Politik

FDP, Linke und BSW zittern Diese Wählergruppe könnte die Bundestagswahl durcheinanderwerfen

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Insgesamt nehmen 29 Parteien an der Bundestagswahl teil.

Insgesamt nehmen 29 Parteien an der Bundestagswahl teil.

(Foto: IMAGO/Eibner)

Die Union klar vorn, die SPD vor einem historischen Desaster, gleich drei Parteien im Bereich der Fünf-Prozent-Hürde - das sagen die Umfragen einheitlich für die Bundestagswahl voraus. Dennoch ist der Ausgang der Wahl so offen wie nie. Eine Wählergruppe könnte das Zünglein an der Waage sein.

Drei Tage vor der Bundestagswahl ist anders als 2021 einigermaßen klar, welche Partei stärkste Kraft wird. Die Union geht mit einem deutlichen Umfrage-Vorsprung in den Wahlsonntag, CDU/CSU stehen konstant bei etwa 30 Prozent. Die AfD wird höchstwahrscheinlich erstmals zweitstärkste Partei im Bundestag, dahinter geht es für die Kanzlerpartei SPD im Duell mit den Grünen nur noch um Platz drei. Die Linke kann sich nach einem Umfrage-Aufschwung in den vergangenen Wochen mittlerweile große Hoffnungen auf den erneuten Einzug ins Parlament machen, FDP und BSW müssen mächtig zittern.

Aber es gibt noch eine große Unbekannte, die den Wahlausgang maßgeblich beeinflussen könnte: "Wir sehen in den Umfragen immer noch sehr viele Unentschlossene", sagt Thorsten Faas im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". 25 bis 30 Prozent der Wahlberechtigten entscheiden dem Politikwissenschaftler und Wahlforscher von der Freien Universität Berlin zufolge erst auf den letzten Metern des Wahlkampfs, wem sie ihre Stimme geben - und sind somit eine große Chance für die Parteien und ihre Kandidaten.

Fast jeder Dritte noch unentschlossen

Auch bei den vergangenen Wahlen gab es bis kurz vor dem Wahltag einen hohen Anteil an unentschlossenen Wählern. Das zeigen Untersuchungen im Rahmen der Wahlforschungsstudie GLES (German Longitudinal Election Study). Besonders hoch war der Anteil der Unentschlossenen demnach bei der Bundestagswahl 2021. Bis vier Wochen vor dem Wahltag hatten sich über 30 Prozent der Wahlberechtigten noch nicht entschieden. Auch das dürfte letztlich den überraschenden Umschwung zugunsten der SPD und Olaf Scholz begünstigt haben. Jedenfalls übernahmen die Sozialdemokraten genau zu diesem Zeitpunkt des Wahlkampfs, Ende August 2021, erstmals die Führung in den Umfragen.

Diesmal hat das bekanntlich nicht geklappt. Es dürfte keinen einzigen Menschen ohne SPD-Parteibuch in Deutschland geben, der noch von einem erneuten Wahlsieg der SPD ausgeht. Alles spricht für die Union und Friedrich Merz.

Doch für die CDU und ihre bayerische Schwesterpartei geht es um jeden Prozentpunkt, damit Merz in einem Zweier-Bündnis (wahrscheinlich mit der SPD, eventuell mit den Grünen) regieren kann und nicht auf einen dritten Partner angewiesen ist.

Union hofft auf Umfrage-Effekt wie 2021

So kurios es angesichts der historischen Laschet-Wahlschlappe klingen mag, die Unionsparteien hoffen auf eine ähnliche Entwicklung wie 2021. Bei der Bundestagswahl vor dreieinhalb Jahren schnitt die Union am Wahltag nämlich besser ab als in den letzten Umfragen vorausgesagt. Sieben der acht großen Umfrageinstitute hatten CDU/CSU kurz vor der Wahl niedriger eingeschätzt als das eigentliche Ergebnis von 24,1 Prozent.

Die Grünen wurden dagegen von fast allen Instituten zu stark eingeschätzt. Besonders deutlich war der Unterschied bei der Linken, die von allen Umfragehäusern überschätzt wurde. Insgesamt waren die letzten Umfragen vor dem Wahltag aber präziser als bei den vorangegangenen Bundestagswahlen. 2017 wurden SPD und Union von allen Instituten überschätzt, FDP und AfD dagegen größtenteils unterschätzt. 2013 hatten CDU/CSU bei der Wahl ein leicht besseres Ergebnis eingefahren als vorausgesagt. SPD und Grüne wurden erneut überschätzt.

FDP noch gefährdeter als 2013

Ein klares Muster, wonach bestimmte Parteien in den letzten Umfragen vor dem Wahltag regelmäßig besser eingeschätzt werden als ihr tatsächliches Wahlergebnis, lässt sich jedoch nicht feststellen. Sehr wohl würden sich Umfragetrends in vielen Fällen aber bestätigen, erklärt Wahlforscher Faas im Podcast. "Wir sehen jetzt, dass es für die Linke ganz gut läuft, dass sie sich in den Umfragen mindestens stabilisiert oder sogar nach oben bewegt. Daraus kann man ein Momentum ableiten, das sich potenziell bis zum Wahltag fortsetzt."

In den Umfragen liegt die Linke mittlerweile stabil bei mindestens sechs Prozent. Davon können Ex-Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht und ihr BSW nur träumen. Auch für die FDP sieht es schlecht aus, immerhin zeigt die Umfrage-Richtung zumindest nach leicht oben. Allensbach und Forsa sagen fünf, die anderen Institute nur vier Prozent der Wählerstimmen voraus.

