Politik

Maos "Topagent" Gerhard Flatow Der Mann, der China die Tür nach Deutschland öffnete

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Eine Mao-Statue in Chengdu. In den 60er Jahren entstand ein regelrechter Hype um den chinesischen Machthaber, zahllose Mao-Parteien wurden gegründet.

Eine Mao-Statue in Chengdu. In den 60er Jahren entstand ein regelrechter Hype um den chinesischen Machthaber, zahllose Mao-Parteien wurden gegründet.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Schon kurz nach ihrer Machtergreifung buhlen die chinesischen Kommunisten eifrig um Wirtschaftskontakte in den Westen. Hilfe bekommen sie von einem Deutschen: Gerhard Flatow war einst vor den Nazis in den Fernen Osten geflohen, hat exzellente Kontakte in die deutsche Industrie - und ist selbst Kommunist. Eine fünfjährige Haft in der noch jungen Volksrepublik ändert seine Meinung nicht, er wird vielmehr zum "hundertprozentigen Mao-Anhänger", wie der Journalist Bernd Ziesemer im Interview sagt. Er hat eine Biographie über Flatow geschrieben: "Maos deutscher Topagent" (Campus, 248 Seiten, 28 Euro), in der er das abenteuerliche Leben nachzeichnet. Denn Flatow gründet später nicht nur den ersten prochinesischen Lobbyverein und die erste maoistische Partei in Deutschland. Er legt auch den Grundstein für das einseitige China-Bild, dass die deutsche Politik über Jahrzehnte prägt.

ntv.de: Der Protagonist Ihres Buches, Gerhard Flatow, hat ein abenteuerliches Leben geführt und sehr viele Rollen eingenommen. Wie würden Sie sein Leben in einem Satz beschreiben?

Bernd Ziesemer: Wenn man sein Leben wirklich nur in einem Satz zusammenfassen will, dann kann man eigentlich nur sagen: Sein ganzes Leben gehörte China.

Gerhard Flatow als Jura-Student in Frankfurt, vor seiner Flucht aus Deutschland.

Gerhard Flatow als Jura-Student in Frankfurt, vor seiner Flucht aus Deutschland.

(Foto: Universitätsarchiv Frankfurt am Main (UAF))

Nehmen Sie ihm ab, dass er von der Liebe zu diesem Land getrieben war oder spielte auch sein Geschäftssinn eine Rolle?

Da spielten sehr viele Motive rein. Nachdem Flatow von den Nazis aus Deutschland vertrieben worden war, wurde China seine Heimat. Dafür war er dankbar. Er fand sich in einem völlig neuen Kulturkreis wieder, ist in die chinesische Kultur abgetaucht, hat Chinesisch gelernt. Und er hat sehr schnell sehr gute Geschäfte gemacht, vor und während des Zweiten Weltkriegs, und stand seitdem im Bann dieses Landes.

Doch dann gewannen die Kommunisten unter Mao Tsetung 1949 den Bürgerkrieg.

Ja. Die entscheidende Wende kam, als ihn die Kommunisten nach ihrer Machtergreifung für fünf Jahre als Spion in Haft nahmen. Im Gegensatz zu fast allen anderen Deutschen, denen dasselbe passiert war, hat Flatow das Lager aber nicht als Gegner des Regimes verlassen, sondern als hundertprozentiger Mao-Anhänger. Viele seiner Zeitgenossen haben den Begriff Gehirnwäsche benutzt, um zu schildern, was da passiert war.

Er hat vor und nach der Haft in China für deutsche Konzerne gearbeitet, war immer ein Wirtschaftsmensch, gleichzeitig aber auch auf politischer Ebene aktiv. War bei ihm Wirtschaft nie unpolitisch?

Das kann man sagen, gerade in den 50er und 60er Jahren, als er auf dem Höhepunkt seines Einflusses stand. Er war damals Leiter des China-Büros des Otto-Wolff-Stahlkonzerns, hatte Einfluss auf Otto Wolff von Amerongen, den damals wichtigsten Sprecher der deutschen Industrie. Gleichzeitig saß Flatow in Vorstand und Beirat der Deutschen China-Gesellschaft (DCG), der ersten prochinesischen Lobbyorganisation in Deutschland, und hatte so auch Kontakt mit zahlreichen Politikern. Er bewegte sich permanent an der Nahtstelle zwischen Politik und Wirtschaft.

