Wirtschaft

De-Risking bedroht Peking Warum China vom Westen abhängig ist

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Chinas Premier Li Qiang (l.) ist seit Wochen auf diplomatischer Tournee, um Washington und Berlin von ihrem "De-Risking"-Kurs abzubringen. Hier mit Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Juni.

Chinas Premier Li Qiang (l.) ist seit Wochen auf diplomatischer Tournee, um Washington und Berlin von ihrem "De-Risking"-Kurs abzubringen. Hier mit Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Juni.

(Foto: picture alliance/dpa)

Raus aus China, lautet die Devise von Washington bis Berlin. Doch dabei zeigt sich: Nicht nur Deutschland, auch die Volksrepublik hat durch die wachsende Entfremdung viel zu verlieren. Wirtschaftlich steht Peking immer mehr mit dem Rücken zur Wand.

Als Außenministerin Annalena Baerbock am Donnerstag die neue China-Strategie der Bundesregierung vorstellte, waren die Widersprüche im Verhältnis des Westens zum Reich der Mitte in jedem Satz zu spüren. Weil Peking immer "repressiver nach innen" und "offensiver nach außen" auftritt, wie Baebock sagt, wendet sich Deutschland zunehmend ab. Deutsche Konzerne sollen alternative Lieferanten und Absatzmärkte suchen. "De-Risking", also die Minimierung der Risiken und Abhängigkeiten von China, ist das Gebot der Stunde.

Doch der Handel mit der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt ist laut Baerbock so sehr "das Rückgrat" für die deutsche Wirtschaft, dass ein Ende der wirtschaftlichen Zusammenarbeit "ein Genickbruch" wäre. Eine vollständige Entkoppelung soll es daher nicht geben. Nur so weit wie möglich eine Abkehr.

Auch China hat diese Quadratur des Kreises - sich so weit wie möglich unabhängig voneinander zu machen, ohne die Beziehung insgesamt zu gefährden - zur offiziellen Strategie erkoren. Peking beansprucht eine Vormachtstellung in Asien, will aber weiter ungeniert in die Länder exportieren, die dieses Machtstreben kritisch beäugen. Der Westen und China wollen politisch zunehmend ohne einander, können wirtschaftlich aber nicht.

Nicht nur Deutschland, auch China droht daher im Extremfall der Genickbruch: Der zunehmende wirtschaftliche Rückzug der USA und Europas ist für die politische Stabilität des Landes eine Gefahr. China ist mindestens genauso vom Westen abhängig wie der Westen von China. Denn im Reich der Mitte läuft es alles andere als rund.

Zombie-Wirtschaft wird mit Geld am Leben gehalten

Alle Wirtschaftsdaten zeigen das. Im Juni sind Chinas Exporte um über 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen und damit so stark wie seit Beginn der Corona-Pandemie vor drei Jahren nicht mehr. Mit seiner revisionistischen Außenpolitik verschreckt Chinas Präsident Xi Jinping internationales Kapital und würgt so einen der wichtigsten Treiber von Chinas Aufstieg ab: ausländische Direktinvestitionen.

Im ersten Quartal sind sie laut "Wall Street Journal" auf 20 Milliarden Dollar abgeschmiert. Vor einem Jahr waren es noch 100 Milliarden Dollar. Goldman Sachs rechnet damit, dass die Kapitalabflüsse in diesem Jahr die Zuflüsse übersteigen werden - eine tektonische Verschiebung in einem Land, in das seit 40 Jahren mehr Geld hinein - als hinausfließt.

Die Wirtschaft der Volksrepublik steckt in der Sackgasse. Die einstige Lokomotive der Weltwirtschaft ist nur noch ein Schatten ihrer selbst: Das selbstgesteckte Wachstumsziel hat Peking im vergangenen Jahr gerissen, in diesem Jahr sollen es bestenfalls noch knapp fünf Prozent werden. Fast zehn Prozent Zuwachs, die das Land über mehr als zwei Jahrzehnte zuverlässig lieferte, sind längst nur noch eine ferne Erinnerung. Der IWF geht davon aus, dass sich Chinas Wachstum nach 2024 mittelfristig unter vier Prozent einstellt - wegen "nachlassender Wirtschaftsdynamik und geringen Fortschritten bei Strukturreformen".

