Albrecht von Lucke im Interview "Am Sonntag kommt die Quittung für das desaströse Agieren der Ampel"
07.10.2023, 07:05 Uhr Artikel anhören
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) - die Stimmung in der Ampel-Koalition ist seit geraumer Zeit gereizt.
(Foto: Michael Kappeler/dpa)
Fast jeder vierte Bundesbürger ist am Sonntag zur Wahl aufgerufen. Warum die Landtagswahlen in Bayern und Hessen aber auch für ganz Deutschland spannend werden und warum besonders Söder, Merz und Wüst nach Bayern blicken, erklärt Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke von den "Blättern für deutsche und internationale Politik" im Interview.
ntv.de: Was bedeuten denn die anstehenden Landtagswahlen in Bayern und in Hessen mit Blick auf die Bundespolitik? Es deutet sich ja an, dass die SPD bei beiden Wahlen abgestraft werden könnte.
Albrecht von Lucke: Die Wahlen haben gewaltige Aussagekraft für den Bund. Und zwar in zweierlei Hinsicht. Zunächst einmal sind beide Wahlen Quittungen. Das ist bereits jetzt absehbar.
Quittungen wofür?
Für ein ziemlich desaströses Agieren der Ampel. Und Sie sagen es zu Recht, es ist vor allem die SPD, die diesmal die Quittung bekommt.
In Bayern und in Hessen?
In Bayern ist die SPD ohnehin fast Splitterpartei. Da muss sie um die Zweistelligkeit kämpfen. Das wäre dann schon ein Erfolg. In Hessen wiederum hat die SPD das ganz große Problem, dass sie nämlich schon mit einer Hypothek ins Rennen gegangen ist ...
… Sie meinen die Spitzenkandidatin, Bundesinnenministerin Nancy Faeser?
Richtig. Dass da eine Kandidatin antritt, die von Anfang an sagt: "Ich bleibe bei einer Niederlage nicht im Land". Da hat man immer ganz schlechte Karten. Und jetzt kommen erschwerend für Frau Faeser noch die schwierigen Botschaften der letzten Monate dazu, vor allem die fatale Situation, dass man am Ende des Wahlkampfs ganz stark das Thema Migration, gedrängt von Friedrich Merz, auf den Tisch gebracht hat. Das kommt ungelegen für die SPD.
Wer profitiert davon?
Nutznießer werden die rechten Parteien sein, vor allem eine AfD, aber auch Freie Wähler in Bayern. Wir werden so etwas bekommen wie eine Rechtsverschiebung, ausgedrückt durch die Tatsache, dass in Bayern zwar nicht mehr die CSU irgendwie in die Nähe der absoluten Mehrheit kommt, dass aber die konservativen oder gar rechtskonservativen Parteien CSU, AfD und Freie Wähler um die 66 Prozent, also um die 2/3 aller Wahlstimmen bekommen. Das heißt, wir werden es nach der Wahl mit einer anderen politischen Landschaft zu tun haben.
Sie sprechen von einer Rechtsverschiebung. Welches Abschneiden erwarten Sie denn für die AfD, gerade auch vor dem Hintergrund des noch immer nicht aufgeklärten Vorfalls rund um AfD-Chef Tino Chrupalla?
Der Vorfall wird vielleicht auch vorläufig unaufgeklärt bleiben. Es ist möglicherweise das bekannte Phänomen, dass auch Fake News dienlich sind. Wobei ich eines sehr deutlich sagen will: Jeder Angriff auf einen Politiker ist für unsere Demokratie absolut schädlich. Und das beinhaltet auch ausdrücklich jeden Angriff gegen AfD-Politiker. Das zerstört den Willen, in die Politik zu gehen. Das betrifft also jede Partei. Aber ich erwarte durchaus, dass die AfD in beiden Bundesländern, Hessen und Bayern, deutlich besser abschneidet als bei den vorangegangenen Landtagswahlen.
Gibt es da Unterschiede zwischen der Situation in Hessen und in Bayern?
Na ja, in Bayern kommt noch hinzu, dass mit den Freien Wählern, die in den letzten Jahren auch eine klare Rechtsentwicklung unter Hubert Aiwanger genommen haben, noch eine weitere Partei im rechtskonservativen Spektrum verortet ist. Denken wir nur an die letzten Auftritte Aiwangers in Erding, wo er ja genau die Sprache der AfD gesprochen hat. Wir haben es nicht mehr mit einer, wie so oft ja behaupteten, ich sage es mal in den obszönen Worten des Ex-AfD-Mannes Jörg Meuthen, mit einer linksgrün-versifften Republik oder gar mit einer grünen Deutungshoheit, einer letztlich rot-grünen Republik zu tun. Nein, wir sind in den letzten Monaten mit Aversionen konfrontiert, auch gerade mit Aversionen gegen die Grünen, die ja fast in Richtung Hass gehen. Wir sind in eine sehr viel konservativere, ja rechte Republik gegangen und das werden diese Wahlen auch zeigen.
Nun heißt es immer wieder aus den Reihen anderer Parteien: keine Zusammenarbeit mit der AfD. Aber der Zuspruch für die AfD wächst. Jeder Fünfte würde sie aktuell wählen. Muss man dem nicht auch politisch Rechnung tragen? Oder kann man das vereinfacht gesagt einfach ignorieren? In Hessen zum Beispiel, da sind ja zumindest aus demokratischer Sicht 16 Prozent für die Grünen am Ende nicht mehr wert als 16 Prozent für die AfD.
