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"Scheidender" Despot hat Plan B Bereitet Lukaschenko seinen Abgang vor?

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Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko ist seit 30 Jahren an der Macht.

Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko ist seit 30 Jahren an der Macht.

(Foto: picture alliance/dpa/Belarusian Presidential Press Service/AP)

Er will bei der Wahl nächstes Jahr antreten, bezeichnet sich selbst jedoch als "scheidenden" Präsidenten. Die Absichten des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko sind schwer zu durchschauen. Eines steht aber fest: Freiwillig wird der 69-Jährige seine Macht nicht abgeben.

Einige Tage nach den "Parlamentswahlen" in Belarus sind es nicht die Wahlergebnisse, die die Schlagzeilen in der ehemaligen Sowjetrepublik beherrschen. Weder interessiert die meisten Belarussen, wer im neuen Parlament sitzen wird, noch die Namen derjenigen, die dort derzeit noch verweilen. Denn die Abgeordneten, unter denen kein einziger Oppositioneller zu finden ist, haben in dem autoritär regierten Land wenig zu entscheiden. Die uneingeschränkte Macht liegt seit Jahrzehnten in den Händen eines Mannes: Alexander Lukaschenko.

Viel spannender als die Ergebnisse der "Wahl" ist das, was der Langzeitdiktator zu verkünden hatte, als er am Sonntag gemeinsam mit seinem 19-jährigen Sohn Nikolai ein Wahllokal in Minsk besuchte. Dort kündigte er an, bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr erneut anzutreten. "Kein verantwortungsbewusster Präsident wird sein Volk im Stich lassen, das ihm in die Schlacht gefolgt ist", betonte der 69-Jährige.

Allerdings bezeichnete sich Lukaschenko bereits wenige Minuten später als "scheidenden" Präsidenten. Vor Journalisten der staatlichen Medien sprach er von der fortschreitenden Integration in den "Unionsstaat" mit Russland und betonte gleichzeitig, dass beide Länder unabhängig bleiben sollten. Er sei zwar ein "scheidender" Präsident, aber davon überzeugt, dass auch sein Nachfolger die Idee einer Vereinigung mit Russland nicht unterstützen werde, "egal wer nach mir kommt", sagte Lukaschenko. Zudem erklärte er, dass er das laufende Jahr, das er zum "Jahr der Qualität" erklärt hatte, anständig gestalten wolle, "damit man sich daran erinnert, auch wenn der amtierende Präsident nicht zur Wahl geht".

Mit "blauen Fingern" an der Macht halten

Wie sind nun diese widersprüchlichen Aussagen zu verstehen? Plant Lukaschenko, der Belarus seit 1994 mit harter Hand regiert, möglicherweise doch seinen Abgang? Das ist möglich. Ein Blick in die Geschichte dämpft jedoch die Hoffnungen der belarussischen Gesellschaft auf politische Veränderungen in ihrem Land. Bereits vor allen anderen Wahlkampagnen seit 2001 kokettierte er mit einem möglichen Rücktritt. Dabei behauptete er immer wieder, er werde nur antreten, wenn das belarussische Volk es wolle.

Besonders bekannt wurde seine Behauptung im November 2019, als er seine Kandidatur für die Wahl im Sommer darauf ankündigte und sagte, er werde nicht an seinem Sessel festhalten, "bis meine Finger blau werden". Ein halbes Jahr später tat er genau das. Trotz seiner offensichtlichen Niederlage ließ er sich von der von ihm kontrollierten Wahlkommission zum Sieger erklären. Darauf folgten monatelange Massenproteste von beispiellosem Ausmaß, die brutal niedergeschlagen wurden. Mehr als 35.000 Menschen wurden festgenommen, viele von ihnen wurden gefoltert. Zehntausende Regimegegner, darunter Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, flohen ins Ausland.

"Ich verspreche Ihnen, ich werde nicht antreten"

Genau ein Jahr später, im August 2021, als die Proteste zwar bereits nachgelassen hatten, Lukaschenko jedoch noch angeschlagen war, verkündete er ganz direkt, er werde bei der nächsten Präsidentschaftswahl nicht antreten. "Ich verspreche Ihnen, ich werde nicht antreten", versicherte er.

