Was steht im US-Friedenspapier?28 Punkte - und Trump setzt Selenskyj die Pistole auf die Brust
Markus Lippold 
28 Punkte, die den Krieg beenden sollen: Die USA legen einen Friedensplan vor und setzen der Ukraine quasi die Pistole auf die Brust. Stimme sie nicht zu, ende die Unterstützung, heißt es. Was steht in dem Plan - und wie ist das zu bewerten?
Die ersten Infos, die am Donnerstag über den 28-Punkte-Plan der USA bekannt wurden, gaben die Richtung vor. Nun liegt der Plan, der den russischen Überfall auf die Ukraine beenden soll, vollständig vor. Die Reaktion in der Ukraine nach einem Treffen mit einer Delegation der USA ist verhalten. "Im Ergebnis des heutigen Treffens haben wir vereinbart, an den Punkten des Plans so zu arbeiten, dass dies zu einem würdigen Ende des Krieges führt", teilte das Büro des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit. In einer Rede an die Nation sagte Selenskyj, die Ukraine stehe vor einer "sehr schwierigen Entscheidung": Sie werde entweder ihre Würde oder einen wichtigen Partner, die USA, verlieren.
Auch aus Europa kommen skeptische Stimmen. "Ich bewerte den (US-Plan) nach wie vor so, dass es eine Auflistung der Themen ist, die dringend besprochen werden müssen zwischen der Ukraine und Russland", sagte Bundesaußenminister Johann Wadephul in Brüssel. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen bezeichnete ihn als "völlig untauglich". Und die EU beharrt darauf, dass sowohl die Ukraine als auch die Europäer an einem dauerhaften und gerechten Frieden beteiligt sein müssten.
Washington dagegen macht Druck: Präsident Donald Trump setzt der Ukraine eine Frist bis kommenden Donnerstag, da wird in den USA Thanksgiving gefeiert. Bis dahin soll Kiew den Friedensvorschlag annehmen. Dem Sender Fox News sagte Trump, der Donnerstag sei seiner Meinung nach ein angemessener Zeitpunkt. Zuvor hatte Reuters unter Berufung auf zwei Insider berichtet, die USA würden andernfalls die Bereitstellung von Geheimdienstinformationen und Waffenlieferungen an die Ukraine stoppen.
Was aber steht in dem Papier? Vor allem aber: Wen nutzen die vorgesehenen Bestimmungen - und was bedeuten sie? Eine Übersicht:
In Punkt 1 wird der Ukraine die Souveränität zugesagt. Das klingt wie eine Lappalie, ist es aber nicht. Auch wenn Russland bereits im Budapester Memorandum von 1994 sowie in mehreren folgenden Verträgen die "Unabhängigkeit und Souveränität" des Nachbarlandes anerkannt hat - Machthaber Wladimir Putin hat die Grenzziehung sowie die Eigenständigkeit des Landes ab den 2000er Jahren in Zweifel gezogen. Mit der Annexion der Krim und dem Eingreifen im Donbass wurde das Memorandum zur Makulatur. Ob Putin ein Ende der ukrainischen Staatlichkeit anstrebt, ist unklar. Allerdings hat er mehrfach das Existenzrecht des Landes in Frage gestellt. Zudem behauptet er weiterhin, die Ukrainer und Russen seien ein Volk - was nicht stimmt. In russischen Medien kursierten nach Beginn des Überfalls sogar Pläne, die gesamte Ukraine zu zerschlagen und aufzuteilen. Dies dürften die USA aber nicht zulassen.
Die Punkte 2 und 3 sehen ein Nichtangriffsabkommen zwischen Russland, der Ukraine und Europa vor - damit ist vermutlich die EU gemeint. Zudem "wird erwartet, dass Russland nicht in Nachbarländer einmarschiert und die Nato nicht weiter expandiert". Diese Punkte sollen dem russischen Sicherheitsbedürfnis entgegenkommen. Der Kreml hat immer wieder betont, sich durch die Nato-Osterweiterung bedroht zu fühlen. Behauptungen, die Ukraine oder die EU könnten Russland angreifen, sind allerdings aus der Luft gegriffen. Trotzdem ist hervorzuheben, dass Russland auf weitere Aggressionen verzichten würde, etwa gegen die Ukraine oder das Baltikum. Wie glaubwürdig das ist, bleibt dahingestellt.
Nicht deutlich wird, was mit den "Unklarheiten der letzten 30 Jahre" gemeint ist, die mit einem Nichtangriffspakt ausgeräumt werden sollen. Es könnte damit um geostrategische Entwicklungen seit dem Ende der Sowjetunion gehen, also auch um die Nato-Osterweiterung seit Ende der 90er Jahre, die Russland damit akzeptiert. Dem Kreml geht es hier wohl um eine neue Festschreibung der europäischen Friedensordnung - diesmal aus dem Gefühl der Stärke heraus statt aus dem Gefühl der Niederlage wie in den 90ern. Allerdings hat die Nato ihre Erweiterung nicht selbst angestrebt. Vielmehr bemühen sich Länder um den Beitritt - aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus.
