
Unionsfraktionschef Merz fordert den Kanzler auf, das Rückführungsverbesserungsgesetz mit der Vertrauensfrage zu verbinden.
(Foto: IMAGO/Future Image)
Nur Stunden nach der Ampel-Einigung diskutiert der Bundestag einen Haushaltsentwurf, dessen Details erst langsam durchsickern. Der Kanzler sagt kaum etwas dazu. CDU-Chef Merz liefert sich einen Schlagabtausch mit SPD-Chefin Esken.
Viel knapper hätte es nicht sein dürfen. Am Mittwochmorgen erreichten Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner bei ihren außerplanmäßigen Haushaltsberatungen die letzte Einigung - gerade noch früh genug, um sie vor Beginn der letzten Bundestagssitzung in diesem Jahr zu verkünden.
Passenderweise war für diesen Mittwoch ohnehin eine Regierungserklärung des Kanzlers angesetzt. Anlass: der EU-Gipfel in Brüssel am Donnerstag und Freitag. Es ist nicht ungewöhnlich, solche Auftritte vor dem Deutschen Bundestag auch für andere Themen zu nutzen. Umso überraschender ist, dass Scholz das nicht tut: Den Haushalt für das kommende Jahr stellt er nicht in den Mittelpunkt seiner Rede.
Er spricht über den Krieg in der Ukraine, zeigt sich "tief beeindruckt" von Kiews Armee, beschreibt die Situation aber auch als bedrohlich. Die russische Waffenproduktion laufe auf Hochtouren. "Putin ist nach wie vor fest entschlossen, die Ukraine militärisch in die Knie zu zwingen. Und er setzt darauf, dass die internationale Unterstützung nachlässt. Die Gefahr, dass dieses Kalkül aufgehen könnte, ist nicht von der Hand zu weisen - leider."
Kein Wort zu Taurus
Als Gründe dafür nennt Scholz den Streit in den USA und die ungarische Blockade des EU-Haushalts. Über seine eigene Weigerung, der Ukraine Taurus zu liefern, spricht er nicht. Das übernimmt Unionsfraktionschef Friedrich Merz, aber auch Redner von FDP und Grünen, die ausdrücklich darauf hinweisen, dass es an ihren Parteien nicht liegt.
Merz sagt, unter den gegebenen Umständen habe die Ukraine "überhaupt keine Chance", den Krieg zu gewinnen. Das habe auch etwas mit der Zögerlichkeit der Bundesregierung zu tun. Scholz täusche die Öffentlichkeit und bleibe "jeden Beweis dafür schuldig", warum er der Ukraine keine Taurus-Mittelstreckenraketen liefern wolle, so Merz unter indirektem Verweis auf die Kritik von CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter.
Für das Ahrtal soll die Schuldenbremse gelockert werden
Vom Ukraine-Krieg kommt Scholz in seiner Rede zur deutschen Haushaltspolitik. Schon beim gemeinsamen Auftritt mit Habeck und Lindner hatte der Kanzler deutlich gemacht, dass die Ampel die Schuldenbremse nur für die 2024 eingeplanten 2,7 Milliarden Euro für den Wiederaufbau des von der Flutkatastrophe heimgesuchten Ahrtals lockern will. Sie behält sich allerdings vor, dies auch für die Unterstützung der Ukraine zu tun, falls der Krieg das nötig machen sollte. Dies, so die Argumentation, wäre eine der vom Grundgesetz in Artikel 115 beschriebenen "außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen" - und die ein Aussetzen der Schuldenbremse ermöglichen.
Bei seinem Auftritt im Kanzleramt formulierte Scholz es so: "Sollte sich die Situation durch Russlands Krieg gegen die Ukraine verschärfen, etwa weil die Lage an der Front sich verschlechtert, weil andere Unterstützer ihre Ukraine-Hilfe zurückfahren oder weil die Bedrohung für Deutschland und Europa weiter zunimmt, werden wir darauf reagieren müssen. Um vorbereitet zu sein, haben wir bereits miteinander vereinbart, in einer solchen Lage ‑ von der heute niemand weiß, ob sie nun eintritt oder nicht ‑ dem Bundestag einen Überschreitensbeschluss vorzuschlagen, so wie Artikel 115 des Grundgesetzes das in Notsituationen zulässt."
