Ackerland als Anlageobjekt Wie Investoren die Landwirtschaft bedrohen
10.01.2024, 19:13 Uhr Artikel anhören
Im thüringischen Sömmerda protestierten Landwirte bereits 2017 gegen den immer größeren Einfluss von Investoren in der deutschen Landwirtschaft.
(Foto: picture alliance / Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa)
Bauern machen derzeit ihrer Wut auf die Bundesregierung Luft. Dabei sitzen ihre größten Gegner seit vielen Jahren in den eigenen Reihen: Investoren. Eine Geschichte über schläfrige Politik, raffinierte Deals und viel, viel Geld.
Zu Zehntausenden demonstrieren Landwirte derzeit gegen die Rücknahme von Subvention durch die Bundesregierung. Lautstark zeigen sie mit Blockaden im ganzen Land ihre Macht. Dabei schwindet diese, da sie immer weniger werden. Geschäftsaufgaben aufgrund hoher Kosten und Überalterung setzen der Berufsgruppe erheblich zu. Druck kommt immer öfter aber auch von Investoren.
Deren Präsenz ist vor allem in Ostdeutschland nicht neu, hat sich aber in den letzten Jahren erheblich verschärft. Im Zuge der Finanzkrise 2009 suchten Investoren nach sicheren Anlagemöglichkeiten. Da die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank kaum Zinserträge in Aussicht stellte, begann ein regelrechter Run auf Ackerland. Begünstigt wurde dieser durch bereits zuvor veränderte Rahmenbedingungen der EU-Politik.
So stellte die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP) 2003 ihre Förderung der Landwirte um. Um sogenannte Butterberge und Milchseen zu verhindern, wurden nicht mehr der Liter Milch oder die Tonne Weizen als Grundlage für Subventionen herangezogen, sondern die bewirtschaftete Fläche eines Betriebes. Wer fortan also viele EU-Millionen kassieren wollte, musste nicht viel produzieren, sondern möglichst viel Ackerland sein Eigen nennen. Dies macht sich bemerkbar. Denn obwohl die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland weiterhin deutlich abnahm, blieb die bewirtschaftete Gesamtfläche nahezu konstant. In anderen Worten: Immer weniger Bauern verfügen seitdem über immer größere Betriebsflächen.
Kleinere Betriebe verschwinden
2020 lag die bewirtschaftete Fläche eines Betriebs im Durchschnitt bei 63 Hektar. Das waren 7 Hektar oder 12 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. Laut Statistischem Bundesamt vereinten im selben Jahr Betriebe mit mehr als 200 Hektar bereits 62 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche Deutschlands auf sich - dabei machten sie gerade einmal 14 Prozent der Höfe aus. Der Deutschlandfunk berichtet, dass seit dem Jahr 2000 überhaupt nur die Zahl der Betriebe zugenommen hat, die mehr als 200 Hektar umfassen. Höfe mit kleineren Ackerflächen wurden stetig weniger. Aufgekauft wurden sie in den meisten Fällen von Investoren.
Warum die zunächst in Ostdeutschland zuschlugen, hatte mehrere Gründe: Ackerland war im Vergleich zu Westdeutschland hier erheblich günstiger. 2019 kostete ein Hektar im Schnitt 16.270 Euro gegenüber 38.396 Euro im Westen. Ein weiterer Vorteil für hungrige Investoren: Die zusammenhängenden Ackerflächen waren größer. Dies lag an der Organisation der Landwirtschaft über LPGs, Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, in der DDR. Darüber hinaus begünstigte noch eine Änderung den Einstieg von Investoren in die Landwirtschaft in ganz Deutschland. Wie Landwirt Dietmar Lucke im Gespräch mit der Deutschen Welle erklärt, müssten Käufer von Höfen heute nicht mehr nachweisen, dass sie eine fachliche Ausbildung besitzen, um die Fläche landwirtschaftlich bewirtschaften zu können. Er habe beim Kauf von Land in Brandenburg 1992 diesen Nachweis noch erbringen müssen.