Gleichzeitig sollen laut Punkt 4 Nato und Russland aufeinander zugehen. Solch einen Dialog gab es bereits mit der Nato-Russland-Grundakte und dem Nato-Russland-Rat. An deren Ende war Moskau schuld: Wegen der Annexion der Krim beendete das Verteidigungsbündnis 2014 jede praktische militärische und zivile Zusammenarbeit mit Russland. Nach dem groß angelegten Überfall auf die Ukraine 2022 wurde auch die politische Kommunikation beendet. In welchem Rahmen der nun angestrebte Dialog stattfinden soll, ist unklar. Immerhin: Es ist gut, wenn beide Seiten miteinander reden. Nur hat sich Putin als nicht verlässlich erwiesen. Kurios ist zudem, dass die USA als Mitglied der Nato eine Vermittlerrolle einnehmen wollen.
In Punkt 6 wird die Truppenstärke der Ukraine auf 600.000 Soldaten begrenzt. 2021, als der Krieg im Donbass bereits jahrelang tobte, verfügte das Land über gut 250.000 Soldaten. Nach dem Überfall Russlands wurden die Truppen massiv aufgestockt. Mit Stand 2025 gibt das Datenunternehmen Statista deren Stärke mit 900.000 aktiven Soldaten an (gegenüber 1.320.000 in Russland). Hinzu kommen demnach 1.200.000 Reservisten. Der Punkt zielt auf die von Russland angestrebte Demilitarisierung der Ukraine ab. Allerdings würde das Land mit 600.000 Soldaten immer noch eine sehr große Armee stellen. Nur eben eine deutlich kleinere als das Nachbarland.
Die Punkte 7 bis 9 sollen das Verhältnis der Nato zur Ukraine klären. Seit 2019 steht das Ziel einer Mitgliedschaft immerhin in der Verfassung des Landes. Der Kreml hat darin eine Provokation gesehen - und nennt einen angeblich drohenden Nato-Beitritt auch als Grund für den Überfall 2022. Der Verzicht auf eine Mitgliedschaft soll Moskau beruhigen. Allerdings würde dies das völkerrechtlich verbriefte Selbstbestimmungsrecht des Landes einschränken. Und es ist wenig wahrscheinlich, dass das Verteidigungsbündnis das Völkerrecht ignoriert und einen entsprechenden Passus in sein Statut schreibt. Explizit erlaubt wird in Punkt 11 übrigens eine EU-Mitgliedschaft. Die Ukraine hat bereits seit dem 23. Juni 2022 den Status eines Beitrittskandidaten - der Ausgang der Gespräche ist offen.
Punkt 10 ist besonders wichtig, weil er die Sicherheitsgarantien der USA für die Ukraine umschreibt. Allerdings gibt es da einige Haken. So erwarten die USA eine Entschädigung, ohne näher darauf einzugehen, wie diese aussehen könnte. Zudem ist unklar, wie die Ukraine nach fast vier Jahren Krieg und ohne sein industrielles Herz, den Donbass, eine Entschädigung finanzieren könnte. Gleichzeitig sollen Russland und die Ukraine von gegenseitigen Angriffen abgehalten werden. Die Konsequenzen allerdings sind vage formuliert: eine "entschlossene, koordinierte militärische Reaktion" und die Einsetzung "aller globalen Sanktionen".
Genauer hat sich dazu US-Präsident Donald Trump geäußert. Die Sicherheitsgarantien sollen sich an Artikel 5 des Nato-Vertrags orientieren, wie das US-Portal "Axios" schreibt. Dies würde die USA und ihre europäischen Partner verpflichten, einen Angriff auf die Ukraine als Angriff auf die gesamte Nato zu werten und entsprechend zu reagieren. Diese Garantie soll demnach nach Unterzeichnung zehn Jahre lang gültig sein. Aber wäre die Ukraine damit nicht ein de-facto-Nato-Mitglied, was Russland ja gerade verhindern will? Das wirft mehr Fragen auf, als beantwortet werden - zumal dann auch die Europäer mitziehen müssten. Unklar ist auch, was eine solche Garantie im Zweifel wert wäre. Schließlich hat sie auch im Budapester Memorandum nichts genutzt.
Die Punkte 12 bis 14 behandeln den Wiederaufbau der Ukraine, das Ende der Sanktionen und die Verwendung eingefrorener Gelder Russlands. Der Wiederaufbau und dessen Finanzierung sind seit langem Thema der Verbündeten des Landes. Regelmäßig finden Wiederaufbau-Konferenzen statt. Laut dem US-Plan soll auch Russland finanziell herangezogen werden - indem eingefrorene Gelder der Ukraine zugutekommen sollen. Die angepeilten 100 Milliarden Dollar sind nicht wenig. Allerdings gilt das nur für Gelder in den USA. In Europa eingefrorenes Vermögen soll freigegeben werden, obwohl die EU dieses schon länger als Ukraine-Hilfe ins Spiel bringt. Sauer aufstoßen dürfte den europäischen Verbündeten auch, dass sich die USA offenbar umfassende Rechte an ukrainischen Ressourcen als auch Investitionen mit Russland sichern wollen. Es wäre ein Deal ganz nach Trumps Geschmack, von dem vor allem die USA profitieren.
