Nicht alle Maßnahmen beendet Muss man am 2. April noch Maske tragen?
30.03.2022, 15:16 Uhr
Im Supermarkt wird die Maskenpflicht aufgehoben.
(Foto: IMAGO/Rolf Poss)
Ab Sonntag gelten die meisten Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus nicht mehr. Zutrittsregeln fallen weg, die Maske muss zumeist nicht mehr getragen werden. Ausnahmen aber gibt es, je nach Aufenthaltsort und Länderregelung. Was jetzt wo gilt.
Ist das Virus jetzt nicht mehr gefährlich?
Das zu sagen, wäre verharmlosend. Die Zahlen sind nach wie vor sehr hoch. Das Robert-Koch-Institut meldete am Morgen 268.477 Neuinfektionen binnen eines Tages. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 1663,0. Damit sind zwar beide Zahlen im Wochenvergleich etwas gesunken, aber auf weiter extrem hohem Niveau. Zudem gehen Experten seit einiger Zeit von einer hohen Zahl nicht vom RKI erfasster Fälle aus - wegen überlasteter Gesundheitsämter und weil nicht alle Infizierten einen PCR-Test machen lassen. Nur diese zählen in der Statistik. Binnen 24 Stunden starben zudem 348 Personen - und damit mehr als vor einer Woche.
Dank der milderen Omikron-Variante und den Impfungen drohe aber keine drastische Eskalation mehr, sagte Christian Drosten im letzten gemeinsamen NDR-Podcast "Das Corona-Update" mit Sandra Ciesek: "Wir können sagen: Die Situation ist deutlich besser geworden, aber sie ist nicht komplett aufgelöst."
Warum fallen die Maßnahmen trotzdem weg?
Weil die bisherige Rechtsgrundlage ausläuft. Mehrere Bundesländer hatten beantragt, das Infektionsschutzgesetz aufgrund der weiter sehr hohen Infektionszahlen in Deutschland erneut entsprechend zu ändern, darauf konnten sich die Gesundheitsminister aller Länder aber nicht einigen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach verteidigte dies: "Wenn es eine nationale Überforderung des Gesundheitssystems durch die Pandemie nicht gibt, sind auch nationale Regeln nicht mehr durchführbar."
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek konstatierte nach der Konferenz mit seinen Länder-Kollegen frustriert: "In der Sache waren sich alle einig: Die Maskenpflicht in Innenräumen wäre zum aktuellen Zeitpunkt eigentlich noch sinnvoll - und zwar bundesweit." Dass diese aufgrund des veränderten Infektionsschutzgesetzes trotzdem nicht verlängert werden könne, sei "doch an Absurdität nicht zu überbieten".
Was sagen Expertinnen und Experten?
Die Virologen sind sich erstaunlich einig. "Wenn die Infektionszahlen stark ansteigen, ist es natürlich schlecht, wenn man gleichzeitig Maßnahmen aufhebt und das Infektionsgeschehen dadurch noch ankurbelt", sagte Sandra Ciesek, Direktorin der medizinischen Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main im "Corona-Update". "Ich würde empfehlen, Maske überall dort zu tragen, wo es erforderlich ist: wenn es eng wird, in schlecht belüfteten Innenräumen, im öffentlichen Nahverkehr", sagte sie. "Natürlich ist eine Aufhebung der Maskenpflicht kein Übergang in ein Maskenverbot!", erklärte auch Hendrick Streeck bei Markus Lanz.
Dass Deutschland ebenso wie andere europäische Staaten die Beschränkungen so abrupt beende, sei "brutal", sagte der Europadirektor der Weltgesundheitsorganisation, Hans Kluge. Als Folge dürften die Zahlen der Neuinfektionen stark ansteigen, sagte er.
Lauterbach appellierte einmal mehr an die Eigenverantwortung. Auch an die der Länder, die er zu weitergehenden Alltagsauflagen für regionale Hotspots animierte. Das "Maximale", was nun rechtlich möglich sei, sei "eine lokale Beherrschung der Pandemie". Er ärgerte sich über den Zwist zwischen Bund und Ländern: "Die Länder verlangen ein Gesetz, das rechtlich nicht geht, statt ein gutes Gesetz, das sie haben, zu nutzen." Er rief die Bürgerinnen und Bürger auf, angesichts der hohen Infektionszahlen auch weiterhin Maske zu tragen - denn die Pandemie könne sich "noch lange hinziehen", so Lauterbach. "Eine schnelle Veränderung der Lage steht nicht unmittelbar bevor."
Wie ist die Stimmung unter den Bürgerinnen und Bürgern?
Nur knapp ein Drittel (32 Prozent) findet es richtig, dass die Maßnahmen aufgehoben werden. Das ergab eine forsa-Umfrage im Auftrag von RTL/ntv. Die Mehrheit (65 Prozent) hält das Auslaufen dagegen für verfrüht. Sogar 69 Prozent der Bundesbürger sind sich einig, dass die Pflicht zum Tragen einer Maske vorerst bestehen bleiben sollte.
Wo muss man weiter Maske tragen?
