Nach der Vance-Rede in München Faber: "Ich hätte gern einen Vizepräsidenten gehört"
15.02.2025, 07:06 Uhr Artikel anhören
Marcus Faber ist Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages. Die Rede von Vance stieß auch bei ihm auf wenig Begeisterung.
(Foto: picture alliance / dts-Agentur)
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hält US-Vizepräsident Vance eine Rede, die konkret kaum mit Sicherheitspolitik zu tun hat, und stattdessen einer Attacke auf die Regierungen Europas gleicht. Warum er trotzdem eine Zusammenarbeit für möglich hält, sagt der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Faber, im Interview mit ntv.de.
ntv.de: Herr Faber, wenn Trump und Putin direkt verhandeln - was kann man da erwarten? Es hieß doch immer, es dürfe nicht über die Köpfe der Ukrainer hinweg entschieden werden.
Marcus Faber: Es ist die Frage, ob man etwas erwartet oder doch eher etwas befürchtet. Mir ist aus der ersten Trump-Administration noch Afghanistan gut in Erinnerung. Da wurde versucht, mit den Taliban einen Friedensprozess auf den Weg zu bringen. Über die Köpfe der Afghanen und der afghanischen Regierung hinweg. Das Ende kennen wir: Die afghanische Regierung und Zivilgesellschaft brachen zusammen. Die Taliban übernahmen wieder die Macht. Meine Hoffnung war, dass man aus diesem vollständigen Fehlschlag gelernt hat. Die vergangenen 48 Stunden bereiten mir Sorge, dass dieser Lernprozess nicht ausreichend war.
Was heißt das für die Hoffnung auf Frieden?
Ein Frieden kann nur zwischen den beiden Kriegsparteien hergestellt werden. Die heißen Ukraine und Russland. Die Amerikaner möchten kurzfristig Ruhe in der Ukraine. Für uns Europäer ist es aber wichtig, dass es nicht bloß eine Verschnaufpause für Russland gibt. Wir brauchen einen langfristigen, stabilen Frieden. Jemand, der einen Angriffskrieg beginnt, darf dafür nicht auch noch mit Geländegewinnen belohnt werden. Wenn er belohnt wird, wiederholt er das.
Ich erreiche Sie auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Dort hat US-Vizepräsident J.D. Vance eine Rede gehalten, die beispiellos war. Offen griff er Deutschland an, forderte die Brandmauer zur AfD einzureißen.
Wir wissen jetzt, welcher Ton uns aus Washington erwartet. Es geht um Spaltung statt Versöhnung. Ich habe einen Wahlkämpfer gehört. Ich hätte gerne einen Vizepräsidenten gehört. Ich hatte schon erwartet, dass er auch eine parteipolitische Agenda hat und in irgendeiner Form versuchen würde, den Rechtspopulismus weiterzuverbreiten. Da habe ich eine andere Position. Es gibt also viel zu besprechen. Aber auch vieles, bei dem man gut gelaunt mit unterschiedlichen Meinungen auseinander gehen kann.
Das ist unter Freunden sicher immer gut und wichtig, aber jetzt ist es doch eine neue Situation. Diese Regierung tritt unheimlich konfrontativ auf und unterstützt die AfD offen. Wie kann man da gut gelaunt bleiben?
Ich denke schon, dass das geht. Wir müssen mit der US-Regierung arbeiten, die im Amt ist. Wir müssen auf dem Völkerrecht bestehen. Wenn Länder zu Spielbällen großer Mächte werden, bedeutet das auch eine wachsende Gefahr für Staaten wie Taiwan oder Estland. Man kann auch nicht einfach ankündigen, dass Grönland ein Teil der USA werden sollte. Das funktioniert nicht. Aber da wird ja auch schon wieder zurückgerudert.
US-Verteidigungsminister Pete Hegseth hat gesagt, die Europäer müssten den Großteil der Lasten der Ukraine-Hilfe schultern. Was sagen Sie dazu?
Grundsätzlich hat Hegseth recht. Die Ukraine ist ein europäisches Land und die Amerikaner haben mit China die deutlich größere Herausforderung zu stemmen. Der "pivot to Asia", also die Hinwendung nach Asien, begann bereits unter Obama. Darüber gibt es einen überparteilichen Konsens in den USA. Die Insel Taiwan zu verteidigen und die aggressive chinesische Außenpolitik einzudämmen, das ist schon eine Herausforderung, der sich die Amerikaner stärker als bisher widmen müssen. China baut gerade die Invasionsflotte gegen Taiwan.
Kann Europa denn die Hilfe alleine stemmen?