Ein wirklich guter Vorstoß ist die Wiederaufnahme von Gesprächen zwischen den USA und Russland zur Kontrolle von Atomwaffen. Laut Punkt 17 wird eine Verlängerung entsprechender Regelungen angestrebt.
Laut Punkt 20 sollen sich Russland und die Ukraine verpflichten, "das Verständnis und die Toleranz gegenüber verschiedenen Kulturen" zu fördern und "Rassismus und Vorurteile beseitigen". Das ist vor allem deshalb interessant, weil Putin immer wieder betont hat, Russen und Ukrainer seien ein Volk. Nun müsste Moskau daran arbeiten, das Gegenteil zu verbreiten. Ob der Kreml dem zustimmt? Zudem soll "die gesamte nationalsozialistische Ideologie und Tätigkeit abgelehnt und verboten werden". Was dieser Punkt soll? Er dürfte auf russischen Druck im Papier auftauchen. Denn Putin hat die Kiewer Regierung immer wieder als "faschistisch" diffamiert, die "entnazifiziert" (also abgesetzt) werden müsse.
In Punkt 21 kommt ein weiteres zentrales Thema zur Sprache: Gebietsabtretungen - die ganz klar zugunsten Russlands ausfallen. Der Aggressor soll nicht nur die bereits 2014 annektierte Krim erhalten, sondern auch die Oblaste Luhansk und Donezk, also den wirtschaftlich wichtigen Donbass. Mehr noch: Die Ukraine soll sich aus Teilen von Donezk zurückziehen, die es derzeit kontrolliert. Dort soll eine zu Russland gehörende demilitarisierte Zone entstehen. Russland müsste derweil lediglich mehrere Brückenköpfe in anderen Regionen räumen. In den ebenfalls von Russland annektierten Oblasten Cherson und Saporischschja soll die derzeitige Kontaktlinie eingefroren werden - ohne dass Russland aus den Gebieten abziehen muss. Die russische Annexion würde hier also nicht vollständig umgesetzt werden, die Ukraine könnte ihre Stellungen halten. Letztlich hätte Kiew aber weiterhin eine offene Frontline auf seinem Staatsgebiet.
Humanitäre Aspekte sind in Punkt 24 geregelt. Gefangene und Tote sollen "alle für alle" ausgetauscht werden. Zivilisten, Kinder und Geiseln sollen zurückkehren, Familien zusammengeführt werden. Was auf den ersten Blick gerecht klingt, wirft Fragen auf: Was ist mit ukrainischen Kindern, die ihren Familien entrissen und von russischen Familien adoptiert wurden? Werden auch sie in ihre Heimat zurückkehren dürfen? Immerhin besteht vor dem Internationalen Strafgerichtshof ein Haftbefehl gegen Putin, der auf dem begründeten Verdacht beruht, dass er für Deportationen ukrainischer Kinder nach Russland verantwortlich ist.
In den zivilen Bereich fällt auch die Aufforderung in Punkt 25, die Ukraine solle innerhalb von 100 Tagen Wahlen abhalten. Tatsächlich hat Kiew stets angekündigt, nach Ende des Krieges aufgeschobene Urnengänge nachzuholen. Das ist auch in der Verfassung so geregelt. Putin versucht bereits, die derzeitige Regierung um Präsident Selenskyj gezielt zu delegitimieren, indem er ihm vorwirft, seine Amtszeit sei 2024 abgelaufen. Dies ist jedoch eine glatte Lüge. ntv-Korrespondent Rainer Munz sieht darin eine Hintertür für Putin, der so behaupten könne, ein mit der ukrainischen Regierung geschlossener Vertrag habe keine Grundlage.
Laut Punkt 26 sollen alle Kriegsparteien eine "vollständige Amnestie für ihre Handlungen während des Krieges" erhalten. Dieser Punkt ist mit geltendem Völkerrecht nicht vereinbar. Die zahlreichen, nachgewiesenen Kriegsverbrechen dürfen nicht ohne Folgen bleiben. Russische Massaker wie in Butscha sind nicht mit Kriegshandlungen zu rechtfertigen. Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Das mag nicht immer gelingen, doch einfach einen Schlussstrich zu ziehen, ist keine Lösung.
Weitere Punkte regeln die Überwachung der Bestimmungen, den Verzicht der Ukraine auf Atomwaffen, wie er schon im Budapester Memorandum vereinbart wurde, und die Zukunft des Atomkraftwerks Saporischschja. Zudem werden Konsequenzen festgelegt, sollte eine Seite gegen den Friedensplan verstoßen. Das soll von einem "Friedensrat" unter der Leitung von Donald Trump überwacht und garantiert werden. Ein Waffenstillstand soll in Kraft treten, "sobald alle Parteien diesem Memorandum zugestimmt" und sich an die vereinbarten Punkte zurückgezogen haben.