Politik

Klima, Steuern, Kanzlermacher Grüne und FDP - kann das gut gehen?

Klimapolitik auf der einen Seite, Steuerentlastungen für die Wirtschaft auf der anderen: Schaffen es Grüne und FDP, einen Konsens zu finden, um einen Kanzler zu krönen? Beide werden empfindliche Opfer bringen müssen.

Eine Ampel-Koalition mit der SPD und den Grünen? "Ich habe gegenwärtig nicht die Vorstellungskraft, wie Herr Scholz ein Angebot machen kann, das seiner Parteibasis und Kevin Kühnert, den Grünen inklusive Jürgen Trittin und der FDP zugleich gefallen kann", sagte Christian Lindner vor der Wahl. "Da fehlt mir schlicht die Fantasie." Historisch gesehen war dieser Mangel an Imagination mehr als verständlich. Die FDP und die Grünen galten lange als Lieblingsgegner. Wörter wie "Erzfeinde" oder "spinnefeind" wurden da gerne benutzt. "Was das Verhältnis zur FDP ist, glaube ich, verrate ich kein Geheimnis, dass die Grünen und die FDP in geübter Gegnerschaft zueinander stehen", sagte Grünen-Chef Robert Habeck auch am Montag nach der Wahl.

Doch die innige Abneigung - Markt gegen Staat, Kapitalismus gegen Klima, Guido Westerwelle gegen Joschka Fischer - scheint über die Jahre ein wenig abgeebbt zu sein. In Rheinland-Pfalz regieren beide Parteien mit der SPD in einer Ampel, in Schleswig-Holstein bilden sie mit der CDU eine Jamaika-Regierung. Im Bund gelang ein solches Bündnis vor vier Jahren zwar nicht. Aber in der gemeinsamen Opposition arbeiteten sie doch immer wieder gemeinsam gegen die Große Koalition, verbrüderten sich sogar bei Themen wie der Wahlrechtsreform.

Wenn Olaf Scholz also am Morgen nach der Bundestagswahl seinen Anspruch auf das Kanzleramt bekräftigt und für SPD (25,7 Prozent), Grüne (14,8) und FDP (11,5) einen "sichtbaren" Regierungsauftrag erkennt, dann hofft er, dass aufgrund dieser Annäherungen eine Ampelkoalition im Bund möglich ist. Andererseits weiß der SPD-Kanzlerkandidat ebenfalls, dass die Ausgangslage so schwierig ist wie lange nicht: Denn erstmals seit Jahrzehnten ist ein Dreierbündnis nötig, um eine Bundesregierung zu bilden - und die tief sitzenden Unterschiede zwischen Grünen und FDP sind beileibe nicht überwunden.

"Mehr als sinnvoll"

Womöglich können die Differenzen überhaupt nicht besiegt werden. Denn dem Selbstverständnis der beiden Kanzlermacher-Parteien liegen gegensätzliche Ansätze zugrunde: Vereinfacht ausgedrückt wollen die Grünen einen starken, sozialen Staat, der vor allem in der Klimapolitik einen klaren Ordnungsrahmen schafft, während die FDP vor allem auf Markt und Anreize setzt. Die Grünen und ihre Wähler sind kulturell eher "links" angesiedelt, die Liberalen und ihre Anhänger dagegen im "konservativen" Spektrum. Auch wenn diese Begrifflichkeiten sich über die vergangenen Jahrzehnte stark verändert haben: Die Gräben sind noch immer metertief. Lindner legte sich im Wahlkampf darauf fest, dass er die Spitzenkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, niemals zur Kanzlerin machen würde.

Immerhin: Jetzt ist die Gesprächsbereitschaft da. Es könne "ratsam sein, dass die Parteien, die gegen den Status quo Wahlkampf gemacht haben, dass also Grüne und FDP zuerst miteinander reden", sagte Lindner am Wahlabend. Auch Baerbock fand das "mehr als sinnvoll". Vorher hatte schon Habeck in einer Rede der FDP das Erstgesprächs-Angebot gemacht. Allen Kanzlermachern ist klar: Es könnten lange Debatten werden. Und sowohl Grüne als auch FDP werden schmerzhafte Kompromisse eingehen und jeweils wichtige Programmpunkte aufgeben müssen. Was überwiegt? Der Wille zum Regieren oder die Antipathie, die Differenzen, die Problemzonen?

Klima und Steuern sorgen für Zündstoff

Konkret dürften die jeweiligen Herzensangelegenheiten, Klimaschutz und Steuerpolitik, die größten Knackpunkte darstellen. Konsequente Umsetzung des Klimaschutzgesetzes mit möglicherweise noch verschärften Sektorzielen, eine höhere Steuer auf Flüge, verstärkter Ausbau der erneuerbaren Energien, Kohleausstieg schon 2030 statt 2038, ökologischere Landwirtschaft - all das wollen die Grünen unbedingt. Die FDP müsste wenigstens teilweise in den sauren Apfel beißen. Über das von den Grünen geforderte Klimaschutzministerium hatte FDP-Generalsekretär Volker Wissing noch jüngst gewettert, er habe noch nie einen "unsinnigeren Vorschlag gehört". Nun wird er sowohl ihn als auch strenge staatliche Vorgaben möglicherweise akzeptieren müssen.