Bernd Ziesemer ist Wirtschaftspublizist, Kolumnist für "Capital" und schreibt für zahlreiche andere Publikationen. Er war Korrespondent in Asien und Russland, Chefredakteur des "Handelsblatts" und hat mehrere Bücher vorgelegt, darunter "Auf dem Rücken des Drachen", "Ein Gefreiter gegen Hitler" und "Karl Marx. Der erste Denker der Globalisierung".

Bernd Ziesemer ist Wirtschaftspublizist, Kolumnist für "Capital" und schreibt für zahlreiche andere Publikationen. Er war Korrespondent in Asien und Russland, Chefredakteur des "Handelsblatts" und hat mehrere Bücher vorgelegt, darunter "Auf dem Rücken des Drachen", "Ein Gefreiter gegen Hitler" und "Karl Marx. Der erste Denker der Globalisierung".

(Foto: Capital)

Gleichzeitig, das scheint in Ihrem Buch durch, hat er aber lieber im Hintergrund gearbeitet und gewirkt.

Das war sein Markenzeichen. Und deshalb hat es, glaube ich, auch so lange gedauert, bis sich jemand mit ihm beschäftigt hat. Er war überall dabei, aber nie an vorderster Stelle. In der DCG stand Flatow nie an der Spitze, spielte aber als Verantwortlicher für die Kontakte zur deutschen Wirtschaft eine entscheidende Rolle.

In der DCG waren auch sehr viele Altnazis aktiv, vor denen Flatow einst aus Deutschland fliehen musste. Warum hat er mit ihnen zusammengearbeitet?

Das hat mich anfangs auch sehr verwundert. Nach seiner Flucht nach China hat er sich immer wieder als Kämpfer gegen die Faschisten dargestellt. Er hat Wert auf die Feststellung gelegt, dass er ein Hitlergegner war. Aber in der DCG hat es ihn nicht gestört, mit diesen Leuten gemeinsame Sache zu machen. Einer der prominentesten Unterstützer dort war immerhin Hitlers Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht, der in den 50er Jahren bereits wieder im Bankgeschäft aktiv war. Dass sich Flatow mit so jemanden gemein machte, zeigt, dass er nur ein Hauptinteresse hatte: China fördern, China voranbringen und dabei Geschäfte machen.

Welches Ziel hat China damals verfolgt, das noch weit entfernt von der heutigen Macht war?

Anfangs ging es vor allem um wirtschaftliche Kontakte. Die Volksrepublik wurde 1949 gegründet und stand nur ein Jahr später im Koreakrieg auf der Seite des Nordens und damit gegen die Amerikaner. Daraufhin wurde das Land vom Westen isoliert. Aber China wollte seine Wirtschaft modernisieren und brauchte Technologie, die weder die Sowjetunion noch deren Verbündete liefern konnten. Um an die Wirtschaftskontakte zu kommen, musste erst die politische Stimmung sozusagen durchlöchert werden, denn China galt damals in Deutschland als politischer Feind.

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Wie erklären Sie sich in dieser feindlichen Grundstimmung die Begeisterung für Mao und die sogenannte Mao-Bibel, die in den 60er Jahren aufkam?

Das wird immer damit erklärt, dass die 68er spontan mit der "Mao-Bibel" durch die Straßen gezogen seien. Wenn man genauer hinschaut, sieht man aber, dass die Chinesen ab 1963, nach dem Bruch mit der Sowjetunion, ihre Ideen ganz aktiv selbst exportiert haben. Ich zähle im Buch Beispiele auf, wie mithilfe Pekings viele kleine Organisationen und Parteien entstanden, die anfingen, Maos Ideen in den Westen zu transportieren. China nahm sehr viel Geld in die Hand, um Propagandamaterial nach Deutschland, Frankreich, Italien oder Großbritannien zu schicken - Geld, dass sie eigentlich dringend für andere Dinge gebraucht hätten.

