"Scheinargumente" gegen Taurus Kiesewetter: Scholz kann, aber er will nicht


Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Bayern im August kamen Forderungen nach Taurus für die Ukraine aus dem Publikum.
(Foto: IMAGO/Oryk HAIST)
Kanzler Scholz weigert sich, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Unter anderem mit Blick auf ungeklärte rechtliche Fragen, so heißt es seit Wochen aus Regierungskreisen. Nun stellt sich heraus: Die Bundesregierung unternimmt nichts, um solche Fragen zu klären.
CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter wirft der Bundesregierung vor, in der Taurus-Frage "gezielt Parlament, Bevölkerung und Partner hinters Licht" zu führen. Das ist der Schluss, den Kiesewetter aus der Antwort der Bundesregierung auf eine von ihm gestellte Anfrage zieht.
Der deutsche Marschflugkörper Taurus wird schon seit Mai von der Ukraine nachdrücklich erbeten. Fünf Monate lang reagierte Bundeskanzler Olaf Scholz auf die Bitte aus Kiew nicht, dann kam im Oktober die Absage. Unter Verweis auf "pseudo-rechtliche Scheinargumente", wie Kiesewetter ntv.de sagt.
"Es gab niemals rechtliche Fragen zu Taurus"
Berichten zufolge hatte Scholz hinter verschlossenen Türen im Auswärtigen Ausschuss erklärt, Frankreich und Großbritannien, die beide die Ukraine mit Marschflugkörpern ähnlicher Bauart und vom selben Hersteller unterstützen, könnten etwas, "was wir nicht dürfen". Damit stelle sich die Frage einer Lieferung nicht. Konkreter wurde der Kanzler vor den Abgeordneten nicht, doch auch andere SPD-Politiker führten mehrfach rechtliche Unklarheiten ins Feld.
Auf eine Anfrage bei der Bundesregierung erhielt Kiesewetter jedoch nun die Mitteilung, dass seit Mai kein Gutachten in Auftrag gegeben wurde, das etwaige offene Rechtsfragen zur Tauruslieferung klären würde. "Die Bundesregierung stellt mit der Antwort auf meine Nachfrage nun klar, dass es niemals rechtliche Fragen bei Taurus gab", sagt der CDU-Politiker. "Denn sonst wäre ein Rechtsgutachten erstellt worden." Für Kiesewetter stellt sich die Frage, "wie die Minister noch angeblich offene Fragen hätten klären wollen und warum seit Mai kein Gutachten erstellt wurde".
Unter anderem war in Regierungskreisen die Sorge geäußert worden, man brauche für die Programmierung von Taurus Bundeswehrsoldaten vor Ort in der Ukraine. Das wäre ohne Bundestagsbeschluss tatsächlich nicht möglich und würde zudem eine rote Linie überschreiten, die alle NATO-Staaten ziehen, denn Deutschland könnte so zur Kriegspartei werden. Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte kurz vor der späteren Entscheidung von Scholz darauf verwiesen, dass Deutschland bei jedem Schritt die Folgen abwägen müsse.
Eine rechtliche Abwägung mittels Expertengutachten hat jedoch offenbar gar nicht stattgefunden. Kiesewetter sieht darin das aus seiner Sicht "Offensichtliche" bestätigt: "Der Bundeskanzler verweigert der Ukraine die notwendigen und effektiven Waffensysteme wie Taurus mit voller politischer Absicht. Weder aus Abwägung noch aus Besonnenheit heraus, sondern mit vollem politischem Willen."
Auch Sicherheitsexperte Gustav Gressel hält angeführte rechtliche Bedenken gegen eine Taurus-Lieferung für nicht valide. Die Unterstützung von Bundeswehr-Soldaten in der Ukraine sei auch nicht notwendig, um Taurus zu programmieren. "Es gibt andere Staaten, die ebenfalls Taurus nutzen, wie Schweden, Spanien und Südkorea. Auch dort wird kein permanentes Bundeswehrkontingent benötigt, weder für Navigationsdaten noch für die Integration des Marschflugkörpers in die bestehenden Systeme."
Der BND liefert auch Daten in die Ukraine
Der deutsche Marschflugkörper brauche mehr Daten als die britischen und französischen Varianten Storm Shadow und SCALP. "Aber es gibt ein Protokoll für den Austausch sensibler Daten", so Gressel, der beim European Council on Foreign Relations forscht. Die Ukraine bekomme auch vom Bundesnachrichtendienst Daten, beispielsweise aus der Satellitenaufklärung. "Für andere Datenformate gibt es schon ein Protokoll. So ist es eine rein protokollarische Frage, wie man der Ukraine die Geodaten für den Taurus zur Verfügung stellt."
Das Integrieren in bestehende Systeme wiederum erledigt laut Gressel die Herstellerfirma. "Um zu klären, wie man den Marschflugkörper unter ukrainische Flugzeuge hängt, kann Personal des Herstellers in der Ukraine anschauen, was die Briten und Franzosen für Storm Shadow und SCALP gebastelt haben und inwieweit das für Taurus nutzbar ist."
Der Grund für die Weigerung des Kanzleramts, der Ukraine Taurus zu liefern, liegt für Gressel vor allem im Emotionalen. "Wenn man sieht, wie sich nach einem Storm-Shadow-Angriff das Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte in Rauch auflöst, sind das ikonische Bilder", sagt der Militärexperte. "Egal wie der Krieg ausgeht, diese Bilder werden in jedem Geschichtsbuch darüber auftauchen." Scholz und große Teile der SPD wollten nicht, dass deutsche Waffen Bilder solcher Art produzieren oder damit in Verbindung gebracht werden. "Das kann man nicht rational erklären", so Gressel. "Da kommen bei ihnen die Blockaden her."
Aus Sicht des Verteidigungspolitikers Kiesewetter mangelt es Scholz am Willen zu verhindern, dass Russland weitere Versorgungslinien in der Ukraine aufbauen und die Zivilbevölkerung weiter terrorisieren könne. "Er will nicht, dass die Ukraine ihr Territorium befreit." In der Strategie des Kanzlers, das nicht offen zu kommunizieren, sieht der CDU-Politiker das Ziel, "Parlament, Bevölkerung und internationale Partner erstaunlich perfide hinters Licht führen". Gressel sieht das ähnlich: "Die Briten und Franzosen kratzen sich nur am Kopf über das, was hier in Berlin gequasselt wird."
Quelle: ntv.de