AfD wächst, Tiefschlag für Linke Fünf Lehren der Landtagswahlen im Osten
01.09.2019, 22:50 UhrCDU und SPD verlieren - aber weniger als befürchtet. Ein größeres GroKo-Beben wird wohl ausbleiben. Die AfD feiert sich als großen Sieger, hat aber ein Problem. Die Grünen sind enttäuscht und die FDP versinkt in der Bedeutungslosigkeit.
Die AfD wird riesig - und bleibt isoliert
Die Rechtspopulisten sind zweifelsohne die großen Gewinner der Wahl. Auch wenn sie ihr über Jahre kultiviertes Ziel, in Sachsen und Brandenburg stärkste Kraft zu werden, deutlich verpasst haben. Die Partei in Sachsen kann sich um rund 18 Prozentpunkte verbessern, in Brandenburg um etwa 11. Derartige Zugewinne bei Parlamentswahlen sind eine historische Kräfteverschiebung, wie es sie in der Geschichte der Bundesrepublik selten gab.
Seltenheitswert hat allerdings auch die Kombination aus der Größe der künftigen AfD-Fraktionen und dem Ausmaß ihrer Isolation. In Sachsen und Brandenburg sitzt die Partei bereits seit 2014 in den Landtagen, stellte jeweils Hunderte Anträge. Keine andere Partei unterstützt die AfD bei ihrer Arbeit, keine ihrer Initiativen wurde je umgesetzt. Seit 2016 hat die Partei in Sachsen-Anhalt 25 der 87 Landtagssitze. Und auch dort ist sie politisch eingemauert. Gleiches gilt für die Fraktion im Bundestag.
Die Wahl in Sachsen und Brandenburg zeigt, dass eine immer radikaler werdende AfD den Wähler nicht abschreckt, im Gegenteil. Dass Andreas Kalbitz 2007 gemeinsam mit dem damaligen NPD-Chef Udo Voigt in Griechenland an einer Neonazi-Demo teilgenommen haben soll, stört die Mehrheit der AfD-Wähler nicht.
Politisch wird der seit Jahren andauernde Rechtsdrall für die Partei aber zunehmend zum Problem werden. Zugänge zur Macht bleiben weiter versperrt. Mit einer AfD in der Form von 2014 würde die CDU heute möglicherweise koalieren. Die in weiten Teilen rechtsextreme AfD von 2019 bleibt Fundamentalopposition und Protestpartei. Die Realpolitiker haben längst verloren. Und sie werden in Zukunft weiter verlieren, denn die Landesverbände Brandenburg und Sachsen, die fest in der Hand des nationalistischen Flügels sind, werden künftig im Bundesverband massiv an Gewicht gewinnen.
CDU und SPD kommen mit blauen Augen davon
Mit einem Ergebnis um die sieben Prozent in Sachsen kann die SPD im Grunde froh sein, es über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft zu haben. Andererseits stellen die in Sachsen traditionell schwachen Sozialdemokraten in Brandenburg aller Voraussicht nach weiterhin den Ministerpräsidenten. In Sachsen verliert die CDU rund sechs Punkte. Dennoch wird Michael Kretschmer voraussichtlich Ministerpräsident bleiben. Es ist ein deutlicher Warnschuss. Eine tiefe Erschütterung bis nach Berlin wird aber vermutlich ausbleiben.
In der Bundes-SPD wird weiter über einen möglichen Ausstieg aus der Großen Koalition diskutiert werden. Es spricht allerdings derzeit wenig dafür, dass sich diese Diskussion wegen der beiden Landtagswahlen deutlich beschleunigen wird. Gleiches gilt für die CDU. Gerüchte, wonach Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer nach einem Debakel ihren Hut nehmen könnte, werden sich vermutlich nicht bestätigen.
Dass doch noch Leben in den Volksparteien CDU und SPD steckt, haben die Spitzenkandidaten Kretschmer und Dietmar Woidke in den vergangenen Wochen bewiesen. Kretschmer holte die Sachsen-CDU mit einem Wahlkampf, in der er massiv Präsenz zeigte, aus dem Umfragetief bei rund 24 Prozent im Juni. Auch Woidke hat in den vergangenen Wochen gekämpft. Das Ergebnis seiner Brandenburg-SPD von etwa 26 Prozent muss auch im Kontext von Umfragen gesehen werden, die seine Partei noch vor rund vier Wochen bei 17 Prozent sahen.