Sie selbst waren damals auch in maoistischen Gruppen aktiv. Wie blicken Sie heute auf diese Zeit?

Es war ein vollkommener Wahnsinn, auf den ich mich damals eingelassen habe. Ich habe zum Beispiel die chinesischen Schriften mehr oder weniger alle gelesen und mich aktiv in einer sogenannten K-Gruppe organisiert, also einer der zahlreichen, meist maoistischen Parteien und Verbände. Allerdings hatten 99 Prozent der Leute so wie ich keinerlei Ahnung, was in China wirklich vor sich ging. Rückblickend kann ich dazu nur sagen: Wir waren wirklich dumm. Wir wussten nichts über China, vertraten aber mit großer ideologischer Inbrunst alles, was aus dem Land kam. Das war schon wie in einer Sekte. Als die Begeisterung Ende der 70er, Anfang der 80er zu Ende ging, lösten sich die Gruppen auf. Ich wollte mich aber wirklich mit dem Land beschäftigen, habe unzählige Texte darüber gelesen und bin 1982 zum ersten Mal nach China gereist. Seitdem beschäftige ich mich kontinuierlich mit dem Land.

Bundeskanzler Helmut Schmidt besuchte 1975 erstmals China und traf dabei auch den sichtlich von Krankheiten gezeichneten Mao Tsetung.

Bundeskanzler Helmut Schmidt besuchte 1975 erstmals China und traf dabei auch den sichtlich von Krankheiten gezeichneten Mao Tsetung.

(Foto: picture alliance/dpa)

Flatow ist 1980 gestorben, vier Jahre nach Mao. Inwieweit war seine Arbeit grundlegend für die Chinapolitik etwa von Helmut Schmidt oder Franz Josef Strauß, die sich für Peking eingesetzt haben?

Ich glaube nicht, dass es direkten Kontakt zwischen Flatow und Schmidt oder Strauß gab. Aber er hat große Teile der deutschen Industrie beeinflusst, die massiv eine Verbesserung der Beziehungen zu China forderte. 1972 wurden dann diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik aufgenommen und es waren Leute wie Strauß und Schmidt, die sich besonders für China einsetzten - auch, um es in der Rivalität mit der Sowjetunion zu unterstützen. Ich bin selbst mit Strauß nach China gereist und finde es erstaunlich, wie unkritisch er sich über das Land und das kommunistische Regime geäußert hat, ganz anders als über die Sowjetunion. Da wurden nur positive Aspekte wie die Wirtschaftsentwicklung herausgestellt. Dieses merkwürdige Verhältnis hält in Deutschland aus meiner Sicht bis heute an.

Wie versucht China denn heute, Einfluss auf Deutschland zu nehmen?

Es betreibt eigentlich einen noch größeren Aufwand, um die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik und in Westeuropa zu beeinflussen. Es gibt sehr viele Webseiten, über die China in deutscher und englischer Sprache Propaganda betreibt. Es gibt verschiedenste Organisationen, die von China offen oder verdeckt unterstützt werden. China unterhält Kontakte zu Bundestagsabgeordneten beispielsweise der AfD genauso wie zu linksextremistischen Gruppen. Solange diese die chinesische Linie verbreiten, sind sie willkommen, werden nach China eingeladen und dürfen sich als wertgeschätzt und wichtig empfinden. Dieser Beeinflussungs-Apparat ist sehr, sehr groß, dafür wird sehr viel Geld ausgegeben.

Lohnt sich die Lektüre?

Bernd Ziesemer wusste nicht, welcher Rechercheaufwand ihn erwartet, als er begann, sich mit dem Leben des umtriebigen Deutschen Gerhard Flatow zu beschäftigen. Doch die jahrelange Arbeit hat sich gelohnt. "Maos Deutscher Topagent" erzählt detailreich und spannend von einem abstrus abenteuerlichen Leben, in dem sich Nazis und Maoisten, Wirtschaftskapitäne und deutsche Polit-Prominenz die Klinke in die Hand geben. Ziesemer bleibt objektiver Chronist, verurteilt Flatow nicht, gesteht ihm vielmehr Widersprüchlichkeit zu. Denn der Deutsche führte ein Leben, wie es vielleicht nur das 20. Jahrhundert hervorbringen konnte. Manches bleibt im Verborgenen, vermutlich, weil Flatow selbst unerkannt bleiben wollte. Zudem ist das Buch mehr als eine Biografie. Es erzählt nebenbei ein Stück deutscher Wirtschaftsgeschichte, zeigt die Grundlagen heutiger China-Politik auf - und sorgt für etliche Aha-Momente.

