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Weltweites Regel-Wirrwarr Welcher Impfstoff ist der beste "Reisepass"?

Geimpfte sollten beim Verreisen an Impfpass oder digitales Impfzertifikat denken.

Geimpfte sollten beim Verreisen an Impfpass oder digitales Impfzertifikat denken.

(Foto: picture alliance / Goldmann)

Auch wer doppelt geimpft ist, wird nicht automatisch von jedem Land als voll geschützt angesehen. Sputnik-Geimpfte etwa gelangen nur in einzelne EU-Länder. Andere Impfstoffe bieten mehr Reisefreiheit. Das Chaos ärgert vor allem die Tourismusbranche.

Wer die Corona-Warn-App auf seinem Smartphone installiert hat, kann damit nicht nur seinen Impfstatus anzeigen lassen, sondern auch prüfen, welches Land einem die Einreise gewährt. Einfach den Staat der Wahl anklicken sowie das geplante Einreisedatum angeben, und die App spuckt eine Info aus, ob das jeweilige Land den Impfstoff akzeptiert oder nicht.

Innerhalb der Europäischen Union ist das nur dann unkompliziert, wenn man mit einem der in der EU zugelassenen Vakzine gegen Corona geimpft ist: Bei Biontech, Moderna und Astrazeneca braucht man zwei Dosen für den vollen Impfschutz, bei Johnson & Johnson reicht eine. Kreuzgeimpfte, die Astrazeneca als erste Dosis und Moderna oder Biontech als zweite Dosis erhalten haben, gelten in der EU ebenfalls als voll geimpft. Wer allerdings beispielsweise den russischen Impfstoff Sputnik V verabreicht bekommen hat, darf nur in einzelne EU-Staaten wie Ungarn einreisen, nicht aber nach Deutschland.

"Sand im Getriebe des Tourismus-Motors"

Für den internationalen Reiseverkehr hat der Impfstatus mittlerweile eine enorm wichtige Bedeutung. Ein gültiger Reisepass allein reicht nun nicht mehr aus, um Grenzen zu überqueren. "Das ist natürlich Sand im Getriebe des Tourismus-Motors, gar keine Frage. Wenn es auf internationaler oder supranationaler Ebene keine Einigungen gibt, was die Anerkennung von Impfstoffen betrifft, führt das zu einer gewissen Unsicherheit im System", analysiert Marco Gardini, Tourismusprofessor an der Hochschule Kempten, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".

Wer ins Ausland reist, dem hilft der volle Impfschutz nur dann, wenn das Land, in das man einreist, den Impfstoff auch anerkannt. Ein mit Sputnik geimpfter Russe gelangt problemlos nach Ungarn, aber nicht nach Deutschland. Zwar habe der Großteil der Tourismusbranche Verständnis dafür, dass jedes Land zunächst einmal eigene Entscheidungen trifft, welchen Impfstoff es anerkennt oder nicht. Zugleich sei ein weltweiter Flickenteppich aber auch keine gute Lösung, führt Gardini aus. "Kein Land der Welt kann daran interessiert sein, sich letztendlich aus diesem Netzwerk der internationalen Reiseströme abzukoppeln. Weder aus touristischer Sicht, noch gesamtwirtschaftlich gesehen."

Astrazeneca aus Indien von EU nicht akzeptiert

In der EU gibt es zwei Wege, Impfstoffe zuzulassen. National kann jedes Mitgliedsland frei entscheiden, welche Mittel es zulässt. Einzige Bedingung: Der Impfstoff muss von der Weltgesundheitsorganisation WHO anerkannt sein. Darüber hinaus gibt es einheitliche Zulassungen für die gesamte EU, die europäische Arzneimittelbehörde EMA entscheidet darüber. Die EU ist dann wiederum für die Reisebestimmungen zuständig.

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.

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Besonders seltsame Blüten treibt der Flickenteppich im Fall von Astrazeneca. Deren Impfstoff wird in Europa unter dem Namen Vaxzevria produziert und vertrieben. Astrazeneca wird aber auch in Indien vom "Serum Institute of India" produziert. Der Impfstoff, der dort hergestellt wird, heißt aber Covishield. Es ist das identische Präparat, heißt nur anders. Die EU erkennt aber trotzdem nur die in Europa produzierte Astrazeneca-Version "Vaxzevria" an.