Die große Verliererin ist die Linke
Nach diesem Wahlsonntag ist klar: Die Linke hat ihre Rolle als Ost-Partei verloren. Mit gerade einmal noch zehn Prozent in Brandenburg und Sachsen ist die Linke zur Kleinpartei geworden. Noch vor zehn Jahren schienen in Brandenburg 30 Prozent als nicht unrealistisch. In Sachsen hatte man sich an Wahlergebnisse oberhalb von 20 Prozent gewöhnt. Linken-Chefin Katja Kipping will zwar nichts davon wissen, dass die AfD die Linke als Ost-Partei abgelöst habe, die Zahlen sprechen jedoch eine andere Sprache. Denn die AfD konnte nicht nur besonders viele Nichtwähler und CDU-Anhänger von sich überzeugen - Analysen der Wählerwanderung zeigen, dass aus beiden Lagern jeweils 135.000 kamen. Auch die Linke hat rund 45.000 Stimmen an die Rechtspopulisten verloren.
Ein Tiefschlag für die Liberalen
Auch die Liberalen können es nicht schönreden. Das Ergebnis bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen sei ein "Tiefschlag für die Partei insgesamt", gibt FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki am Wahlabend kleinlaut zu. "Unsere Erwartungen waren deutlich höher". Die Partei scheitert in beiden Bundesländern erneut an der Fünf-Prozent-Grenze. Damit zeigt sich wieder einmal: Die FDP kann im Osten nicht punkten, nirgends ist sie dort in einem Landtag vertreten.
Da ist es nur ein schwacher Trost, dass sie im Vergleich zu den Wahlen vor fünf Jahren etwas zulegen konnte. Aber damals hatte sie auch Slogans wie "Keine Sau wählt die FDP" plakatiert - eine zwar lustige, aber verdientermaßen erfolglose Kampagne. Seitdem änderte die Partei ihre Wahlkampfstrategie, Parteichef Christian Lindner verbreitete Aufbruchsstimmung und führte die FDP 2017 aus der Außerparlamentarischen Opposition in den Bundestag. Doch diese Zeiten der Hoffnung und des Aufbruchs scheinen vorbei. Schon bei den Europawahlen im Mai lag die Partei bei müden 5,4 Prozent und auch bundesweit kommen die Liberalen nicht vom Fleck.
Kubicki rät nun, dass die Partei vielleicht pointierter auftreten müsse. Aber das alleine wird kaum reichen. Schließlich mangelt es Lindner kaum an Pointiertheit, vielmehr eher gelegentlich an Empathie, wie auch die Jungen Liberalen im Sommer kritisierten. Und nicht zuletzt scheint er noch immer auf die falschen Themen zu setzen - etwa wenn er die Bedeutung des Klimaschutzes kleinredet, der längst auch im Osten viele bewegt.
Kleine Gewinner sind die Grünen
Lange galten die Grünen im Osten als Westpartei, was sich nicht zuletzt in ihrem Namen manifestiert: von "Bündnis 90" reden nur noch die wenigsten. Spätestens nach diesen Wahlen ist allerdings klar: Die Partei, die lange in den neuen Bundesländern vor sich hin dümpelte und um den Einzug in die Landtage bangte, ist auch im Osten angekommen. Zwar sind die Ergebnisse nicht so berauschend wie erwartet, dennoch die besten, die sie in beiden Bundesländern je hatten. Damit verfestigen die Grünen ihren Trend von der Europawahl im Mai und zeigen, dass auch der bundesweite Höhenflug in Umfragen nicht ganz unberechtigt ist.
Dies dürfte vor allem zwei Gründe haben: Zum einen ist sie für viele die "Anti-AfD-Partei", die Partei, die am konsequentesten den Rechtspopulisten entgegentritt. Zum anderen ist da der Greta-Effekt: Klimaschutz bewegt längst nicht mehr nur gutverdienende Städter. Selbst wenn Union, SPD und Linke inzwischen auf den Klima-Zug aufspringen, sind die Grünen noch immer das Original.
Quelle: ntv.de