Eine Tirade wie vom Erzieher Für Vance wird Europa vom Partner zur Gefahr


J.D. Vance bekam nur spärlich Applaus bei seiner Rede im Bayerischen Hof.
(Foto: IMAGO/Andreas Stroh)
Werdet so wie wir, dann beschützen wir euch auch. Das steht als Subtext auf J.D. Vance Manuskript bei seiner Münchner Rede. Sie ist eine Abkehr von Partnerschaft und Wertschätzung. In Zukunft ist von den USA wohl nichts und alles zu erwarten.
Wie viel Disruption passt wohl in eine halbe Stunde Redezeit? US-Vizepräsident J.D. Vance nutzt seinen 30-Minuten-Slot auf der Hauptbühne in München nicht einmal aus, um den Zuhörenden die amerikanische Perspektive auf transatlantische Partnerschaft darzulegen. Nach 20 Minuten hat er den Staatslenkern auf der Sicherheitskonferenz für sein Gefühl alles gesagt. Die Botschaft zwischen den Zeilen beim schnellen Abgang: Die alten USA sind Geschichte, lang lebe Donald Trump.
Warum ist Vance so schnell durch mit seinem Programm? Weil er sämtliche konkreten Fragen des "Was können wir machen - was solltet ihr machen - wo liegen unsere gemeinsamen Ziele?" in einer sicherheitspolitischen Partnerschaft komplett außen vor lässt. Kein Absatz zu den angekündigten Waffenstillstandsverhandlungen mit dem Kreml. Nichts über künftige Zusammenarbeit im NATO-Bündnis. Das vom Chef ausgegebene Fünf-Prozent-Ziel, die Zukunft der Nuklearen Teilhabe, der Fortbestand amerikanischer Truppen auf europäischem Boden - steht alles nicht auf Vance Zettel. Ist ihm und seinem Chef vielleicht egal, vielleicht Verhandlungsmasse.
Vance spricht kein einziges drängendes Thema an
Er droht nicht, erteilt keine Absage, kündigt weder einen Vertrag auf noch einen Truppenabzug an, tut erstmal nichts von dem, was viele befürchteten nach den Vorlagen von US-Präsident Trump und Verteidigungsminister Pete Hegseth. Bloß ist das leider trotzdem keine gute Nachricht.
Denn all diese Problematiken stehen im Raum und die Münchner Sicherheitskonferenz ist das Forum, in dem sie bilateral, beim Kaffee auf dem Flur, hinter verschlossenen Türen, aber auch auf vielen offenen Bühnen debattiert werden. Das ist der Geist von München: ein Ringen und Debattieren, ein Austausch auf Augenhöhe. Wenn Vance kein einziges dieser drängenden Themen mit Einfluss auf die europäische Sicherheit öffentlich in München anschneidet, dann bedeutet das vor allem eins: Vor ihm sitzen nicht die Leute, mit denen er glaubt, sie diskutieren zu müssen.
Das entspricht ganz ohne Worte exakt der Haltung, die Trump und Hegseth in dieser Woche ausgestrahlt haben: Europa sitzt nicht mit am Tisch. Lasst das mal die wirklich Mächtigen machen, wir sagen hinterher Bescheid, was rauskam, und vor allem: Was ihr jetzt tun müsst.
Das eine Problem dieser Rede ist also das, was Vance alles nicht anspricht. Das andere, womöglich größere Problem ist das, was er stattdessen sagt. Mit Sicherheitspolitik hat es nichts zu tun. Stattdessen beschreibt der US-Vize detailliert seine Sorge darüber, ob die USA eigentlich mit ihren europäischen Partnern noch dieselben Werte teilen.
So macht er in Europas Regierungen autoritäres Gebaren aus, beziehungsweise das, was eine maßgeblich von Immobilien-Mogul Donald Trump und Tech-Milliardär Elon Musk geprägte US-Regierung dafür hält: Wenn etwa Wahlen in Rumänien gerichtlich annulliert werden, weil der Geheimdienst einen "aggressiven russischen hybriden Angriff" feststellt mit Einfluss auf den Wahlprozess. Das ist laut Vance ein Fall von "Rückzug Europas von einigen seiner fundamentalsten Werte". Ebenso wie EU-Gesetze, die Desinformation im Internet bekämpfen.
An dieser Stelle könnte man die Fußnote anbringen, dass sich gerade mit Desinformation im Internet die Reichweite erhöhen und vortrefflich Geld verdienen lässt, wenn man zufällig im Besitz eines international agierenden Tech-Konzerns ist. Einige Männer, auf die diese Beschreibung zutrifft, saßen bei der Vereidigung Donald Trumps in einer Reihe hinter ihm. Einer davon steht häufiger neben ihm im Oval Office.
Vance redet wie mit ungezogenen Kindern
Vance nutzt die Münchner Bühne, um die europäischen Partner wie ungezogene Kinder zu ermahnen, dass sie erstmal innenpolitisch wieder auf Linie kommen müssen, bevor man über gemeinsame Außenpolitik reden kann. Exakt solche Maßnahmen, die EU-Länder ergreifen, um ihre Demokratie zu schützen, prangert Vance als antidemokratisch an.
Dazu gehört mit Blick auf Deutschland auch der Umgang mit der in Teilen rechtsextremen AfD. Vance kritisiert, die MSC habe die "Teilnahme von Abgeordneten populistischer Parteien sowohl von links als auch von rechts an diesen Gesprächen verboten". Aus Perspektive der USA sehe es "immer mehr so aus, als würden sich hier alte, fest verwurzelte Interessen hinter hässlichen Begriffen aus der Sowjetzeit wie Fehlinformation und Desinformation verstecken". Eine "Brandmauer" dürfe es nicht geben.
Essenz von Vance Abhandlungen über den vom Weißen Haus aus beobachteten Verfall demokratischer Werte jenseits des Atlantiks ist folgende Botschaft: Die USA sind sehr besorgt über die Frage, ob sie mit den europäischen Partnern noch dieselben Werte teilen. Es ist an Europa, das unter Beweis zu stellen, am besten unter Zuhilfenahme der neuen US-Regierung als Vorbild. Werdet so wie wir, dann beschützen wir euch auch. Das steht als Subtext auf Vance Manuskript.
Was der Vizepräsident da verlangt, wäre mit regime change wohl zu hart beschrieben, aber sehr weit entfernt davon ist es nicht. Und solange die Europäer so unartig aus US-Sicht bleiben, hybride Kriegsführung zu bekämpfen, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung von der Politik zu gewährleisten, Hass im Internet zu verfolgen und Einwanderung nicht komplett zu verbieten, sind sie für die USA kein valider Gesprächspartner. In keinem der sicherheitspolitisch relevanten Belange.
Man hat sich auseinandergelebt
Mit dem Resümee, man teile leider keine gemeinsamen Werte mehr, ließe sich zukünftig dann jegliche Abkehr von Bündnistreue begründen - egal, ob es im Konkreten um amerikanische Truppen, die Absicherung der Ukraine oder auch einen NATO-Bündnisfall geht. Man hat sich auseinandergelebt, die Verbindung hat keine Grundlage mehr.
Mag sein, dass bei dem Kosten-Nutzen-Rechner Trump die Aussicht auf Einnahmen an diese Stelle treten können. Wenn die Europäer nur genug LNG und Rüstungsgüter in Übersee einkaufen, belassen die USA ihren nuklearen Schutzschirm über Europa. Gewährleistet, gesichert, garantiert ist das nicht. Die Europäer tun wohl gut daran, die MSC zu nutzen, um Szenarien jenseits einer US-Partnerschaft zu planen.
Quelle: ntv.de