Wobei China heute ungleich mächtiger ist als zu Zeiten Flatows.

Der Unterschied ist, dass China heute nicht nur mit dem Zuckerbrot lockt, sondern immer öfter auch mit der Peitsche droht. China fühlt sich inzwischen so mächtig, dass es nicht nur durch Propaganda in Deutschland Einfluss nimmt, sondern auch durch Drohungen, Einschüchterungen und ähnliche Maßnahmen. Jedes deutsche Unternehmen, das es wagt, sich kritisch etwa zu Menschenrechtsverletzungen zu äußern, wird sofort abgestraft. Dann werden Boykotts deutscher Waren organisiert - Adidas hat das erlebt, auch Mercedes.

BND-Chef Bruno Kahl hat kürzlich gesagt, dass in den Beziehungen zu China das Zeitalter der Naivität zu Ende sei. Stimmen Sie dem zu?

Ja, unbedingt. Ich glaube, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine eine wesentliche Rolle dafür spielt, dass nun sehr viele Menschen auch kritischer auf China schauen. Das Land hat sich an die Seite Wladimir Putins gestellt, es unterstützt durch sehr viele wirtschaftliche Maßnahmen den Krieg gegen die Ukraine. Eine internationale, repräsentative Umfrage ergab, dass inzwischen 76 Prozent der Deutschen China mehr oder weniger kritisch sehen. Vor wenigen Jahren hat das noch ganz anders ausgesehen. Damals wurde immer noch die Geschichte vom Wirtschaftswunderland verbreitet, die in der öffentlichen Meinung alle anderen Aspekte verdrängte. Natürlich hat China wirtschaftlich eine erstaunliche Erfolgsgeschichte hingelegt, aber diese kommt jetzt an ihr Ende.

Viele deutsche Konzerne sind noch in China aktiv. BASF-Chef Brudermüller kritisierte gar das "China-Bashing". Sehen Sie dennoch ein Umdenken in der Wirtschaft?

Es gibt viele Unternehmen, die zumindest nach außen hundertprozentig an China festhalten und ihr Engagement sogar noch ausbauen. Aber es gibt auch sehr viele Unternehmen, darunter viele Mittelständler, die sich inzwischen vorsichtiger verhalten, die ihre Investitionen zurückfahren. Sie hängen das nur nicht an die große Glocke. Denn wer verkündet, sich aus China zurückziehen zu wollen, wird sofort abgestraft. Als Wirtschaftsjournalist habe ich sowohl mit Mittelständlern als auch mit Konzernen zu tun und hinter vorgehaltener Hand äußern sich alle sehr kritisch. Viele von ihnen schauen sich in Indien oder Südostasien nach Alternativen um.

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Auf der anderen Seite steht die Politik mit ihrer neuen China Strategie. Wie bewerten Sie diese?

Die China-Strategie der Bundesregierung ist natürlich ein Kompromiss, das sieht man an vielen Formulierungen. Sie sind ein Resultat der vielen Auseinandersetzungen vor allem zwischen Außenministerin Annalena Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz. Trotzdem sehe ich die Strategie als einen Schritt nach vorn. Es wird klargemacht, dass wir uns nicht vollständig von China entkoppeln wollen, aber dafür sorgen müssen, dass wir uns nicht zu abhängig machen - Stichwort Risikominimierung oder De-Risking.

Was in Peking nicht sonderlich gut aufgenommen wird.

Peking hat begriffen, dass Deutschland sich ein Stück weit anders positioniert als in den vergangenen Jahren. Das erkennt man auch an den Reaktionen zur China-Strategie, die sehr kritisch ausgefallen sind.

Mit Bernd Ziesemer sprach Markus Lippold

Quelle: ntv.de

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