Kabinettsklausur in Meseberg Himbeergeist hilft jetzt auch nicht mehr
24.05.2016, 11:25 Uhr
Gelingt in dieser Atmosphäre der Schulterschluss in der Koalition?
(Foto: dpa)
Kabinettsklausuren sind immer eine Inszenierung. Aber sie haben auch einen atmosphärischen Sinn: Man spricht, trinkt vielleicht etwas, lernt sich von einer anderen Seite kennen. In diesem Jahr wird das wohl anders sein.
Harmonie und Handlungsfähigkeit, das sollen die Signale von Meseberg sein, zumindest, wenn es nach dem Willen von Angela Merkel geht. Wichtigster Tagesordnungspunkt der zweitägigen Klausur im örtlichen Schlösschen, dem Gästehaus der Bundesregierung, ist das Integrationsgesetz, das die Kanzlerin, ihre Ministerinnen und ihre Minister in Meseberg beschließen wollen.
Über das Gesetz hat die Koalition lange gestritten, aber seit April steht es in Grundzügen fest – eine gute Möglichkeit also, Geschlossenheit zu demonstrieren. Das idyllische Meseberg ist dafür ideal: Es ist rund eine Autostunde vom Kanzleramt entfernt und sieht genau so aus, wie sich Berliner ein Dorf in Brandenburg vorstellen. Die Große Koalition traf sich hier zuletzt im Januar 2014. Damals war der Wahlkampf erst wenige Monate her, man wollte Vertrauen aufbauen, Projekte verabreden, auch Gespräche bei einem Gläschen Wein führen. Das scheint funktioniert zu haben. Die Frage, ob es einen "Geist von Meseberg" gebe, beantwortete SPD-Chef Sigmar Gabriel seinerzeit mit einem Wort: "Himbeergeist".
Auch wenn es jetzt erneut um einen schwarz-roten Aufbruch gehen soll, steht doch eigentlich der Abschied auf Raten im Vordergrund. Immer wieder machen CDU-Politiker deutlich, dass sie kein gesteigertes Interesse an einer Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der SPD haben. "Eine Fortsetzung der Großen Koalition sollte es nach der nächsten Wahl möglichst nicht geben, auch wenn wir nach wie vor gut mit der SPD regieren", sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder kürzlich. Die Union ist in den Umfragen zwar abgerutscht. Aber sie kann nach wie vor davon ausgehen, nach 2017 weiterhin die Kanzlerin zu stellen, in welcher Koalition auch immer.
Die größten Probleme haben Union und SPD intern
Die Ortschaft Meseberg nördlich von Berlin im Landkreis Oberhavel hat 150 Einwohner, das gleichnamige Schloss dient der Bundesregierung seit 2007 als Gästehaus. Bundeskanzlerin Merkel war mit ihren Minister schon drei Mal da: 2007 mit der SPD, 2009 mit der FDP, 2014 wieder mit den Sozialdemokraten.
Anders als Anfang 2014 haben die Regierungsparteien die größten Schwierigkeiten nicht miteinander, sondern intern. Die SPD setzt in der Bundesregierung ihre Inhalte vergleichsweise erfolgreich um und findet trotzdem keinen Weg aus der Dauerkrise. Bei der Union scheint CSU-Chef Horst Seehofer keine Lust zu verspüren, das Dauerfeuer auf Merkel einzustellen. Hier, zwischen CDU und CSU, liegt die stärkste Konfliktlinie der Koalition.
Seehofer ist kein Bundesminister und daher in Meseberg nicht anwesend. Er wird vertreten durch Verkehrsminister Alexander Dobrindt, seinen ehemaligen Generalsekretär. Der hat Merkel zwar auch schon hart attackiert, dürfte sich bei der Klausurtagung aber zurückhalten. Denn am Dienstag steht eines seiner Themen im Mittelpunkt: der digitale Umbau der Gesellschaft, konkret das automatisierte Fahren mit computergesteuerten Autos. Dobrindt will eine Kommission einsetzen, die "ethische Fragen beim Paradigmenwechsel vom Autofahrer zum Autopilot" klären soll, wie es in einem von ihm vorgelegten Strategiepapier heißt.
Für die CSU geht es ums Grundsätzliche
Am Mittwoch soll dann die Einigung beim Integrationsgesetz verkündet werden. Dessen Motto lautet: fördern und fordern. Asylbewerber und Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive sollen möglichst schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden. Zugleich soll Druck auf die Zuwanderer ausgeübt werden. Wer Sprach- oder Orientierungskurse abbricht, bekommt künftig weniger Geld vom Staat; wer eine Ausbildung abbricht oder straffällig wird, verliert seinen Aufenthaltstitel.
Der Druck geht so weit, dass auch anerkannte Flüchtlinge ihren Wohnsitz nicht mehr frei wählen dürfen. Damit soll die Entstehung sozialer Brennpunkte vermieden werden. Von Wohlfahrtsverbänden kam heftige Kritik. "Bei diesem Vorschlag handelt es sich um eine weitere massive Verschärfung des Flüchtlingsrechts, das den humanitären Charakter des Flüchtlingsschutzsystems in Frage stellt", schreibt die Diakonie in einer Stellungnahme (pdf).
Vor allem die CSU könnte Kritik wie diese als Lob verstehen, als Zeichen, dass Merkel die geforderte Kehrtwende längst vollzogen hat. Die Räumung des Flüchtlingslagers Idomeni etwa kommentierte die Kanzlerin gar nicht, mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan spricht sie so deutlich, dass Seehofer eigentlich zufrieden sein könnte. Aber mittlerweile geht es bei dem Streit der Schwesterparteien um mehr als nur um Flüchtlingspolitik. Die CSU glaubt, dass Merkel schuld ist am Aufstieg der AfD, und sie fordert einen Rechtsruck, zu dem die CDU-Chefin nicht bereit ist. Unwahrscheinlich, dass im Schloss Meseberg genug Spirituosen lagern, um diesen Streit aufzulösen.
Das soll dann bei einer weiteren als Klausur getarnten Paartherapie versucht werden: In vier Wochen wollen sich die Spitzen von CDU und CSU zu einer Strategie-Klausur treffen, um ihre Probleme zu diskutieren. Wo diese Zusammenkunft stattfindet, ist noch unbekannt.
Quelle: ntv.de