Die Maskenpflicht ist nur noch sehr begrenzt möglich. In Kliniken, Pflegeheimen und den öffentlichen Verkehrsmitteln ist sie weiterhin aktiv. Das gilt auch für den Luft- und Personenfernverkehr.
Kann jeder Geschäftsinhaber, jeder Veranstalter, jeder Unternehmer ein Hausrecht erlassen?
Ja, grundsätzlich wäre das möglich. Wenn ein Aushang am Eingang von Supermärkten oder Konzerthäusern das Tragen einer Maske einfordere, müssen Kunden sich daran halten. Umgesetzt wird es aber wohl nur selten, denn zahlreiche große Handelsketten wollen der "Bild"-Zeitung zufolge die Maskenpflicht abschaffen. Demnach kündigten IKEA und Thalia an, die Maskenpflicht fallen zu lassen. Auch in Filialen von C&A, Douglas, Woolworth, Deichmann und Ernsting's family werde die Maskenpflicht aufgehoben. Gerry Weber wolle sie lediglich für Mitarbeiter anordnen. Saturn und MediaMarkt hatten ebenfalls bereits bekannt gegeben, dass sie die Maskenpflicht nicht länger als rechtlich nötig aufrechterhalten.
Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth, sagte, er gehe davon aus, dass viele Kundinnen und Kunden die Maske weiter freiwillig beim Einkaufen tragen würden. Mit Blick auf Desinfektionsmittel-Spender am Ladeneingang und Plexiglaswände an Kassen gehe er davon aus, dass viele Unternehmen zumindest einige dieser Vorkehrungen weiterführen. "Auch weil es oft dem mehrheitlichen Kundenwunsch entspricht und als besonderer Service empfunden wird", sagte Genth. Viele Beschäftigte machten sich aufgrund der Aufhebung der Maskenpflicht und der weiterhin hohen Infektionszahlen große Sorgen, sagte das Verdi-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger den Funke-Zeitungen.
Was können die Bundesländer individuell entscheiden?
Auf Grundlage des geänderten Infektionsschutzgesetzes kann es weiter Regelungen geben, aber nur noch regional. Das jeweilige Landesparlament muss dafür eine kritische Corona-Lage feststellen und einen sogenannten Hotspot ausrufen. Dann kann es weiterhin 2G- oder 3G-Zutrittsregeln geben, auch eine Maskenpflicht in Schulen oder Geschäften wäre dann möglich.
Schwellenwerte, ab wann eine Region ein Hotspot ist, sind im Gesetz nicht beziffert. Generelle Voraussetzung ist, dass eine Überlastung der Klinikkapazitäten droht. Lauterbach hatte vier Kriterien genannt, an denen man dies bemessen könne: Wenn Kliniken die Notfallversorgung nicht mehr leisten könnten - wegen zu vieler Corona-Patienten oder Personalausfälle, wenn sie planbare Eingriffe absagen oder Patienten in andere Häuser verlegen müssten - sowie wenn Vorgaben zu einer Mindestpräsenz von Pflegekräften nicht eingehalten werden könnten.
Wie leicht ist das umsetzbar?
"Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber keine Kriterien festgelegt, unter welchen Voraussetzungen eine Hotspot-Regelung in Betracht kommt", kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der "Rheinischen Post". "Schon unter zeitlichen Aspekten dürfte es fraglich sein, ob die Landesparlamente - zum Beispiel in Ferienzeiten - jeweils einzelne Bestimmungen für einzelne Regionen erlassen könnten", so Landsberg. "Deswegen erwarten wir, dass sich die Länder auf eine möglichst einheitliche Regelung verständigen, sodass auch ein gesamtes Landesgebiet oder große Teile vorsorglich zum Hotspot erklärt werden können."
Davor warnte allerdings Bundesjustizminister Marco Buschmann. Bei vorschneller Anwendung einer Hotspot-Regelung drohten den Ländern Niederlagen im Falle einer gerichtlichen Anfechtung. Einen Hotspot mit Schutzmaßnahmen dürfe es nur dort geben, wo "eine konkrete Gefahr für die Funktionstüchtigkeit des Gesundheitswesens" existiere, sagte der FDP-Politiker der "Bild"-Zeitung.
Gibt es konkrete Beispiele in den Bundesländern?
Ja, etwa Mecklenburg-Vorpommern. Das nördliche Bundesland hat sich landesweit aufgrund erheblicher Infektionszahlen bis Ende April zum Hotspot erklärt. "Das haben wir genau abgewogen und uns jeden einzelnen Landkreis angesehen. Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern leider momentan eine sehr hohe Inzidenz", sagte Gesundheitsministerin Stefanie Drese am Dienstag im ARD-Morgenmagazin. In den Kliniken gebe es sowohl auf den Normal- als auch auf den Intensivstationen viele Patienten. " Dazu kommt ein hoher Personalausfall durch selbst erkranktes Personal." Mit dem Ausrufen des Hotspots gelten landesweit die Schutzmaßnahmen vorerst weiter.
