EU-Novelle zu "Genom-Editierung" Gentechnik-Essen soll bald auf dem Teller landen


Grundlage für das bislang geltende Verbot ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2019.
(Foto: picture alliance/dpa)
Beim Anbau von Lebensmitteln ist in der Europäischen Union bislang jede Form von Gentechnik verboten. Das Gesetz sei nicht mehr zeitgemäß, kritisieren Forscher. Die EU-Kommission möchte nachbessern. Ziel ist, angesichts des Klimawandels genug Nahrung herstellen zu können.
Bislang kamen bei Europäerinnen und Europäern keine gentechnisch veränderten Lebensmittel auf den Teller. Das soll sich nach dem Willen der EU-Kommission bald ändern. Sie arbeitet an einem Gesetzesvorschlag, der ein bestimmtes Verfahren namens "Genom-Editierung" hierzulande erstmals erlauben soll. Damit ist es möglich, die DNA von Pflanzen zielgerichtet so zu verändern, dass sie resistenter gegen Umwelteinflüsse werden. Kritiker warnen vor negativen Folgen für Ökosysteme. Die EU-Kommission sieht in dem Einsatz von Gentechnik hingegen eine Antwort auf die drängende Frage, wie die Versorgung mit Nahrungsmitteln angesichts der Klimaerwärmung sichergestellt werden kann.
Auf Grundlage einer von ihr in Auftrag gegebenen Studie erkenne sie zukunftsweisende Perspektiven für die Agrar- und Lebensmittelindustrie, teilt die Kommission auf Anfrage von ntv.de mit. "Beispiele für potenzielle Vorteile sind Pflanzen, die gegen Schädlinge, Krankheiten oder gegen die Auswirkungen des Klimawandels (z. B. Dürreperioden) widerstandsfähiger sind oder weniger natürliche Ressourcen und Düngemittel benötigen", so die Kommission.
Zudem könnte die Genom-Editierung den Nährstoffgehalt der Pflanzen für eine gesündere Ernährung verbessern oder den Gehalt an schädlichen Stoffen wie Toxinen und Allergenen verringern. Den Entwurf für eine Verordnung, die noch vom Europäischen Parlament und den Mitgliedsstaaten im Rat abgestimmt werden muss, will die Kommission voraussichtlich im Juni vorlegen.
China investiert in gesündere Sojabohnen
Für Jens Boch, Professor für Pflanzenbiotechnologie an der Leibniz Universität Hannover, führt kein Weg an der Zulassung der Genom-Editierung vorbei, damit Pflanzen widerstandsfähiger werden. "Aufgrund des Klimawandels werden Insekten voraussichtlich von südlicheren Gefilden nach Norden ziehen und neue Viren mit sich bringen. Gleichzeitig müssen wir mehr Lebensmittel produzieren", sagt Boch im Gespräch mit ntv.de. Doch Flächen, die für den Anbau infrage kommen, werden knapp.
Genom-Editierung könnte in diesem Zusammenhang Ressourcen schonen, zumal sie sich durch weltweite Investitionen rasant weiterentwickle, sagt Boch. Viele Länder außerhalb der EU wie China, die USA oder Japan fördern entsprechende Forschung mit hohen Summen, um etwa Sojabohnen mit gesünderer Ölzusammensetzung zu produzieren. Diese Lebensmittel unterliegen in der Europäischen Union bislang einem Importverbot.
Bei der Genom-Editierung kommt ein Enzym zum Einsatz, das die DNA punktgenau an einer bestimmten Stelle wie eine Schere durchschneiden kann. Der DNA-Strang wird durchbrochen. Die Zelle sterbe aber nicht ab, weil sie sich selbst wieder repariere, erklärt Boch. "Das passiert auch natürlicherweise ohne den Einsatz von Gentechnik 25 Mal am Tag", sagt er.
Verbot basiert auf EuGH-Urteil von 2019
Die Befürchtung von Umweltverbänden und manchen Grünen-Politikern, wonach Genom-Editierung durch Ungenauigkeit Schäden im Erbgut verursachen kann, ist Boch zufolge unbegründet. Regulierungsbedarf sieht er eher bei moderneren Methoden, die das Erbgut eines Organismus neu schreiben können.
Grundlage für das noch geltende Verbot ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2019. Boch ist nicht der einzige Wissenschaftler, der die Entscheidung des EuGH kritisiert. Auch Forscherverbände wie die Leopoldina fordern die Gesetzgeber auf, den Möglichkeiten moderner Gentechnik offener gegenüberzustehen.
"Aus wissenschaftlicher Sicht bietet Genom-Editierung Vorteile gegenüber der herkömmlichen Züchtung, denn dabei bewirken Chemikalien Tausende und Abertausende von Veränderungen irgendwo im Erbgut", so Boch. Er könne nicht verstehen, warum ausgerechnet die punktgenaue Veränderung streng reguliert ist.
Ein weiterer Einwand der Kritiker: Durch Gentechnik veränderte Pflanzen, die resistent gegen jegliche Pestizide sind, zerstören das Ökosystem, da sie andere Pflanzen verdrängen. Solche resistenten Pflanzen werden laut Boch jedoch bereits durch herkömmliche Züchtung hergestellt und sind im Umlauf. "Dass sich diese Pflanzen sich im Ökosystem verbreiten, hat man seit 30 Jahren nicht gesehen. Dafür gibt es keine Belege", sagt Boch.
Quelle: ntv.de