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Prozesse gegen Ausländer Chinas Gesetze sollen überall und für alle gelten

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China behält sich vor, Ausländer im eigenen Land festzunehmen und vor Gericht zu stellen, wenn diese irgendwo in der Welt die Unabhängigkeit Taiwans propagieren.

China behält sich vor, Ausländer im eigenen Land festzunehmen und vor Gericht zu stellen, wenn diese irgendwo in der Welt die Unabhängigkeit Taiwans propagieren.

(Foto: picture alliance / Zoonar)

Die chinesische Führung weitet ihre Rechtsprechung auf ausländische Staatsbürger aus, die in China gar nicht straffällig geworden sind. Die Anklagen weisen darauf hin, dass Peking seine Interessen im Ausland durch seine Gesetze im Inland wahren möchte.

Die Nachricht von zwei Festnahmen beunruhigen Taiwan. Seit mehreren Monaten schon befinden sich ein taiwanischer Verleger und ein Aktivist in chinesischer Haft. Erst jetzt wurden Einzelheiten der Fälle publik, die vordergründig nichts miteinander zu tun haben. Tatsächlich sind sie Ausdruck eines Selbstverständnisses chinesischer Justizbehörden, über taiwanische Staatsbürger Recht sprechen zu dürfen wie über die eigenen Bürger.

Am Dienstag war bekannt geworden, dass sich der Unabhängigkeitsaktivist Yang Chih-yuan vor Gericht verantworten muss. Bereits im August war er festgenommen worden. Die Anklage lautet: Sezession. Es ist das erste Mal, dass einem taiwanischen Staatsbürger vor einem chinesischen Gericht wegen politischer Aktivitäten der Prozess gemacht wird.

Wenige Tage zuvor hatte die Familie des Verlegers Li Yanhe darüber informiert, dass der in Taiwan eingebürgerte Festland-Chinese ebenfalls seit Monaten in China in Haft sitzt. Li, der auch unter dem Namen Fu Cha bekannt ist, hat Bücher publiziert zu Themen, die in China zensiert werden: das Schicksal der Uiguren in Xinjiang, chinesische Propaganda im Ausland oder über das blutige Ende der Demokratie-Bewegung von 1989.

"Fu Cha ist erst der Anfang"

Die Zivilgesellschaft in Taiwan ist aufgeschreckt. Beide Fälle werfen Fragen auf: Wie sicher sind Reisen in die Volksrepublik für Bürger des Inselstaats? Und auf welcher rechtlichen Grundlage klagt die chinesische Strafverfolgung Taiwaner an, die lediglich die Bürgerrechte ihres eigenen Landes ausüben?

Der Aktivist Lee Ming-che, der bis zum April vergangenen Jahres seinerseits fünf Jahre in chinesischer Haft gesessen hatte und inzwischen zurück in seiner Heimat ist, warnt seine Mitbürger vor Übergriffen der chinesischen Regierung: "Chinas Unterdrückung des taiwanesischen Selbstbewusstseins wird nicht aufhören, und Fu Cha ist erst der Anfang. In der Vergangenheit war es impliziter Druck, aber jetzt ist es unverhohlene Verhaftung", schrieb er am Wochenende in sozialen Medien, bevor die Inhaftierung von Yang bekannt wurde.

In der Volksrepublik sind beide Männer nach jetzigem Stand der Dinge nicht straffällig geworden. Die Festnahmen deuten darauf hin, dass China die eigene Rechtsprechung über die eigenen Staatsgrenzen hinaus als legitim betrachtet. "Als aufstrebende Weltmacht liegt es im Interesse Chinas, ein Rechtssystem der Exterritorialität zu schaffen, um seine eigenen nationalen Interessen, die sich auf die ganze Welt erstrecken, zu schützen", bilanzierten die Autoren Huo Zhengxin und Yip Man bereits 2021 in einem Beitrag für das "Chinese Journal of Comparative Law" der Universität Oxford.

Deutschland hat Auslieferungsabkommen mit Hongkong ausgesetzt

Das heißt im Klartext: China behält sich vor, Ausländer im eigenen Land festzunehmen und vor Gericht zu stellen, wenn diese irgendwo in der Welt die Unabhängigkeit Taiwans propagieren. Auch das Engagement für Uiguren oder Tibeter, für die Autonomie von Hongkong oder gegen das Machtmonopol der Kommunistischen Partei Chinas könnten Ausländer in Zukunft zum Verhängnis werden.

In Hongkong, dessen Autonomie die chinesische Regierung trotz gegenteiliger Zusagen abgewürgt und wo sie die juristische Kontrolle über die Sonderverwaltungszone beispiellos verschärft hat, erhebt das nationale Sicherheitsgesetz seit 2020 einen solch extraterritorialen Anspruch. Nicht nur Hongkonger Staatsbürger, die im Exil leben, können sich demnach strafbar machen, sondern auch ausländische Bürger außerhalb von Hongkong, deren Handeln staatlichen Hongkonger Interessen zuwiderlaufen.

Einer der ersten Ausländer, die aufgrund des Sicherheitsgesetzes zur internationalen Fahndung ausgeschrieben waren, war der frühere dänische Kulturminister Uffe Elbaek. Der Parlamentarier hatte einem Hongkonger Politiker mit Hilfe einer Einladung nach Kopenhagen zur Flucht aus Hongkong verholfen und ihn somit vor einem Gerichtsprozess bewahrt. Die Bundesregierung hat deshalb schon im Jahr 2020 ein Auslieferungsabkommen mit Hongkong vorsichtshalber ausgesetzt. Mit China dagegen besteht weiterhin ein solches Abkommen. Allerdings verbietet das Grundgesetz Auslieferungen deutscher Staatsbürger ohnehin.

Li Yanhe droht eine lange Haftstrafe

Die Fälle Li und Yang sind aber zunächst einmal ein Warnsignal für alle Taiwaner, die die Absicht haben, in die Volksrepublik zu reisen. Beide Inhaftierten waren im sicheren Glauben nach China eingereist, dass ihnen dort trotz ihrer Tätigkeiten nichts passieren würde. Li soll 2020 bereits in der Volksrepublik gewesen sein und problemlos nach Taiwan zurückgekehrt sein. Dieses Mal habe er Familienmitglieder besuchen wollen, schrieb der chinesische Dichter Bei Ling in sozialen Medien. Bei hatte nach Rücksprache mit Lis Familie dessen Festnahme öffentlich gemacht.

Weshalb sein erneuter Besuch zur Festnahme führte, ist unklar. Tatsache ist nur, dass die geopolitischen Spannungen um Taiwan in den vergangenen Jahren massiv zugenommen haben. Jeder taiwanesische Staatsbürger in den Händen der chinesischen Justiz ist ein Trumpf in möglichen Verhandlungen zwischen beiden Regierungen.

Dazu gehört nun auch der Aktivist Yang. Der 33-Jährige wurde kurz nach dem Taiwan-Besuch der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, festgenommen und zunächst für sechs Monate ohne Anklage festgehalten. Nach chinesischem Strafrecht droht ihm als Mitglied einer Partei, die sich für Taiwans Unabhängigkeit einsetzt, eine lange Haftstrafe zwischen zehn Jahren und lebenslang.

Quelle: ntv.de

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