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Mit Blick auf die Liberalen bietet sich ein historischer Vergleich zwischen der Bundestagswahl 2013 und der Abstimmung am kommenden Sonntag an. Damals war die FDP zuvor vier Jahre lang in einer Regierung mit der Union, verlor aber während der Legislaturperiode massiv an Zustimmung und stand vor der Wahl an der Kante zur Fünf-Prozent-Hürde. Kurz vor der Wahl sahen alle Institute die FDP, anders als heute, aber zumindest bei 5 oder 6 Prozent. Am Wahlsonntag fiel die FDP dann aber mit 4,8 Prozent aus dem Bundestag.

Wähler-Psychologie für FDP entscheidend?

Die entscheidende Frage mit Blick auf die FDP: Welcher psychologische Effekt setzt sich bei der potenziellen Wählerschaft der Liberalen durch? Wird die FDP am Sonntag von mehr Menschen gewählt, weil sie an der Fünf-Prozent-Kante steht? Oder wird die FDP von weniger Menschen gewählt, weil Wählerinnen und Wähler befürchten, ihre Stimme könnte im Falle eines Scheiterns an der Fünf-Prozent-Hürde wertlos sein?

Wie sich die Unentschlossenen am Sonntag entscheiden, kann deshalb vor allem für die FDP von existenzieller Bedeutung sein. Allgemein sei es so, dass beispielsweise "vier Prozent in Umfragen" ein Signal sein könnten, "dass noch Leihstimmen gebraucht werden", sagt Wahlforscher Faas. "Auf der anderen Seite sind sechs Prozent vielleicht das Signal, dass alles gut ist. Und dann stimmt es am Ende gar nicht."

Der Politikwissenschaftler hält "Signale von Parteieliten" grundsätzlich für wichtig, wenn es zum Beispiel darum geht, eine Art Leihstimmen-Kampagne zu initiieren. Deshalb sei die Ansage von CDU-Chef Merz ("Vier Prozent für die FDP sind vier Prozent zu viel") aus Liberalen-Perspektive fatal gewesen. "Das hat der FDP sicher wehgetan, weil Unionswähler potenziell Leihstimmen-Abgeber wären."

Der Frage, wie wichtig Umfrageergebnisse kurz vor der Wahl sind, haben sich erst kürzlich die Politikwissenschaftler Werner Krause von der Universität Potsdam und Christina Gahn von der Universität Wien in einer Studie genähert. Bewegen sich kleine Parteien unmittelbar vor einer Wahl unterhalb der Sperrklausel, sinkt die Wahrscheinlichkeit für den Einzug ins Parlament um durchschnittlich 45 Prozentpunkte im Vergleich zu Parteien knapp oberhalb der Fünf-Prozent-Grenze. "Konkret heißt das, dass im Schnitt nur eine von vier Parteien unmittelbar unter der Sperrklausel den Sprung ins Parlament schafft. Liegen die Parteien knapp darüber, sind es drei von vier", so das Fazit der Forscher mit Blick auf über 900 untersuchte Parteiergebnisse in 19 Ländern.

Niedrige Wahlbeteiligung hilft eher SPD, AfD und Linken

Ein weiterer Faktor, der Einfluss auf das Wahlergebnis haben kann, ist die Wahlbeteiligung. Laut einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung schneiden die SPD, die Linke und die AfD in Wahlkreisen besser ab, wo die Wahlbeteiligung niedriger ausfällt. Die Union, die Grünen und die FDP erzielen bessere Ergebnisse dort, wo die Wahlbeteiligung hoch ist.

Bis Ende der 1980er Jahre lag die Beteiligungsquote bei Bundestagswahlen in der Regel konstant bei weit über 80 Prozent, teils sogar bei über 90 Prozent. 2009 und 2013 war die Wahlbeteiligung auf einem historischen Tiefstand, nur knapp über 70 Prozent. Bei den letzten beiden Bundestagswahlen stabilisierte sich der Wert auf rund 76 Prozent.

"Die TV-Duelle und das Quadrell hatten hohe Einschaltquoten. Das interpretiere ich so, dass die Wahl viele Menschen interessiert, dass viele Menschen in diese Wahl hineingezogen werden. Insofern rechne ich zumindest nicht mit einem deutlichen Rückgang", sagt Faas im Podcast. Der Wahlforscher verweist jedoch auch auf die besonderen Umstände dieser Wahl: "Das war ein sehr kurzer Wahlkampf, es gibt all die Herausforderungen rund um Briefwahl. Ich erwarte, dass die Wahlbeteiligung am Ende ungefähr dort liegt, wo sie auch vor dreieinhalb Jahren lag."

Ob sich dieser Trend fortsetzt, ob es für die Union zu einer Zweier-Koalition reicht, ob das BSW, die Linke oder die FDP über die Fünf-Prozent-Hürde kommen, das alles entscheidet sich am Sonntag. Umfragen sind ein wichtiger Indikator dafür, nicht mehr und nicht weniger. Vor allem die vielen unentschlossenen Wählerinnen und Wähler können das Ergebnis am Ende stark beeinflussen.

Doch Wahlforscher Faas hat eine letzte, wichtige Einschränkung. "Das heißt nicht, dass sich alle noch entscheiden und auch zur Wahl gehen. Unentschlossenheit führt oft zu Nichtwahl", sagt der Politologe. Nur ein Teil der Unentschlossenen, die "taktischen Wählerinnen und Wähler", warten auf die allerletzten Umfragen und entscheiden sich erst dann.

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

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Quelle: ntv.de

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