Diese Sätze wiederholt Scholz fast wortgleich im Bundestag. Die Union kauft ihm nicht ab, dass dies nur eine vage Aussicht ist. Es handele sich um die "übliche Trickserei" des Kanzlers, sagt Merz: Die Ampel werde jetzt das Geld aus dem Klima- und Transformationsfonds sowie für "die ganzen Transferleistungen" ausgeben, "und dann werden Sie uns zur Mitte des Jahres sagen: Tja, das ist nun alles unvorhergesehen gewesen, was da in der Ukraine auf uns zukommt, und jetzt müssen wir noch mal die Haushaltsbeschlüsse überprüfen".
Infight mit Esken
Provoziert durch Zwischenrufe von SPD-Chefin Saskia Esken lässt Merz sich auf einen Infight mit ihr ein. Am Wochenende hatte Esken auf dem SPD-Parteitag gesagt, CDU und CSU "hetzen im Chor mit der AfD gegen die Ampel". Merz zitiert die Sozialdemokratin mit diesem Ausspruch, erkennbar empört: "Sie unterschreiten hier jedes zulässige Maß an persönlicher Herabsetzung!" Als die SPD-Fraktion auf das Esken-Zitat mit Beifall reagiert, schäumt Merz geradezu. Dies sei ein "Tiefpunkt in der politischen Kultur dieses Hauses".
Dem Kanzler wirft Merz dann noch vor, mit dem Vorhaben, die Asylgesetzgebung zu reformieren, "krachend gescheitert" zu sein. Er erzählt von einem Treffen mit Scholz im Kanzleramt am 13. Oktober. Dort habe Scholz ihm "voller Stolz" den Entwurf für das Rückführungsverbesserungsgesetz ausgehändigt. "Sie haben das selbst gelesen, so sagten Sie, und das sei eines der handwerklich am besten gelungenen Werke Ihrer Koalition." Berichten zufolge kommt dieses Gesetz frühestens im nächsten Jahr. "Wie lange wollen Sie sich eigentlich noch von großen Teilen Ihrer Koalition, insbesondere von den Grünen, auf der Nase herumtanzen lassen?", schimpft der Oppositionsführer und fordert Scholz auf, den Gesetzentwurf unverändert in den Bundestag einzubringen und mit einer Vertrauensfrage zu verbinden.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt unterstellt der Ampel, die Schuldenbremse "wahrscheinlich schleifen" zu wollen. Er zitiert, was Habeck laut "Spiegel" am frühen Morgen im Fraktionschat der Grünen geschrieben hatte: Die Verhandlungen seien fertig, die Regierung stehe noch. Bei der Einigung der Koalition, so Dobrindt, sei es ausschließlich darum gegangen, "die Ampel an der Macht" zu halten. Mit Blick auf den geplanten Abbau klimaschädlicher Subventionen wirft er den Liberalen Wortbruch vor: "Bisher hat die FDP so was als Steuererhöhungen bezeichnet."
FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer widerspricht: "Es gibt keine Steuererhöhung für die arbeitende Mitte." Auch die Aussetzung der Schuldenbremse für das Ahrtal solle nur erfolgen, "wenn es rechtlich möglich ist, einen tragfähigen Kompromiss zu finden". Das klang bei Scholz ein bisschen anders. Allerdings hatte auch der Kanzler betont, dass "vertiefte Prüfungen" dazu noch laufen und die Ampel "auf die größte Oppositionspartei zugehen" und um deren Unterstützung werben werde.
Nach den Plänen der Koalition soll der Bundestag den Haushalt in der ersten Sitzungswoche 2024 beschließen. Fortsetzung folgt.
Quelle: ntv.de