Gerade der letzte Punkt führt dazu, dass immer öfter Unternehmen oder Konzerne, die originär mit Landwirtschaft gar nichts am Hut haben, Ackerland kaufen können. So gehörte etwa die bekannte KTG-Agrar Siegfried Hofreiter. Der verdiente eigentlich mit Wohnmobilen seinen Lebensunterhalt. Die KTG-Agrar - seinerzeit laut "Capital" immerhin Europas größter Agrarkonzern - ging 2016 in die Insolvenz, sein Unternehmen Flexicamper traf es 2023. Hofreiter und seine Frau sitzen wegen des Vorwurfs der Insolvenzverschleppung und des gewerbsmäßigen Betrugs in Untersuchungshaft.
Die neuen Landwirte: Pharma, Versicherer, Heizungsbauer
Hinter den immer zahlreicheren Agrarholdings tauchen jedoch auch Vertreter anderer Branchen auf: etwa die Gustav Zech Stiftung, die zum Bauunternehmen Zech Group gehört. Oder der Versicherer MunichRe, das Pharma-Unternehmen Merkle, Remondis-Gründer Norbert Rethmann, Martin Viessmann, Geschäftsführer des gleichnamigen Heizungsspezialisten. Aber auch die Lukas-Stiftung von Aldi soll sich viele landwirtschaftliche Flächen und Betriebe gesichert haben. Sie alle haben mit Landwirtschaft nicht viel zu tun, verdienen aber gutes Geld damit.
Die Geheimniskrämerei der Konzerne hat Gründe. Für Schlagzeilen sorgte etwa der Fall des Agrarbetriebs Röderland GmbH im brandenburgischen Bönitz. Den wollte, so berichtet der MDR, ein Landwirt kaufen. Das Verfahren lief gut, kurz vor der Entscheidung erhielt er jedoch eine Absage. Er erfuhr, dass ein anderer Bieter zwei Millionen Euro mehr zahlen wollte als er. Dabei handelte es sich nicht um einen konkurrierenden Landwirt, sondern den Immobilienentwickler Quarterback AG aus Leipzig. Der unterlegene Landwirt kritisierte vor allem, dass das Immobilienunternehmen nicht von Beginn an als Bieter auftrat, sondern offenbar erst kurz vor Schluss ins Rennen um den Agrarbetrieb einstieg. Er spekulierte, dass der kurze Vorlauf das Einschreiten von Behörden verhindern sollte.
Die Lukas-Stiftung von Aldi wiederum soll eine Gesetzeslücke genutzt haben, um den Kauf von 2000 Hektar Land im sachsen-anhaltinischen Zeitz nicht anzeigen zu müssen. So kaufte die Stiftung nicht einfach nur die gewünschte Ackerfläche, sondern den gesamten Betrieb. Somit entfiel die Genehmigungspflicht, die beim bloßen Kauf von Ackerland nötig gewesen wäre. Durch den Kauf des gesamten Betriebs musste dieser nicht mal angezeigt werden, berichtet der Deutschlandfunk. Von den 2000 Hektar sollen dann 800 direkt an Aldi übertragen worden sein. Marktwert des gesamten Ackerlands: 24 Millionen Euro.
Steuern sparen dank "Share Deals"
Über einen weiteren Kniff können Konzerne beim Landkauf zudem erheblich Geld sparen. "Share Deals" heißt das Zauberwort. Die sind nach wie vor durch eine Gesetzeslücke möglich. Eigentlich würde beim Kauf von Land die Grunderwerbssteuer fällig. Die ist in den Bundesländern unterschiedlich hoch, kann aber schon mal 6,5 Prozent des Kaufpreises betragen. Die Interessenten schalten oft einfach Immobilienkonzerne dazwischen und kaufen das Land nicht direkt. Sie erwerben Anteile an der Gesellschaft, der das Land gehört. Und schon fällt keine Grunderwerbssteuer mehr an. Allein zwischen 2007 und 2017 sollen laut Deutschlandfunk 28.500 Hektar über "Share Deals" den Besitzer gewechselt haben.
Durch die Käufe von Ackerflächen und Betrieben haben Investoren die Landwirtschaft in Deutschland nachhaltig verändert. Bisher besonders in Ostdeutschland, wo sie bereits zwischen 19 (Mecklenburg-Vorpommern) und 37 Prozent (Thüringen) der landwirtschaftlich genutzten Flächen besitzen, wie "Agrarheute" schreibt. Aber auch in Westdeutschland versuchen sie zunehmend, an Land zu kommen.