Auch Hamburg ist diesen Schritt am heutigen Mittwoch gegangen. Die Bürgerschaft hat die Hansestadt zum Hotspot erklärt. Vorsorglich hatten sowohl die FDP als auch die AfD bereits erklärt, gegen die Hotspot-Regelung, deren Durchsetzung als sicher gilt, zu klagen. Beide Parteien wollen diesen Schritt auch in Mecklenburg-Vorpommern gehen.
Was gilt am Arbeitsplatz?
Hier gilt überraschenderweise nichts akut Neues, denn der Corona-Schutz am Arbeitsplatz liegt schon seit zehn Tagen in den Händen der Arbeitgeber. Seit dem 20. März sollen diese selbst die Gefährdung durch das Virus einschätzen und in einem betrieblichen Hygienekonzept Maßnahmen festlegen. Es steht ihnen offen, ob Beschäftigte einen kostenlosen Corona-Test erhalten, ob Maskenpflicht herrscht, ob weiter im Homeoffice gearbeitet werden kann. "Es besteht keine gesetzliche Verpflichtung, sondern der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, seinen Beschäftigten Homeoffice anzubieten", heißt es in der neuen Verordnung.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Guido Zeitler, sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe mit Blick auf das Gastgewerbe: "Schon aus eigenem Interesse sind die Arbeitgeber dringend aufgefordert, weiterhin alles zum Schutz ihrer Beschäftigten und Gäste zu tun."
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil warb angesichts der weiterhin hohen Infektionszahlen dafür, dass Betriebe und ihre Beschäftigten weiterhin sogenannte Basisschutzmaßnahmen ergreifen, um Ansteckungen bei der Arbeit zu verhindern. "Abstand halten, Maske tragen und regelmäßig lüften haben sich bewährt. (...) Wir alle müssen besonnen und verantwortlich handeln", erklärte der SPD-Politiker. Eine Pflicht gibt es aber, wenn es um die Impfung gegen Covid-19 geht. Denn Arbeitgeber müssen ihren Beschäftigten weiterhin ermöglichen, sich während der Arbeitszeit impfen zu lassen.
Worauf müssen sich Lehrerinnen und Schüler einstellen?
Schulen sind Ländersache, entsprechend können hier unterschiedliche Regeln auferlegt werden. Doch es herrscht Einigkeit - mit landesweiten Enden, sofort oder nach den Osterferien: Die Maskenpflicht wird auch in den Bildungseinrichtungen aufgehoben. Freiwilliges Tragen ist aber selbstverständlich erlaubt.
Die Gewerkschaft des Verbandes Bildung und Erziehung sprach sich gegen eine Aufhebung aus. Der Bundesvorsitzende Udo Beckmann sagte kürzlich, die Maskenpflicht müsse bis mindestens zu den Osterferien aufrecht erhalten bleiben - "Wenn Politik ernsthaft daran interessiert ist, dass das System Schule nicht kollabiert". Der Landeselternbeirat Schleswig-Holsteins geht noch einen Schritt weiter und findet es "absolut unverantwortlich", die Schutzmaßnahmen im Land sofort nach den Osterferien zu beenden, sagte der Beiratsvorsitzende Thorsten Muschinski.
Eine schulinterne Maskenpflicht aufzuerlegen, ist der Schulministerin von Nordrhein-Westfalen, Yvonne Gebauer, zufolge nicht gestattet. Ihre Berliner Amtskollegin, Astrid-Sabine Busse, sagte: "Ich rate den Schülerinnen und Schülern sowie dem Schulpersonal dringend, aus Infektionsgründen weiter eine Maske in der Schule zu tragen. Dafür gibt es gute Gründe, auch wenn dies nun eine freiwillige Entscheidung ist. Eine Maske zu tragen, dient dem Selbstschutz und dem Schutz anderer. Klar ist aber auch, dass niemand wegen des Tragens und Nichtragens einer Maske Nachteile erfahren darf."
Regelmäßige Tests in Schulen darf es laut aktualisiertem Infektionsschutzgesetz noch geben. Verpflichtend ist dies allerdings nicht, auch hier entscheiden die Länder. Berlin etwa hat die Testpflicht sogar ausgeweitet, sie gilt ab April auch für geimpfte und genesene Personen. Dreimal wöchentlich werde bis auf weiteres getestet, heißt es. Auch im Saarland sind Tests weiter verpflichtend. In Schleswig-Holstein dagegen bleibt es bei freiwilligen Tests für Schülerinnen und Schüler.
Und im Sommer war es das dann mit Corona?
Nein, das ist wohl Wunschdenken. Expertinnen und Experten betonen immer wieder, dass man sich an ein Leben mit dem Virus gewöhnen muss. Auch wer einmal infiziert war, ist bekanntlich nicht langfristig geschützt.
Dass man im kommenden Herbst ohne Maßnahmen auskommen wird, sieht Drosten nicht. "Weil den meisten der Übertragungsschutz fehlt, wird es, wenn es kälter wird, wieder zu verstärkter Übertragung kommen." In seinem Podcast mit Ciesek machte er aber Hoffnung: "Vielleicht ist es aber der letzte Herbst, wo man so gegenbremsen muss."
Quelle: ntv.de, ara/dpa/AFP/rts