Politik

Auch Berlin wählt am Sonntag Giffey oder Jarasch, das ist hier die Frage

Franziska Giffey von der SPD und die Grüne Bettina Jarasch sind die aussichtsreichsten Kandidatinnen für das Rote Rathaus in Berlin.

Franziska Giffey von der SPD und die Grüne Bettina Jarasch sind die aussichtsreichsten Kandidatinnen für das Rote Rathaus in Berlin.

(Foto: picture alliance/dpa)

Nicht nur der Bundestag, auch das Berliner Abgeordnetenhaus wird am Sonntag neu gewählt. SPD-Spitzenkandidatin Giffey will ins Rote Rathaus einziehen, doch das wird knapp. Ihre Grünen-Herausforderin hat ebenfalls noch Chancen. Was wollen sie?

Berlin, du bist so wunderbar, heißt es in einer Werbung für ein örtliches Bier. Viele junge Leute würden uneingeschränkt zustimmen, sie erfreuen sich an der legendären Feierszene, dem internationalen Flair und der Freiheit, die in der Stadt immer noch zu spüren ist. Wenn denn die Corona-Maßnahmen irgendwann einmal wieder gefallen sind. Doch schon junge Eltern sehen die Lage pragmatischer. Es ist schwer, einen Kita-Platz zu bekommen, viele Schulen haben einen miesen Ruf und wer eine Wohnung sucht, sollte überdurchschnittlich verdienen, sonst wird es eng. Dass es die vielleicht weltbeste Philharmonie gibt, drei Opernhäuser und fantastische Museen, tröstet da nur bedingt.

Die Politiker der Hauptstadt haben also viel zu tun - am kommenden Sonntag können die Wahlberechtigten wieder bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus mitentscheiden, wer die Probleme der Stadt anpacken soll. Und die sind zahlreich. Sie betreffen nicht nur Bildung, Wohnen und Verkehr, sondern auch Herausforderungen wie den Klimawandel. Kurz vor der Wahl sieht es danach aus, dass die SPD mit Spitzenkandidatin Franziska Giffey gute Chancen hat, stärkste Kraft zu werden. Die frühere Familienministerin hat die Partei wieder mehr in die Mitte geführt. So lehnt sie beispielsweise den Volksentscheid über die Enteignung großer Wohnungskonzerne ab, der an diesem Sonntag ebenfalls läuft, und sie zeigte wenig Leidenschaft für den mittlerweile gescheiterten Mietendeckel.

Giffey ist die Bekannteste aus dem Bewerberfeld. Das liegt an ihrer Zeit als Ministerin, aber auch daran, dass sie drei Jahre Bezirksbürgermeisterin von Neukölln war. Sie war Nachfolgerin von SPD-Urgestein Heinz Buschkowsky, der unverblümt über die Probleme in dem Multikulti-Bezirk redete und so bundesweit bekannt geworden war - und manchen als Vorläufer eines Thilo Sarrazin erschien. Er gilt als politischer Ziehvater Giffeys, was nicht heißt, dass sie ihm in allem gefolgt wäre. Danach wechselte sie für drei Jahre ins Kabinett Merkel - wo sie dann der große Karriereknick ereilte. Die Freie Universität rügte sie erst, weil sie für ihre Doktorarbeit abgeschrieben hatte, dann erkannte sie ihr den Titel in diesem Sommer ab. Anschließend trat Giffey als Ministerin zurück.

"Für Berlin reicht's"?

Dass sie dennoch als Spitzenkandidatin der SPD in den Wahlkampf zog, stieß manchen sauer auf. "Als Ministerin zurückgetreten, aber für Berlin reicht's", wie es nicht nur in der "taz" hieß. Für die Menschen in der Hauptstadt scheint die Plagiatsaffäre - die mittlerweile auch Giffeys Magisterarbeit erfasst hat - kein Hinderungsgrund zu sein. Giffey liegt in Umfragen vorn, knapp zwar, aber immerhin. Das dürfte daran liegen, dass sie versucht, Alltagsprobleme der Menschen anzusprechen und in Wirtschaftsfragen eher das Machbare als das Radikale anzustreben. So zählte sie im Interview mit ntv.de auf, was für Kinder und Familien in Berlin alles kostenlos ist, dass es zugleich aber eine "Willkommenskultur für Unternehmerinnen und Unternehmer und die kreativsten Köpfe der Welt" brauche.

Damit geht sie auf Distanz zur rot-rot-grünen Koalition, die unter dem Regierenden SPD-Bürgermeister Michael Müller seit fünf Jahren die Stadtgeschicke lenkt. Ihr größtes und spektakulärstes Projekt war der Mietendeckel, der allerdings vom Bundesverfassungsgericht wieder kassiert wurde - und das mit Ansage. In Berlin ist traditionell der Glaube stark, der Staat könne und müsse Probleme durch beherzte Eingriffe korrigieren. Die Linke mit ihrem Spitzenkandidaten Klaus Lederer ist davon besonders überzeugt, die FDP mit Sebastian Czaja besonders entsetzt.