Und damit es noch komplizierter wird: Mittlerweile akzeptiert der Großteil der EU-Staaten dann doch beide Astrazeneca-Impfstoffe - egal, ob Vaxzevria oder Covishield draufsteht. Die meisten nationalen Behörden sind der EMA-Entscheidung schlicht zuvor gekommen. Zu den 18 EU-Staaten, die Covishield anerkennen, gehört auch Deutschland. Italien jedoch nicht. Das bedeutet: Wer beispielsweise aus Indien kommt, mit Covishield geimpft ist, darf zwar nach Deutschland reisen, nicht aber nach Italien.

In dem Fall ärgere sich die Tourismbusbranche "natürlich zu Recht über solche Dinge, die einfach unnötig sind", sagt Experte Gardini im Podcast. "Wenn es substantielle Gründe dafür gäbe, kann man so etwas ja nachvollziehen. Aber wenn es in solchen Fällen darum geht, identische Stoffe langwierig zu prüfen, führt das einfach zu Verzögerungen und Verzerrungen im System. Und das kann die Tourismusbranche nicht gutheißen." Für viele Länder, die mehr oder weniger vom internationalen Tourismus abhängig sind, führt die aktuelle Situation zu großer Unsicherheit.

Für Afrika ist Covishield gut genug

Wie absurd das langwierige Zulassungsverfahren von Covishield in der EU ist, wird an einem weiteren Beispiel deutlich: Während Covishield weiterhin nicht in allen Mitgliedstaaten anerkannt ist, kauft Brüssel über die Impfstoff-Initiative der WHO, Covax, das Mittel fleißig günstig in Indien ein und gibt es dann nach Afrika weiter.

Dort wächst mittlerweile der Unmut. Der Chef der afrikanischen Gesundheitsbehörde CDC, John Nkengasong, sagte der ARD zuletzt, dass die "Steuerzahler ihre Regierungen fragen sollten", warum diese "ihr Geld für Impfstoff aus Indien ausgeben, den nach Afrika bringen und dann nicht zulassen, dass die damit geimpften Leute nach Europa reisen können." Die EU begründet das mit dem komplizierten Zulassungsverfahren der EMA. Die prüfe die Impfstoffherstellung an jedem einzelnen Produktionsstandort, deshalb könne nicht allgemein Astrazeneca anerkannt werden, sondern es müsse von Standort zu Standort einzeln entschieden werden.

Während Astrazeneca aus Europa, Vaxzevria, mittlerweile in 143 Ländern der Welt ein gültiges Impfzertifikat darstellt, berechtigt Astrazeneca aus Indien, also Covishield, nur in 59 Ländern zur Einreise. Das zeigt der "Vaccine Checker" auf der Internetseite "visaguide.world". Hinter Vaxzevria von Astrazeneca ist das Mittel von Biontech/Pfizer der zweitbeste Impf-"Reisepass" - 124 Länder gewähren Einlass. Bei Moderna sind es immerhin noch 84 Staaten, bei Johnson & Johnson 74. Es folgen Sputnik (72) und das chinesische Sinopharm (68), erst dann Covishield.

Biontech-Geimpfte dürfen in 124 Länder reisen

Die Frage, welches Land welchen Impfstoff anerkennt, scheint längst auch eine politische Frage zu sein. Der russische Impfstoff Sputnik V ist in der Europäischen Union nach wie vor nicht zugelassen, umgekehrt akzeptiert Russland aber Biontech, Moderna, Astrazeneca und Johnson & Johnson ebenso nicht.

Nicht nur innerhalb der EU, sondern weltweit, akzeptiert Griechenland die meisten Impfstoffe - zehn an der Zahl: Neben Covishield auch drei chinesische Impfstoffe sowie das Mittel des US-Herstellers Novavax, das aber noch gar nicht eingesetzt werden darf. Auch Ungarn akzeptiert mit acht Vakzinen doppelt so viele wie die EU. Österreich kommt auf sieben, weil es neben den vier in der EU allgemein akzeptierten Impfstoffen auch Covishield sowie die chinesischen Impfstoffe Sinopharm und Sinovac grünes Licht gegeben hat.

In Deutschland hatte unter anderem Mecklenburg-Vorpommern lange mit dem Einsatz von Sputnik geliebäugelt. Mittlerweile hat sich die rot-schwarze Landesregierung aber gegen den Kauf entschieden und sich auf die weiterhin fehlende EMA-Zulassung berufen.

Von diesem Impfstoff-Wirrwarr profitiert der heimische Tourismus, sagt Experte Gardini. Der Deutsche, der international als "Reise-Weltmeister" gelte, suche sich andere Ziele. "Und der heimische Tourismus rückt als eine der großen Alternativen in den Fokus, das sieht man auch an den Buchungszahlen für die klassischen Tourismusregionen an Ost- und Nordsee oder auch im bayerischen Raum."

Quelle: ntv.de

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