Heute jedoch sitzt der Diktator fest im Sattel. Die Zivilgesellschaft ist zerschlagen, Oppositionsführer und Aktivisten sind im Ausland oder hinter Gittern, über die bekanntesten Gefangenen wie Maria Kolesnikowa, Wiktor Babariko, Sergej Tichanowski und andere gibt es seit mehr als einem Jahr keine Informationen mehr. Niemand weiß, ob sie überhaupt noch am Leben sind.

Auch der Krieg in der Ukraine spielt Lukaschenko in die Karten. Er sieht sich erstens bestätigt, da er jahrelang "vor Zuständen wie in der Ukraine" warnte, sollte er nicht mehr Präsident werden. Viele Belarussen wünschten sich jedoch eben diese ukrainischen "Zustände" – Demokratie, Freiheit und die Normalisierung der Beziehungen zur EU. Als Russland mit Lukaschenkos Hilfe die Ukraine angriff und zahlreiche Städte in Schutt und Asche legte, wurde schließlich klar, worauf er mit seinen Aussagen hinaus wollte.

Zweitens fühlt sich Lukaschenko in Sicherheit, solange sein "großer Bruder" Wladimir Putin im Kreml herrscht und Russlands Truppen in der Ukraine nicht geschlagen sind. Putin ist daran interessiert, dass sein Vertrauter Lukaschenko, der ihm schon mehrmals die Treue bewiesen hat, an der Macht bleibt und ihn weiterhin bei all seinen Machenschaften unterstützt. Nicht zuletzt die russischen Atomwaffen, die Putin in Belarus stationieren ließ, lassen Lukaschenko mächtig erscheinen.

Lukaschenko kann auch auf anderen Posten Kontrolle ausüben

Dennoch hält der Historiker Alexander Friedman es für möglich, dass der 69-Jährige über einen Machtwechsel nachdenkt. "Es ist für mich überhaupt nicht offensichtlich, dass ein älterer Mann nach 30 Jahren im Präsidentenamt weiterhin im operativen Management tätig sein, Treffen organisieren, beim ersten Signal nach Moskau fahren und viel anderes machen will", schrieb er in seinem Telegram-Kanal. Es gebe die Sichtweise, dass Lukaschenko sich sein Leben nicht ohne die Präsidentschaft vorstellen kann, schreibt der Osteuropa-Experte von der Universität des Saaralndes. "Ich glaube, es sieht etwas anders aus: Er kann sich sein Leben nicht ohne Macht und Kontrolle über sie vorstellen. Aber die Kontrolle kann auch auf anderen Posten ausgeübt werden." Dagegen spricht aus Friedmans Sicht jedoch, dass Lukaschenko Angst habe, die Macht aus der Hand zu geben, und dass er keine für ihn akzeptable Variante des Machtwechsels sieht.

Eine mögliche Option für den "scheidenden" Diktator könnte der Posten des Vorsitzenden der "Allbelarussischen Volksversammlung" sein, wie Jakob Wöllenstein, Leiter des Auslandsbüros Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Vilnius, in seinem Gastbeitrag bei ntv.de schreibt. "Dieses neue Superorgan schwebt seit einer Verfassungsänderung vor zwei Jahren im System über allem und hat auch die Macht, Präsidentschaftswahlen zu annullieren", erklärt Wöllenstein. Es wird erwartet, dass Lukaschenko sich im späten Frühjahr zu dessen Vorsitzenden erklären lässt. Dieser Schritt könnte es ihm ermöglichen, im Jahr 2025 eine andere Person in das geschwächte Präsidentenamt einzusetzen und dennoch im Hintergrund die Fäden zu ziehen.

Ob Lukaschenko Präsident bleibt oder einen loyalen Nachfolger ins Amt bringt, ist im Grunde genommen nebensächlich. Solange Putin im Kreml sitzt, ist eine politische Wende in Belarus so gut wie ausgeschlossen.

Quelle: ntv.de

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