"Viele fühlen sich überfordert" Warum wir uns beim Umweltschutz selbst im Weg stehen
09.05.2023, 16:55 Uhr Artikel anhören
Obwohl die Fakten alarmierend sind, ist Umweltschutz kein leichtes Unterfangen.
(Foto: picture alliance / Westend61)
Klima- und Umweltschutz werden viel diskutiert, die Fronten sind verhärtet. Nun ermutigt ein Gutachten die Politik, den Bürgern umweltfreundliches Verhalten zu erleichtern. Doch warum fällt vielen der Umweltschutz eigentlich so schwer? Wissenschaftler haben da so ihre Vermutungen.
Der Klimawandel ist eine wissenschaftlich belegte Tatsache, der Handlungsbedarf groß. Die Verantwortung allein auf einzelne Akteure zu schieben, reicht nach Überzeugung von Experten nicht aus, um diese Herausforderung zu bewältigen. Neben der Industrie soll auch die Bevölkerung in die Pflicht genommen werden, denn das Mitwirken des Menschen ist eine Voraussetzung für effektiven Klimaschutz. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat nun ein Gutachten veröffentlicht, das die Politik ermutigen soll, umweltfreundliches Verhalten zu erleichtern. Doch warum ist das überhaupt so schwierig? Wissenschaftler verschiedener Disziplinen erläutern die möglichen Ursachen:
Schwierige Entscheidungen
Das jüngst diskutierte Heizungsgesetz ist ein gutes Beispiel: Der Energiesektor verursacht die meisten Emissionen in Deutschland. Heizungen mit fossilen Energieträgern - wie Öl und Gas - auszutauschen und die Energiewende voranzutreiben, ist klimapolitisch nachvollziehbar. Doch die Umsetzung erweist sich als schwierig.
Für viele Eigenheimbesitzer handelt es sich um eine herausfordernde Situation, wie Immanuel Stieß vom Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) in Frankfurt erklärt. Ein Systemwechsel der Heizung beinhalte viele Überlegungen, beispielsweise wie die Wärme im Haus verteilt und gedämmt wird. Bei einer solch großen Investition bestehe außerdem das Risiko einer Fehlentscheidung, Fördermodalitäten seien nur teilweise bekannt. "Viele fühlen sich damit tendenziell überfordert. Entscheidend ist daher, gute Übergangslösungen zu entwickeln und zu kommunizieren", so Immanuel Stieß weiter.
Mensch als Herdentier
Auch das soziale Wesen des Menschen spielt in puncto Umweltschutz eine große Rolle. Andreas Ernst, Professor für Umweltpsychologie, beschreibt einen wichtigen psychologischen Faktor: "Nichts ist unangenehmer als der Eindruck, man folge einem umweltfreundlichen Appell oder Anreiz, bleibt damit aber allein auf weiter Flur."
Ein wesentliches Problem ist, dass die Bereitschaft der Mitmenschen zur Verhaltensänderung deutlich unterschätzt wird. Dies lässt sich in der sogenannten PACE-Studie sogar an einem Praxisbeispiel erkennen: Über 40 Prozent der Fleischesser gaben an, bereit zu sein, weniger Fleisch und mehr Pflanzen zu essen. Die Probanden schätzten jedoch, dass nur circa 20 Prozent aller Menschen zu einer solchen Veränderung bereit wären. "Normen zu kommunizieren - besser noch - sichtbar werden zu lassen, ist wichtig", erklärt die Leiterin der Studie, Cornelia Betsch.
Debatte mit falschem Schwerpunkt
Trotz bekannter Sachlage und breiter Zustimmung für mehr Umweltschutz gelingt es also nicht mal eben, unser Verhalten anzupassen. Ein wesentliches Problem dabei ist, dass die Debatte den falschen Schwerpunkt hat, wie Tobias Gaugler, Professor für Management an der TH Nürnberg, erklärt: "Wichtig ist meines Erachtens, dass die dringend nötigen Veränderungen des Konsumverhaltens im Lebensmittelbereich nicht ideologisiert oder emotional aufgeladen werden." Er betont, wie dies zu Abwehrhaltungen bei einer großen Gruppe von Konsumierenden führe, vielmehr sollten wissenschaftliche Ergebnisse als Basis für politische Maßnahmen und Konsumentscheidungen dienen.
Es gibt eine Lösung
Das nun veröffentliche Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen ist ein Schritt in die richtige Richtung, glauben die Wissenschaftler. Gelobt wird vor allem der dreigleisige Ansatz, der mehrere Aspekte miteinander vereint.
Erstens gehe es darum, Rahmenbedingungen so zu verändern, dass sie ökologische Lösungen erleichtern, sei es durch Preissignale oder Regulierung. Zweitens sollten Menschen, die sich umweltfreundlich verhalten wollen, in konkreten Entscheidungssituationen besser unterstützt werden, etwa durch Informationen und Beratungsangebote. Drittens soll ein langfristige Grundlage für Veränderung geschaffen werden, indem Umweltbildung und ein Wertewandel in der Gesellschaft gefördert werden.
Es sei entscheidend, zu verstehen, dass die Veränderung des individuellen Verhaltens stets Hand in Hand mit der Veränderung von Produktionsprozessen und politischen Rahmenbedingungen gehen muss. Cornelia Betsch beklagt, dass diese Richtungen bisweilen gegeneinander ausgespielt werden.
"Entweder es wird betont, dass jedes Individuum sein Verhalten ändern soll – und damit die Politik aus der Pflicht genommen. Oder es wird betont, dass vor allem die Politik handeln muss." So werde außer Acht gelassen, dass die Bürger mitziehen müssen und dass aus mangelhafter Kommunikation auch große gesellschaftliche Spaltung entstehen könne. Fest steht also, es geht nur gemeinsam.
Quelle: ntv.de, loe