Panorama

Umstrittene Entscheidung des RKI Sind Genesene nur drei Monate geschützt?

In der EU gelten Corona-Infizierte für sechs Monate nach ihrer Ansteckung als geschützt, erst danach erlischt der Genesenenstatus. Deutschland allerdings geht einen Sonderweg. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, auf denen der beruht, sind aber nicht so eindeutig wie dargestellt.

Still und heimlich hat das Robert-Koch-Institut (RKI) im Januar die Regeln angepasst. Seitdem gelten Menschen, die eine Corona-Infektion durchgemacht haben, in Deutschland nur noch 90 Tage als geschützt vor einer erneuten Infektion. Danach müssen sie sich impfen lassen, um eines der beiden G der 2G-Regeln zu erfüllen.

"Das ist wissenschaftlich einfach richtig", hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Entscheidung Ende Januar unter anderem im ZDF verteidigt. "Nach drei Monaten kann sich derjenige, der sich mit der Delta-Variante schon infiziert hat, mit Omikron erneut infizieren." Die RKI-Entscheidung sei "nicht populär, aber wenn man die Bevölkerung schützen will, muss nicht jeder Schritt populär sein".

RKI hat eine Art Vollmacht

Populär ist diese Entscheidung wahrlich nicht. Denn anders als in Deutschland gelten Corona-Infizierte in der übrigen Europäischen Union für sechs Monate nach ihrer Ansteckung als geschützt, erst dann erlischt der Genesenenstatus.

Viele Menschen stören sich außerdem daran, wie das RKI die Entscheidung bekannt gemacht hat - hintenrum, über einen Vermerk auf seiner Internetseite. Gehört ein derart wichtiger Beschluss, der potenziell den Alltag aller Menschen betrifft, nicht im Bundestag diskutiert? Doch in der aktuellen Covid-19-Schutzverordnung werden dem Robert-Koch-Institut weitreichende Entscheidungsbefugnisse eingeräumt - eine Art Generalvollmacht.

Allerdings sind auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, auf die sich Gesundheitsminister Lauterbach und das RKI bei ihrer Entscheidung berufen, nicht so eindeutig wie dargestellt. Die Behörde verweist unter anderem auf Erkenntnisse der Ständigen Impfkommission (STIKO). Die empfiehlt Genesenen zwar, sich drei Monate nach der Infektion impfen zu lassen. Wie lange eine Infektion vor erneuter Ansteckung schützt, spielt bei der Empfehlung aber keine Rolle.

Auch eine britische Studie, die das RKI hinzuzieht, besagt nur, dass eine frühere Infektion nur noch zu 44 Prozent vor einer Omikron-Ansteckung schützt. Zum Abstand zwischen erster und zweiter Ansteckung sagt die Studie nichts.

"Viel weniger Viren, um Infektion auszulösen"

Klar ist, dass Omikron von allen bisherigen Varianten die ansteckendste ist und die Impfstoffe dagegen am schlechtesten schützen. "Es ist nämlich so, dass durch die Mutationen auf dem Spike-Protein die Bindungsfähigkeit an die Wirtszellen im menschlichen Körper noch besser ist. Das heißt, es reichen viel weniger Viren aus, um eine Infektion auszulösen. Und deswegen ist das Ganze so erfolgreich", hat Epidemiologe Timo Ulrichs im ntv-Podcast "Wieder was gelernt" erklärt.

Impfdurchbrüche sind bei Omikron keine Seltenheit. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: Die Verläufe sind in der Regel mild - vor allem bei Geimpften und Genesenen.

Das RKI hat den Genesenenstatus also eher nicht wegen des Risikos für die Genesenen selbst verkürzt, sondern mutmaßlich, weil sie nach erneuter Infektion das Virus an andere mit höherem Risiko für einen schweren Verlauf weitergeben können - das kann vor allem für ältere ungeimpfte Menschen gefährlich werden.

Impfstatus nicht angepasst

Nach dieser Logik müsste aber eigentlich auch der Impfstatus angepasst werden. Doch das ist nicht passiert. Die STIKO empfiehlt zwar zweifach Geimpften einen Booster nach mindestens drei Monaten. Den Status "vollständig geimpft" verlieren doppelt Geimpfte aber erst nach neun Monaten. Bis Ende Januar hatten sie sogar zwölf Monate Zeit, um sich boostern zu lassen.

Auch einige Wissenschaftler kritisieren die willkürlich erscheinende Unterscheidung von Genesenen und Geimpften- zum Beispiel Hendrik Streeck. Der Virologe von der Uni Bonn, der im Expertenrat der Bundesregierung sitzt, hält die Regelung für unlogisch. Im ntv-Podcast "Wieder was gelernt" berichtete Streeck zuletzt von einer Studie aus Katar, die Genesenen einen "hervorragenden Schutz vor erneuter Infektion in den ersten 200 Tagen" attestiere. Deshalb fordert er, "den Genesenenstatus mit dem Impfstatus gleichzusetzen".

Verkürzung als Impfanreiz?

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Aktuell sieht's aber erstmal so aus, dass Genesene in Deutschland nach drei Monaten mit Ungeimpften gleichgestellt werden, überall sonst in der EU nach sechs Monaten. In der Schweiz verliert man den Status sogar erst nach neun Monaten. Entscheidungen, die willkürlich wirken. Denn die Immunantwort gegen die Omikron-Variante unterscheide sich in der Schweiz natürlich nicht von der in Deutschland, hat Epidemiologe Ulrichs betont. "Dass man die Zeit in Deutschland verkürzt hat, dient der zusätzlichen Sicherheit."

Das Bundesgesundheitsministerium bringt aber noch einen anderen Grund ins Spiel. Die Verkürzung des Genesenenstatus könne als "Anreiz gesehen werden, sich impfen zu lassen", sagt Ministeriumssprecher Hanno Kautz. Wer geboostert ist, muss sich - zumindest Stand jetzt - keine Gedanken um den Impfstatus machen, die dritte Impfung hat bislang kein Ablaufdatum.

Dann sollten diese Anreize aber auch öffentlich kommuniziert werden. Wenn sie still und heimlich auf Webseiten auftauchen, erfährt nämlich niemand davon.

"Wieder was gelernt"-Podcast

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Quelle: ntv.de

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