Pachtpreise explodieren
Eine Folge der Flächenakkumulation ist, dass die Preise für Ackerland in utopische Höhen geschnellt sind. Viele Landwirte klagen, dass sie über den Zukauf von Land aktuell überhaupt nicht nachdenken müssten. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sind aber nicht nur die Kaufpreise extrem gestiegen, auch die Pachtpreise kletterten zwischen 2010 und 2020 um mehr als 60 Prozent. 2021/2022 kostete ein Hektar Pachtland im Durchschnitt 378 Euro.
Die Investoren profitieren natürlich auch von den üppigen Subventionszahlungen aus Brüssel. Deutschland ist nach Frankreich und Spanien in der EU immerhin drittgrößter Empfänger. In der Förderperiode 2023 bis 2027 gehen rund 6 Milliarden Euro jährlich an landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland, wie das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft schreibt. Dazu kommen weitere 1,8 Milliarden Euro pro Jahr für Klima- und Umweltschutzmaßnahmen. Natürlich teilen sich diese Summen noch immer auf Hunderttausende Betriebe auf, aber für einige Agrarholdings sind zumindest ganz ordentliche Millionenbeträge drin, wie "Agrarheute" zusammengetragen hat. So soll etwa die Deutsche Agrar Holding (DAH), die Teile der insolventen KTG-Agrar aufkaufte, 2019 für seine 36 Betriebe 5,36 Millionen Euro kassiert haben. Die Lindhorst-Gruppe kam auf 3,38 Millionen Euro und die Lukas-Stiftung von Aldi auf immerhin 3,01 Millionen Euro. Selbst der Energiekonzern RWE soll in diesem Zuge noch 330.000 Euro erhalten haben.
Auch die Umwelt leidet
Die Investoren-Tätigkeit hat aber noch andere Konsequenzen. Es werden vor allem benachbarte Flächen gekauft, um sie zusammenzulegen. Gräben, Hecken, Büsche und Bäche, die zuvor Flächen voneinander trennten, verschwinden immer öfter, was der Umwelt schadet. Aber auch die Flächen verändern sich. Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt etwa, dass 1960 noch etwa die Hälfte der landwirtschaftlichen Flächen für Wiesen und Wälder genutzt wurden. Aktuell seien es nur noch 28 Prozent. Zudem gibt es eine Tendenz zu Monokulturen. Denn angebaut wird, was gute Erträge bringt. Aus diesem Grund nahm der Anbau von Raps und Mais im Zuge der E10-Förderung in Deutschland erheblich zu.
Ob diese Gesamtentwicklung gestoppt werden kann, ist ungewiss. Es gab in den vergangenen Jahren politische Initiativen, gebracht haben sie bisher nichts. So wurde auf EU-Ebene bereits über eine Kappung der Subventionen bei 100.000 Euro nachgedacht. Dem wiederum erteilte die Bundespolitik eine Absage. Die Landwirtschaftsministerin der letzten Großen Koalition, Julia Klöckner, hob stattdessen die sogenannte Umverteilungsprämie hervor, die der Landakkumulation vorbeugen sollte. Die sieht vor, dass die ersten 46 Hektar eines Betriebs stärker gefördert werden als die darüber hinaus. Rund 2000 Euro soll es hier geben. Die EU fördert einen Hektar dagegen wohl mit 250 bis 280 Euro. Landwirte klagen jedoch, dass selbst die 2000 Euro im Vergleich viel zu wenig Geld seien.
In Thüringen legte Landwirtschaftsministerin Susanna Karawanskij einen Gesetzentwurf vor, demzufolge Landkäufe angezeigt werden müssten. Zudem sollen Kommunen diese untersagen können. Was daraus wird, ist offen. In Sachsen und Sachsen-Anhalt scheiterten vergleichbare Gesetzesvorhaben bislang. Dies liegt aber nicht an den Investoren, sondern teils an den Bauern selbst. Denn sie befürchten, dass sie ihr Land nicht mehr höchstbietend verkaufen können, wenn sie in Ruhestand gehen. Und so können Investoren weiterhin im großen Stil landwirtschaftliche Flächen und Betriebe kaufen, von EU-Subventionen profitieren und sich Rücklagen für schlechte Zeiten bilden.
Quelle: ntv.de