Kann es die Union allein?Das Gespenst einer Minderheitsregierung geht um
Volker Petersen
Scheitert das Rentenpaket der schwarz-roten Koalition, könnte es das gewesen sein mit der Zusammenarbeit von Union und SPD. Was dann? Das Gespenst einer Minderheitsregierung macht die Runde. Es wäre ein Himmelfahrtskommando.
"Boah, die Alte nervt", soll mal ein Berater des damaligen Kanzlers Olaf Scholz über eine eigenwillige Politikerin der FDP gesagt haben. Die Ampelkoalition ist Geschichte, aber Union und SPD scheinen am gleichen Punkt angekommen zu sein: Da, wo der Partner vor allem nervt.
Die SPD ist genervt, dass Teile der Union nun beim Rentenpaket nicht mehr mitmachen wollen. Teile der Union sind genervt, dass sie die Rentenpläne der SPD mittragen müssen - entgegen den eigenen Überzeugungen. Auch beim Wehrdienst, beim Bürgergeld und ganz besonders bei der Wahl einer Verfassungsrichterin war das Regieren vieles, nur nicht vergnüglich.
Teile der Union haben offenbar ihre Zuversicht verloren, was diese Regierung angeht. Sie gibt ein schwaches Bild ab, Ampel-Vergleiche häufen sich. So macht in Berlin eine Überlegung mit Sprengkraft die Runde: Wären CDU und CSU besser dran, wenn sie allein regierten? Wäre eine Minderheitsregierung ein Ausweg aus dem Koalitionsblues?
Merz und Söder dagegen
Der Führung gefällt die Idee überhaupt nicht: "Das ist aus meiner Sicht ausgeschlossen, so etwas zu machen", sagte CDU-Chef Friedrich Merz beim Wirtschaftsgipfel der "Süddeutschen Zeitung". "Glaubt denn irgendjemand ernsthaft, wir könnten in diesem Deutschen Bundestag mit wechselnden Mehrheiten arbeiten und da noch vernünftige Gesetzgebungsarbeit machen?"
Auch CSU-Chef Markus Söder hält von der Regierung ohne eigene Mehrheit nichts, wie er am Sonntag beim Deutschlandtag der Jungen Union sagte. "Sie führt am Ende dazu, dass du fast nichts mehr durchbekommst, dass ein Bundeskanzler dann ohne Macht wäre. Und es ist nichts anderes - wie in Weimar - als die Vorstufe der Radikalen", warnte der bayerische Ministerpräsident.
Ob das die Gedankenspiele stoppt? Die Verzweiflung scheint in Teilen der Union groß zu sein. An allen Ecken und Enden lauert Streit mit der SPD. Eigentlich kein Wunder, denn es sind nicht ohne Grund zwei verschiedene Parteien.
Für die Union ist die Lage tatsächlich schmerzhaft. Im Wahlkampf versprach sie CDU und CSU pur, um dann an der Seite der SPD mit einer teilweise ausgehebelten Schuldenbremse und einem neuen Sondervermögen aufzuwachen. Statt Union pur sind Kompromisse angesagt. Beim Bürgergeld, beim Heizungsgesetz, bei der Rente.
Das wäre vielleicht noch auszuhalten, wenn es die AfD nicht gäbe. Alice Weidel behauptete schon im Wahlkampf, die Union würde am Ende doch rot-grüne Politik umsetzen. Das ist verkürzt: In der Migrationspolitik setzt die schwarz-rote-Koalition sicher keine rot-grüne Politik um. Auch in der Rente ist die Verlängerung der Haltelinie nur ein Aspekt eines größeren Pakets. Aktiv-, Frühstart- und Mütterrente sind Unionsprojekte.
Dieses Gefühl "Mit uns wird alles anders" ist nicht da
Und doch zeigt sich der versprochene Politikwechsel eher in den Details, in den Teilaspekten. Große Würfe sind selten. Dieses Gefühl "Mit uns wird alles anders" stellt sich jedenfalls nicht ein. Das hatte die Union im Wahlkampf ziemlich voreilig versprochen - dabei war klar, dass sie mit SPD oder Grünen regieren würde.
Würde die Union allein regieren, könnte sie dagegen ihre Gesetzentwürfe zur Abstimmung stellen - und dann auch eine Zustimmung der AfD in Kauf nehmen. Mit den Rechten könnte sie strengere Migrationsgesetze beschließen, mit den Linken mehr Klimaschutz oder Soziales.
Doch natürlich hätte es seinen Preis, auf diese Weise mit der AfD zusammenzuarbeiten. "Man würde die AfD in eine Position bringen, in der sie die Union stützt. Alle bisher geäußerten Vorbehalte wären null und nichtig", sagt der Politikprofessor Wolfgang Schroeder im Gespräch mit ntv.de. "Es käme zu einer enormen Normalisierung der AfD."
Wenn diese sich in einem Akt der Selbstverharmlosung dazu bringe, der Union alles zu geben, was sie braucht, wäre das ein Beweis ihrer Regierungsfähigkeit, so Schroeder. So könnte sie das kulturelle Kapital erwerben, selbst zu regieren. Das wiederum wäre eine Gefahr für die parlamentarische Demokratie. "Denn die wollen ja mehr. Das wäre für die ja nur eine Zwischenetappe." Bliebe die AfD wiederum nur Mehrheitsbeschafferin der Union, mache sie sich selbst überflüssig.
Abraham: Diskussion sofort beenden
Doch das ist nur das eine. "Dieses Aufwertungsprogramm für die AfD könnte gleichsam zum Zerstörungsprogramm für die Union werden", warnt der Politikwissenschaftler. "Ein nicht unerheblicher Teil in der Union würde aussteigen."
Denn einem großen Teil der Mitglieder und Wählerschaft der Union ist es ernst mit der Ablehnung der AfD. Für sie wäre es der "Abschied aus der Konsens- und Kompromiss-orientierten Politik mit der anderen Mitte-Partei", so Schroeder, es wäre das "Abrücken von den Grundfesten der von Adenauer, Brandt, Kohl und Merkel geprägten Bundesrepublik".
Bricht der Union ein guter Teil ihrer Wähler weg, würde sie aus den nächsten Wahlen kaum gestärkt hervorgehen. Eher würden SPD, Grüne und Linke profitieren. Das deutete sich bereits an, in jener Woche im Januar, als Merz seine Fraktion gemeinsam mit der AfD abstimmen ließ. Eine Minderheitsregierung wäre also ein ziemliches Himmelfahrtskommando.
Diese Risiken werden natürlich gesehen. "Diese Diskussion ist auf maximalen Schaden angelegt. Beschädigt wird die Bundesregierung, denn es besteht überhaupt keine Notwendigkeit für ein Minderheitsregierungs-Szenario", teilt der CDU-Abgeordnete und Beauftragte für die Beziehungen zu Polen, Knut Abraham, ntv.de mit. "Befördert würde nur die Rolle der AfD. Denn sie bekäme erstmals eine Rolle bei möglichen Mehrheitsbeschaffungen. Daher sollte diese Diskussion sofort beendet werden."