Nein, aber die 16 Prozent für die AfD wollen im Kern, um es deutlich zu sagen, eine andere Republik. Das mag in Hessen sogar noch eine „moderatere“ AfD sein. Aber wenn Sie sich bewusst machen, was der heimliche Anführer Björn Höcke …
… der AfD-Fraktionschef in Thüringen und Begründer des inzwischen offiziell aufgelösten Flügels…
… treibt, wird es irgendwann zum Schwur kommen. Sie müssen bedenken, Höckes AfD wird im nächsten Jahr nach den dortigen Landtagswahlen vielleicht deutlich die stärkste Partei in Thüringen sein. Was Höcke mit dieser Partei im Schilde führt, das hat mit unserer parlamentarischen Republik und übrigens auch mit Ansichten von CDU/CSU wenig zu tun. Das Ziel ist die Zerstörung der CDU/CSU. Dann ist doch ganz klar, dass jede Union mit dem Klammerbeutel gepudert wäre, wenn sie jetzt die Überlegung anstellen würde, mit der AfD tatsächlich gar auf Landesebene zu koalieren oder zusammenzuarbeiten.
Weil es am Ende die AfD stärken würde?
Denken Sie beispielsweise an Österreich. Dort hat der Versuch, die FPÖ einzugemeinden, dazu geführt, dass sie jetzt die stärkste Partei ist. All diese Versuche, auf Landesebene Koalitionen einzugehen, sind verhängnisvoll. Und eines dürfen wir uns dann doch noch immer bewusst machen: In unserer Republik sind immer noch 80 Prozent gegen die AfD. Das Problem ist bloß, und das ist das eigentliche Problem dieses Wahljahres und ich befürchte auch der nächsten zwei Jahre, dass durch völlig unnötige und taktische Streitigkeiten - gerade über die Migrationspolitik - Wählerinnen und Wähler zur AfD getrieben werden. Streitigkeiten übrigens betrieben vor allem von einem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, der wieder den Strauß aufgemacht hat Richtung AfD, was der AfD in die Hände gespielt hat. Damit stärkt man die AfD. Das ist das Verhängnis. Wenn aber eine klare Gruppierung beziehungsweise eine gemeinsame Front gegen die AfD in den westlichen Bundesländern Politik macht, dann ist die AfD noch weit von Regierungsbeteiligung entfernt.

Kanzlerkandidatur? Noch weit weg. Dennoch: Zwischen Friedrich Merz (v.l.), Hendrik Wüst und Markus Söder könnte es sich entscheiden.
(Foto: Oliver Berg/dpa)
Einmal der Blick nach Bayern und zu CSU-Chef Markus Söder. Was bedeuten die Landtagswahlen in Bayern für die Stellung von Markus Söder? Auch mit Blick auf die Union für die anstehenden Bundestagswahlen? Oder bleibt Söder wirklich in Bayern, egal was passiert?
Wenn es nach Markus Söder ginge, würde er natürlich Bundeskanzler werden wollen. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Und ich bin ganz sicher, dass das, was er heute behauptet, nämlich sein Platz sei in Bayern, schon morgen Makulatur sein wird, wenn er denn das Ergebnis erzielt.
Was für ein Ergebnis bräuchte er für bundespolitischen Auftrieb?
Was er braucht, tja, das ist der entscheidende Punkt. Ich würde sagen, wenn er nur irgendwie in die Nähe von 37 Prozent kommt, das wäre das Halten seines Ergebnisses der letzten Landtagswahl, dann würde das sofort von der CSU als Erfolg ausgelegt werden. Auch, weil ja tatsächlich der Rückenwind für Hubert Aiwanger und die Freien Wähler im Wahlkampf beträchtlich war.
37 Prozent, sagen Sie. Und dann? Was ist mit Hendrik Wüst, Ministerpräsident in NRW oder eben Friedrich Merz?
Landet Söder bei den 37 Prozent, dann werden wir meines Erachtens in Zukunft eine Konstellation haben, die da lautet: Markus Söder in Bayern gegen Hendrik Wüst in NRW. Denn Hendrik Wüst ist der eigentliche Protagonist des vernünftigen, des wertkonservativen Lagers. Das sagt klar, wir brauchen auch eine ökologische Politik. Wir brauchen zukünftig auch Koalitionen mit den Grünen. Und das wird übrigens jetzt auch durch Boris Rhein, Hessens CDU-Ministerpräsident, am Sonntag untermauert werden. Rhein koaliert ja bereits mit den Grünen. Boris Rhein wird einen klaren Wahlsieg für die schwarz-grüne Richtung bringen. Das heißt, das wird die Konstellation der Zukunft sein. Söder gegen Wüst.
Und Friedrich Merz?
Ich glaube, Merz könnte aus dem Rennen sein, weil er sich letztlich so ins Abseits geschossen hat. Und der Wahlabend auch nicht als Sieg für ihn gewertet werden wird. Aber das wird dann die spannende Auseinandersetzung der Wahlkampfzeit im nächsten Jahr sein.
Mit Albrecht von Lucke sprach Daniel Schüler
Quelle: ntv.de