Die Vereinten Nationen wollen das Öl so schnell wie möglich abpumpen, doch das verhindern Rebellen. Am Ende entscheidet das Geld.

Schon seit 1988 darf die "Safer" nicht mehr über die Weltmeere schippern. Aus Sicherheitsgründen. Seitdem liegt der rot-graue Tanker reglos etwa sieben Kilometer vor der jemenitischen Küste. Er wird als schwimmender Ölspeicher genutzt, um das schwarze Gold von dort aus zu exportieren. Über eine Pipeline ist das Schiff mit einem Ölfeld in der Nähe verbunden.

Für Umweltschützer war das schon immer ein Problem, aber früher wurde die "Safer" immerhin regelmäßig gewartet. Bis vor sechs Jahren die Huthi-Rebellen das Schiff kaperten. "Seitdem ist praktisch nichts mehr passiert. Das Schiff liegt vor der Küste und rostet vor sich hin. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis etwas Schlimmes passiert", sorgt sich Christian Bussau, Experte für Öl bei Greenpeace, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Was genau, sei schwer vorherzusagen. "Denn die Huthi-Rebellen erlauben UN-Inspektoren leider nicht, auf das Schiff zu gehen. Es gibt aber wohl mittlerweile schon Lecks. Wasser ist in den Maschinenraum des Schiffes eingedrungen, das Feuerlöschsystem ist wohl defekt und die Pumpen kaputt."

Über eine Million Barrel Erdöl an Bord

Als die Huthi-Rebellen mit Unterstützung des Iran im Februar 2015 die Macht über den Jemen übernehmen, herrscht im südlichsten Land der Arabischen Halbinsel bereits seit fast zehn Jahren Bürgerkrieg. Auf ihrem Feldzug erobern die Huthis auch die Kontrolle über die Küstenregion am Roten Meer gegenüber vom ostafrikanischen Eritrea.

Im März 2015 besetzen die Rebellen auch die "Safer". Seitdem wird kein Öl mehr aus dem Schiff gepumpt. Es finden auch keine Wartungen oder Inspektionen mehr statt. Jemens Regierung ist es seitdem nicht gelungen, die Kontrolle zurückzuerlangen. Trotz der Hilfe aus Saudi-Arabien und aus weiteren Golfstaaten, die seit März 2015 an der Seite der jemenitischen Regierung gegen die Huthis und den Iran kämpfen.

Im Bauch des Schiffs lagern 1,1 Millionen Barrel Erdöl, das sind über 160 Millionen Liter - und viermal so viel wie bei der "Exxon Valdez". "Das war der Tanker, der 1989 vor der Küste Alaskas havarierte und dort rund 40 Millionen Liter Öl freigesetzt hat", erklärt Experte Bussau. Damals kam es zu einer riesigen Umweltverschmutzung, Millionen Tiere starben. Man könne Alaska zwar nicht mit dem Roten Meer vergleichen, aber klar sei, "die Gesamtmenge an Öl in diesem Tanker ist riesengroß", so Bussau.

Ökologische und humanitäre Krise droht

Das Erdöl an Bord der "Safer" verteilt sich auf 34 Tanks. Es ist unwahrscheinlich, dass alle gleichzeitig leckschlagen und das gesamte Öl auf einmal austritt. Aber käme es zu einer großen Explosion, wären die Auswirkungen fatal. Auf der wichtigen Verbindungsroute vom Indischen Ozean zum Suezkanal kündigt sich eine Umweltkatastrophe an. Das Rote Meer ist reich an Fischen, es gibt dort Korallenriffe, Wale, Haie, Meeresschildkröten, Seevögel.

Eine Havarie würde aber auch zu einer großen humanitären Katastrophe führen, zeigt eine neue Studie von Wissenschaftlern der Stanford University. Sie haben untersucht, welche Konsequenzen eine Havarie für die Menschen auf der Arabischen Halbinsel und an der ostafrikanischen Küste hätte.

Durch den Bürgerkrieg steckt der Jemen schon seit Langem in einer schweren Krise. Mehr als 24 Millionen Menschen im Land - und damit mehr als 80 Prozent der Bevölkerung - sind laut UNICEF auf humanitäre Hilfe angewiesen. Lebensmittel sind für viele Menschen unbezahlbar geworden, die Wirtschaft liegt brach. Fast 400.000 Kindern droht der Hungertod.

Käme eine Ölpest hinzu, würde sich die Lage weiter verschlimmern. Das Modell der Stanford-Wissenschaftler zeigt, dass sich das Öl im Falle einer Havarie in wenigen Tagen entlang der gesamten Westküste des Jemen verteilen würde. Die Häfen müssten geschlossen werden, damit große Schiffe es nicht noch weiter verbreiten.