Im Gegenzug müssten Baerbock und Co. dann wohl den Freien Demokraten die Finanz- und Fiskalpolitik überlassen. Das hieße Steuersenkungen für die Wirtschaft und Abschaffung des Solis statt Vermögenssteuer und auch keine Einführung eines höheren Spitzensteuersatzes. Auch wird Lindner kaum auf den Posten des Finanzministers verzichten. Auf das Amt spekuliert zwar auch Habeck, der könnte allerdings auch als Energiewende-Minister die Ressorts Wirtschaft und weitere übernehmen. Die Themen Investitionen und Schuldenbremse sorgen ebenfalls für Zündstoff: Die Grünen wollen jährlich 50 Milliarden Euro hauptsächlich für klimaneutrale Investitionen ausgeben und die Schuldenbremse reformieren, die FDP will sie unverändert lassen. Bei der Schuldenbremse hat Lindner allerdings Gesprächsbereitschaft angedeutet, wenn es um zukunftsgerichtete Investitionen gehe.

Natürlich favorisieren die Grünen eine Ampel-Koalition unter einem SPD-Kanzler Scholz und die Liberalen eine Jamaika-Koalition mit CDU-Chef Armin Laschet an der Spitze. Doch Lindner verpasste der Union schon in der Berliner Runde einen Seitenhieb, dass sie einen Wahlkampf gegen die FDP geführt habe. Der FDP-Chef signalisierte damit die neuartige Macht, die das Wahlergebnis seiner Partei und den Grünen in die Hände gelegt hat.

Punktuelle Übereinstimmungen

Wirksam wird diese Macht allerdings nur, wenn beide Parteien gemeinsam agieren. "Beide Parteien haben sich aus unterschiedlicher Perspektive gegen den Status quo der Großen Koalition gewandt", erklärte Lindner am Wahlabend. Ein "Weiter so" dürfe es nicht geben. Das passt zu Baerbocks im Wahlkampf vielfach propagiertem "echten Aufbruch". Beide wollen einen Wandel in Deutschland. Allen Unterschieden zum Trotz gibt es also auch Berührungspunkte bei Grünen und FDP.

Die Grünen glauben längst an die soziale beziehungsweise sozial-ökologische Marktwirtschaft und an den Wettbewerb, bei der Digitalisierung gibt es ebenfalls Schnittmengen und auch beim Bürokratieabbau dürfte es leicht sein, sich zu einigen. Zugleich haben auch die Liberalen gemerkt, dass Klimaforderungen mittlerweile zur Mitte der Gesellschaft gehören, auch wenn mit dem Schlagwort von der "Technologieoffenheit" noch dezent auf die Bremse getreten wird. In einigen Punkten ticken Grün und Gelb ähnlich: klare Kante gegenüber Russland, europäische Lösungen, Marktführerschaft bei der Entwicklung von Klimatechnologien als Ziel, Einsatz für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare oder etwa legalisierter, kontrollierter Verkauf von Cannabis. Im Inforadio vom rbb erklärte Baerbock an diesem Montag, Schnittstellen zwischen Liberalen und Grünen gebe es "gerade im Bürgerrechtsbereich, im Bereich einer modernen Gesellschaft und Einwanderungsgesellschaft."

Ohnehin gehören ihre Anhänger einem ähnlichen Spektrum an, nämlich dem der Akademiker und Besserverdienenden - obwohl sie laut Umfragen nicht viel voneinander halten und eine gemeinsame Koalition daher einiges an Überzeugungsarbeit im jeweils eigenen Lager erfordern würde. Die Bundestagswahl zeigte nun, dass Jungwähler (Grüne vor FDP) und Erstwähler (FDP vor Grünen) vor allem diese beiden Parteien unterstützen.

Erst Mammut, dann Kanzler

Vier Jahre ist es her, dass die FDP die Jamaika-Verhandlungen platzen ließ. Dass das Leben in der Opposition hart sein kann, wissen Lindner und seine Fraktion. Dieses Mal will der FDP-Chef mitregieren. "Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten", sagt er. Die Frage ist nur, was er für die Macht aufzugeben bereit ist. Dasselbe gilt für Baerbock und ihre Grünen. Beide Seiten müssen Differenzen und Aversionen gegen ihren Willen zum Regieren abwägen. Eine Mammutaufgabe mit völlig offenem Ausgang. Und erst dann wird geklärt: Wen machen die Königsmacher zum Kanzler?

Quelle: ntv.de

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