Russland hat eine Volkswirtschaft, deren Größe der von Italien entspricht. Man kann also durchaus sagen, die Europäer müssten mit der russischen Aggression alleine klarkommen. Schaut man aber auf die Rüstung, sieht es anders aus. Wir haben unsere Rüstungsindustrie über Jahrzehnte vernachlässigt. Sie kann nicht in kurzer Zeit auf ein Niveau gebracht werden, wie wir es bräuchten. Kurzfristig brauchen wir also auf jeden Fall die Unterstützung der USA. Aber es ist im europäischen Interesse, eigene Kapazitäten in der Produktion und in der Forschung aufzubauen. Europa sollte beispielsweise in der Lage sein, ein eigenes Kampfflugzeug zu entwickeln.
Was könnte Deutschland jetzt sofort mehr an Waffen an die Ukraine liefern?
Deutschland könnte sehr viel mehr tun. Wir haben fünf Prozent unser Leopard-2-Panzer abgegeben. Die verbleibenden 95 Prozent stehen noch in unseren Kasernen. Auch bei anderen gepanzerten Fahrzeugen hätten wir noch Potenzial. Wir haben auch noch Kapazitäten, Drohnen herzustellen, die die Ukrainer dringend brauchen. Wir können auch mit der Entwicklung von KI helfen. Mittelfristig geht es darum, industrielle Kapazitäten aufzubauen, damit man im Falle eines russischen Angriffs in einer besseren Lage ist. Man könnte Munitionsfabriken bauen, die man erst nutzt, wenn man sie braucht. So etwas haben wir nicht, bräuchten wir aber, solange Putin da ist.
Hegseth hat Verteidigungsausgaben in Höhe von fünf Prozent der Wirtschaftsleistung gefordert. Wie hoch könnte der deutsche Verteidigungshaushalt sein? Was wäre wünschenswert, was ist realistisch?
Ich halte nichts davon, mit Zahlen um mich zu werfen. Die 32 Nato-Staaten reden gerade über die minimalen Fähigkeitsziele. Wir müssen beispielsweise die bodengebundene Luftverteidigung verfünffachen. Wir müssen die Kampfbrigaden, die die Nato-Staaten haben, um 80 Prozent steigern. Daraus kann man dann die Kosten ableiten. Ich hatte dazu im Dezember ein Gespräch mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte in Berlin. Das Minimum werden drei Prozent sein, gegebenenfalls etwas mehr. Es geht da nicht um den nächsten Haushalt, vielleicht erst 2030. Unter drei Prozent werden es aber auf gar keinen Fall.
Fünf Prozent wären nicht wünschenswert?
Fünf Prozent finde ich deutlich zu viel. Dann entfiele der halbe Bundeshaushalt auf Verteidigung. Ich kenne keinen Nato-Staat, der bei fünf Prozent ist. Auch die Amerikaner sind mit gut drei Prozent weit davon entfernt. Wir haben in Deutschland ja auch Investitionsbedarf an anderer Stelle, wenn ich an Schienen und Brücken denke.
Wird die Nato weiter Bestand haben? Oder gibt es vielleicht nur noch eine Europäische NATO plus US-Atomwaffenschutz?
Es muss eine vollständige Nato sein. Das gegenseitige Beistandsversprechen muss für alle gelten. Putin wird das testen. Was ist, wenn kleine grüne Männchen in estnischen Dörfern auftauchen? Dann muss Artikel 5 gelten. Ohne Nato reden wir nicht mehr über drei oder dreieinhalb Prozent, sondern über ganz andere Zahlen. Unsere Sicherheit ist die Nato. Es gibt keinen Ersatz. Es ist also in unserem Interesse, dass die USA an Bord bleiben. Die gute Nachricht ist aber: In beiden US-Parteien gibt es dafür eine breite Mehrheit.
Sollte die Ukraine Teil der Nato werden?
Das ist kein Thema für die nächsten drei Jahre, auch nicht für die nächsten fünf. Aber die Ukraine wäre eine strategisch wichtige Ergänzung. So wie der Beitritt Finnlands den Ostseeraum sichert, könnte die Ukraine das Schwarze Meer sichern.
Wir haben bald drei Jahre Zeitenwende. Haben Sie das Gefühl, bei den Deutschen ist angekommen, dass wir in einer neuen Zeit leben? Einer Zeit, in der Sicherheit und Rüstung wieder wichtig sind?
Ich habe das Gefühl, viele wünschen sich diese Themen weg. Menschlich kann ich das nachvollziehen. Es gibt ja auch Angenehmeres auf der Welt. Aber Sicherheit und Verteidigung bleiben wichtig, solange die Bedrohung durch den Diktator im Kreml bleibt. Da muss man hinsehen. Man muss sich auf alle Szenarien vorbereiten. Das führt uns auch Trump vor Augen. Es ist schön, wenn man starke Verbündete hat. Aber man muss sich auch auf Szenarien vorbereiten, die man sich nicht wünscht. Wir sind mitten in diesem Lernprozess. Der Ausgang ist offen.
Mit Marcus Faber sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de