Ölpest würde Jemen-Krise verschlimmern

Schon nach zwei Wochen hätten dem Modell zufolge etwa acht Millionen Menschen nichts mehr zu essen, weil 90 Prozent der Nahrungsmittel für den Jemen über die Häfen ins Land kommen. Auch Fischfang wäre an der ölverseuchten Küste nicht mehr möglich. Für 1,7 Millionen Menschen im Jemen, die von der Fischerei abhängig sind, kaum zu verkraften. Die Trinkwasserversorgung würde ebenfalls zusammenbrechen, weil die Meerwasser-Entsalzungsanlagen abgeschaltet werden müssten. Kann auch kein Treibstoff mehr geliefert werden, käme es zum Kollaps der Stromversorgung. "Und bei dem Öl, was freigesetzt wird, entstehen auch immer giftige Gase. Das heißt, es ist davon auszugehen, dass viele Menschen krank werden aufgrund von Atemwegserkrankungen, weil sie diese giftigen Gase einatmen", mahnt Bussau.

Etwa drei Wochen nach der Havarie würde das ausgelaufene Öl auch die Küste von Saudi-Arabien erreichen, heißt es in der Studie. Auf afrikanischer Seite wären Eritrea und Dschibuti schwer betroffen.

Christian Bussau hofft deshalb, dass endlich eine Lösung gefunden wird. "Die Ladung müsste jetzt sofort abgepumpt werden. Das heißt, man muss nach wie vor versuchen, mit den Huthi-Rebellen in den Dialog zu treten und ein Maßnahmenpaket festzuzurren." Man müsse Ölbekämpfungsmaterial vorhalten. Das heißt, wenn Öl austritt, hat man Ölsperren vor Ort und kann das Schiff sozusagen einsperren. "Den Huthi-Rebellen muss klargemacht werden, dass es zu einer humanitären und wirtschaftlichen Katastrophe kommt, wenn das Öl austritt."

Schwierige Verhandlungen mit Rebellen

Der Öl-Experte von Greenpeace verlangt, dass sich die Vereinten Nationen einschalten und mit den Huthi-Rebellen einen Deal aushandeln. Daran arbeiten die UN schon seit Längerem, aber noch können sie die Rebellen nicht überzeugen. Den Vorschlag, das Öl abzupumpen, zu verkaufen und das Geld halbe-halbe zwischen den Huthis und Jemens Regierung zu teilen, haben die Rebellen abgelehnt. Sie wollen das ganze Ölgeld für sich alleine. "Die Ladung ist je nach Ölpreis zwischen 40 Millionen und 80 Millionen US-Dollar wert. Das heißt, es geht hier letztendlich um Geld. Allerdings werden die Auswirkungen einer Katastrophe unter Umständen wesentlich teurer und deswegen darf es nicht an finanziellen Überlegungen scheitern", macht Bussau im Podcast deutlich.

Weil der Gesprächsfaden zwischen UN und Huthis offenbar abgerissen ist, haben sich längst andere Akteure in den Konflikt eingemischt. Eine nichtstaatliche US-Beratungsgruppe forderte den UN-Sicherheitsrat dazu auf, einen Militäreinsatz zu genehmigen, um das Öl der "Safer" abzupumpen.

Zu riskant, fürchten Kritiker. Denn es würde ungefähr einen Monat dauern, das komplette Öl abzupumpen. Kann man die Huthis solange von der "Safer" fernhalten? Außerdem werden in der Gegend rund um das Schiff Seeminen vermutet.

Privatfirma könnte Lösung bringen

Auch der Iran hat seine Hilfe angeboten. Das Mullah-Regime will ein funktionstüchtiges Lagerschiff ins Rote Meer schicken, um das Öl umzuladen. Für die jemenitische Regierung und deren Unterstützer, darunter Saudi-Arabien, ist das aber keine Option, weil der Iran die Huthi-Rebellen unterstützt und somit das ganze Ölgeld am Ende bei ihnen landen könnte.

Vielversprechender klingt der Vorschlag einer Getreidehandelsfirma aus dem Jemen. Die Fahem Group will etwa 100 Millionen Dollar aufbringen - so viel ist das Schiff mit Ladung wert - und die Huthis auszahlen, schreibt "The New Yorker". Demnach befinde man sich in "positiven Gesprächen". Die Huthis wollen, dass eine neutrale Organisation die Mission überwacht, heißt es. Zur Überraschung aller sollen diesen Job die Vereinten Nationen übernehmen.

Welche Lösung am Ende auch immer gefunden wird, die schlechteste wäre, nichts zu tun. Jeder Tag länger, an dem der Tanker mit über einer Million Barrel Öl im Meer vor sich hin rostet, macht die Lage gefährlicher und eine Umweltkatastrophe wahrscheinlicher. Die "Safer" ist eine schwimmende Zeitbombe, die das Leben von Millionen Tieren und Menschen bedroht.

Quelle: ntv.de

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