Die Parteiführer schieben schon seit mehr als zehn Jahren einen Haufen unerledigter Probleme vor sich her. Allen voran die mit Staatskrediten aufgepumpte gigantische Blase am Immobilienmarkt. Der chinesische Bausektor ist eine scheintote Branche. Inzwischen hält ihn die Regierung nur noch mit Notmaßnahmen wie der erzwungenen Laufzeitverlängerung von Krediten am Leben. Das Strohfeuer ist nur noch nicht erloschen, weil Peking die Probleme immer weiter mit neuem Geld zuschaufelt. Erst im Juni hat die Zentralbank die Zinsen gesenkt. Und Premier Li Qiang hat immer wieder ein großes Konjunkturpaket angekündigt.

Zwischen Kanonenbooten und Direktinvestitionen

Gleichzeitig wird das militärische Kräftemessen mit Washington immer mehr zur Hypothek für Chinas Wirtschaft. Einerseits fährt die Volksbefreiungsarmee Abdrängungsmanöver mit Kanonenbooten und Kampfjets gegen die US-Navy in der Straße von Taiwan und im Südchinesischen Meer. Andererseits ruft Präsident Xi 2023 zum "Jahr des Investments in China" aus und will US-Konzerne mit einer Charmeoffensive nach China locken. Dieser Spagat wird zunehmend undurchführbar.

Zusammen mit Japan und den Niederlanden haben die USA faktisch ein Embargo bei Hochleistungschips gegen das Reich der Mitte errichtet. Und die Biden-Regierung will offenbar noch im Sommer Investments in Hochtechnologie wie die Halbleiterherstellung, Künstliche Intelligenz und Quantencomputer verbieten. Langsam, aber sicher schneidet die US-Administration damit Chinas wichtigste Branchen von der Versorgung mit "Rohstoffen" ab.

Diese Schranken würden sich aufgrund "klar artikulierter und eng begrenzter nationaler Sicherheitsinteressen" nur auf "einige wenige Sektoren" beschränken, versuchte US-Finanzministerin Janet Yellen bei ihrem Besuch in Peking vor wenigen Tagen zu beschwichtigen. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua antwortete in einem Kommentar, die chinesische Seite lasse sich durch das westliche De-Risking nicht täuschen zu glauben, "die USA hätten ihre Versuche, China einzudämmen, aufgegeben".

Nicht nur zu viel, auch zu wenig China ist gefährlich

Die Parteikader sind nervös. Denn die zunehmende wirtschaftliche Abkehr des Westens von China kann zur Belastungsprobe für das autoritäre System der Volksrepublik werden, wenn deswegen Wachstum und Wohlstand ausbleiben sollten. "Autokraten sind am gefährlichsten, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen", schrieb die "Financial Times" schon im vergangenen Sommer beim Besuch von US-Repräsentantenhauschefin Nancy Pelosi in Taiwan. Das Blatt stellt die entscheidende Frage: "Setzen wir Xi zu sehr unter Druck - so wie viele argumentieren, dass es bei Putin der Fall war?"

Russlands Einmarsch in die Ukraine zeigt, dass die Gefahr real ist. Die chinesische Führung schürt ganz offen die Angst davor, was passieren könnte, wenn der Westen den Bogen bei der Neuordnung der wirtschaftlichen Beziehungen überspannt. Chinas Premierminister Li Qiang ist schon seit Wochen auf diplomatischer Tournee, um diese Botschaft zu verkünden und Washington und Berlin von ihrem Derisking-Kurs abzubringen.

In Berlin ermunterte Li deutsche Manager, sie sollten Entscheidungen über ihre Verflechtungen mit China selbst treffen und sich nicht von der Politik diktieren lassen. "Die unsichtbaren Barrieren, die von einigen in jüngster Zeit errichtet werden, dehnen sich immer mehr aus und stürzen die Welt in Zerrissenheit und sogar Konfrontation", sagte Chinas zweitwichtigster Politiker Ende Juni beim IWF-Treffen in Tianjin. "Wir sollten uns der Politisierung wirtschaftlicher Themen entgegenstellen und zusammenarbeiten, um globale Lieferketten stabil, reibungslos und sicher zu halten."

Worte und Taten sind freilich nicht dasselbe. Als Reaktion auf das faktische Chip-Embargo der USA hat Peking angekündigt, ab August den Export der Seltenen Erden, Germanium und Gallium zu beschränken - unverzichtbare Rohstoffe für die Mikrochip-Herstellung. Auch aus Washington ist keine Entspannung in Sicht. Die US-Armee will womöglich Truppen verlegen, die derzeit in Japan und Südkorea postiert sind, um Pekings Anspruch auf eine Vormachtstellung in Asien zu entgegnen. "Wir prüfen ernsthaft alternative Stützpunkte", sagt US-Generalstabschef Mark Milley. Die dürften in jedem Fall näher an China heranrücken, nicht weiter weg.

Quelle: ntv.de

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