Womit wir beim Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne wären. Der wird zwar nicht bindend sein, selbst wenn die Ja-Stimmen am Ende überwiegen. Doch ein Signal an die Parteien ist er schon, eine drohende Faust im Hintergrund auch für die Konzerne. 30 Milliarden Euro würde eine Enteignung möglicherweise kosten - Geld das Berlin nicht habe, wie Giffey sagt. Sie lehnt daher diese Pläne ab und will lieber Mieterrechte stärken und dafür sorgen, dass mehr neu gebaut wird. Im RBB hatte sie diese Frage einmal gar zur "roten Linie" erklärt, zur entscheidenden Frage, ob Rot-Rot-Grün fortgesetzt wird. An dieser Stelle ist die SPD-Landeschefin also näher bei CDU und FDP als bei den bisherigen Partnern Grüne und Linke.

Berlin oder Bullerbü?

Denn die Grünen-Kandidatin Bettina Jarasch will sich nicht vom Enteignungs-Entscheid distanzieren. Bei ntv.de sagte sie, sie gehe davon aus, dass dieser gar nicht nötig werde. Sie möchte die Wohnungsunternehmen lieber auf dauerhaft niedrige Mieten verpflichten. Den Volksentscheid würde dadurch ganz von selbst zum Druckmittel. Jarasch ist ein ganz anderer Typ als die aus Brandenburg stammende Giffey. Die gebürtige Augsburgerin und frühere Journalistin wirkt so, wie man sich eine Großstadt-Grüne vorstellt. Sie ist liberal, weltoffen und Verkehrs- wie Energiewende haben für sie größte Bedeutung. Im Wahlkampf verfolgt Jarasch der Spruch, sie wolle mehr Bullerbü in Berlin.

Für sie habe es "absolute Priorität" die Verkehrswende in den kommenden Jahren an den Stadtrand zu bringen, sagte sie ntv.de. Der Takt von U- und S-Bahnen sowie von Bussen und Straßenbahnen soll erhöht werden, damit möglichst viele Menschen aufs Auto verzichten können. Auch Radwege sollen verstärkt gebaut werden. Bis 2030 soll es dann innerhalb des S-Bahnrings keine Verbrenner mehr geben dürfen. Angesichts der Blechlawinen in der Hauptstadt erscheint das heute noch unschaffbar - aber auch in Hinblick auf Klimaschutz könnte das viele Wähler ansprechen. Zumal man schon heute sehr gut mit Fahrrad, Carsharing und ÖPNV von A nach B kommt.

CDU wäre auf SPD oder Grüne angewiesen

Kai Wegner, der Spitzenkandidat der CDU und anders als Jarasch und Giffey gebürtiger Berliner, kann da wohl nur abwinken. Geht es nach ihm, werden Autos mit Verbrennungsmotor auch nach 2030 Brandenburger Tor, Alexanderplatz und Siegessäule ansteuern. Auch Wegner, derzeit noch Bundestagsabgeordneter, will Alltagsprobleme zur Priorität zu machen. Zum Beispiel die immer noch langsame und unterbesetzte Stadtverwaltung. Ganz so lange wie vor einigen Jahren muss man zwar nicht mehr auf Bürgeramtstermine warten, aber dennoch ist da in vielen Bereichen noch Luft nach oben. Er verspricht eine "funktionierende Stadt", womit er bei manch einem ins Schwarze treffen dürfte. Im ntv.de-Interview fordert er einen "ganz neuen Politikstil". Größtes Problem ist demnach auch für ihn der Wohnungsmangel. Wie die Grünen will auch Wegner die Außenbezirke besser an die öffentlichen Verkehrsmittel und ans Carsharing anbinden.

Dem CDU-Programm ist anzumerken, dass die Verfasser kommen sahen, dass man am Ende mit Grünen oder Sozialdemokraten in einem Boot sitzen könnte. Im "Berlin-Plan" der Partei ist viel von Vielfalt, Familien und Zusammenhalt die Rede. Von der alten Berliner Frontstellung, da die linken Grünen mit Regenbogenfahne, dort die Konservativen mit geistiger Pickelhaube, ist nicht mehr viel zu spüren - auch wenn die CDU sich weiter fürs Gymnasium einsetzt und besonderen Wert auf Innere Sicherheit legt. So sind ähnliche Koalitionen wie im Bund möglich. Neben einer Fortsetzung von Rot-Rot-Grün oder auch Grün-Rot-Rot werden Jamaika, Kenia und Deutschland gehandelt, also Grün-Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot-Grün oder Schwarz-Rot-Gelb. Es wird also in Berlin mindestens so bunt wie im Bund - und vermutlich wird eine Frau als Regierende Bürgermeisterin ins Rote Rathaus einziehen.

Quelle: ntv.de

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