
Es keimen Zweifel, ob die Ampel ohne Angela Merkel funktionieren wird.
(Foto: via REUTERS)
Die Politik führt gerade ein trauriges Lehrstück in Sachen Krisenkommunikation auf, die FDP verirrt sich im "ich, ich, ich" - und die Kanzlerin muss ein letztes Mal die Sache regeln.
Eigentlich wollte ich an dieser Stelle endlich einmal über etwas Schönes schreiben, nämlich über Norbert Röttgen. Aber nun ist es doch Zeit für eine dritte Boosterschimpfung: Denn die Mächtigen der Republik verunsichern gerade eine ohnehin verängstigte Bevölkerung. Krisenkommunikation muss präsent sein, einstimmig und nichts versprechen. Drei Gesetze, bitte notieren: Präsenz, Einstimmigkeit, keine Versprechungen. Derzeit sehen wir nichts davon.
Präsenz? Bald-Kanzler Olaf Scholz war nur dann zu sehen, wenn man ihn in Handschellen und mit Pistolenlauf im Steiß vor die Mikrofone führte. So etwa am Donnerstag, als es wirklich nicht anders ging. In flagranter Ignoranz aller Abstandsregeln stellte er fest, man habe sich in Deutschland nun "untergehakt". Wie schön! Es ist ein Rollentausch mit Frank-Walter Steinmeier. Der hat die sprachliche Führungsfunktion in der Republik zwischenzeitlich übernommen, aber eigentlich ist Steinmeier nur Bundespräsident. Ja, "nur": Die Hauptaufgabe dieses Amtes besteht im Geraderücken von Gedenkkränzen und Abstempeln von Gesetzen, er führt aber nicht das Land.
In der vielleicht elementarsten Frage der Pandemie, ob es eine teilweise Impfpflicht geben sollte, verkündete die Ampel in Gestalt von Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt erst vergnügt "ja". Wenige Stunden später ruderte sie zu einem "Nein" zurück, fügte aber hinzu, sie selbst sei ja durchaus für "ja". Ja, nein, ich mein: Jein. Es ist ein bedrohliches Geeier. Die Ampel klingt wie ein Bergführer, der den Weg nach links weist, dabei aber leise "rechts ist sicherer" murmelt.
Kommunikation wie ein Blockflötenkonzert
Der Klang deutscher Corona-Politik ist nicht einstimmig, sie klingt wie das engagierte Blockflöten-Quartett einer ersten Klasse. Die Union streut der Öffentlichkeit Sand in die Augen, um eigenes Versagen zu verstecken. Besonders skrupellos und geschickt macht das Markus Söder, Minister-PR-äsident in Bayern. Die Gesetze der Medien sind nur locker mit der Realität verbunden, das weiß der frühere Journalist. Anderenfalls könnte er nämlich nicht gegen das RKI und die Wissenschaft austeilen, wie er es in den vergangenen Tagen tat.
Warnrufe aus "der Wissenschaft" gab es schließlich überreichlich, wie die Kolumnistin Samira El Ouassil gerade bei den Kollegen von "Spiegel Online" aufgedröselt hat. Einzig die Tonlage der Wissenschaftler war womöglich nicht schrill genug, räumte der Chef der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, bei Markus Lanz kleinlaut ein.
Parteien spielen "Schwarzer Peter" mit Corona-Toten
Aber Söder, der Profi, weiß, dass sich die Wut der durch Corona und Dilettantismus überreizten Bürger gegen alle richtet - ob zu Recht oder nicht. Das ist sein Ausgangspunkt: Deshalb belastet er die Wissenschaftler. So kann man auch das Ende der "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" politisch geißeln, obwohl sie noch gar nicht zu Ende war. Auch andere Vertreter verschiedener Parteifarben steigen in das zynische "Schwarzer Peter"-Spiel mit Corona-Toten ein.
Erinnern Sie sich noch an das dritte Gesetz der Krisenkommunikation? "Keine Versprechen"! Doch Versprechen machten in der Pandemie viele: etwa Lindners "mit uns kein Lockdown". Kassenärztechef Andreas Gassen wollte einen "freedom day" in den Kalender nageln. Notlagen haben es aber an sich, dass sie nicht nach Plan laufen. Pandemien sind notorisch unzuverlässig und in dieser hier üben wir immer noch, wie man sieht. Ein Vertrauensverlust wiegt schwerer als enttäuschte Erwartungen.
Lost in communication
Das Resultat all dieser Fehler ist eine Republik lost in communication und eine schwer beschädigte Ampel. Ausgerechnet Angela Merkel holt für die kommende Regierung die Kuh vom Eis. Sie bringt augenrollend ein letztes Opfer, schließlich ist sie noch Kanzlerin, und vereinbart mit den Ministerpräsidenten die ungeliebte teilweise Impfpflicht - vor der sich die Ampel drückte.
Die Kanzlerin plant zudem 27 Millionen Booster-Dosen bis Weihnachten. Auch das ist allerdings ein gewagtes Versprechen: Derzeit, merkte ein FAZ-Kollege zu Recht an, seien Termine für die Auffrischungsimpfung rar wie Tickets für Konzerte der Band Coldplay - deren Musik bekanntlich schlimmer ist als jede Impfnebenwirkung. Und sie warnt, in den für sie typischen kurzen Hauptsätzen. Es keimen Zweifel, ob diese Ampel ohne Merkel funktionieren wird.
Eine Analyse des vermurksten Ampelstarts auf bloßer Kommunikationsebene greift, wie immer, zu kurz. Dass Rot-Grün-Gelb plötzlich so unprofessionell kommuniziert, liegt wohl vor allem an der FDP: Sie sperrte sich gegen Maßnahmen wie Impfpflicht, sie beharrte auf dem Ende der epidemischen Lage.
Freiheit, das heißt "ich, ich, ich"
Die Partei hatte lange damit zu hadern, dass sie in der schwarz-gelben Koalition ihre wirtschaftspolitischen Versprechungen nicht einhalten konnte. Nach ihrer Lesart hatte Angela Merkel die Partei an der Macht ausbluten lassen. Das sollte nicht noch einmal passieren: Freiheit ist versprochen, Freiheit wird geliefert - für diesen Zwang zeigten auch SPD und Grüne Verständnis. Die Ampel lebt von Harmonie. Und es ist Zeit: Vier Jahre fehlte eine freiheitliche Stimme im Parlament, acht Jahre fehlte sie in der Bundesregierung.
Aber manche Liberale haben sich einem geradezu primitiven Freiheitsbegriff verschrieben, der sich in drei statt zwei Silben buchstabiert: ich, ich, ich. Ein so kindlich verstandener Freiheitsbegriff reicht den Schwurblern beide Hände zum Tanz, das demonstriert wie kein anderer derzeit Wolfgang Kubicki. "Es geht nicht mehr um die Vermeidung der Ausbreitung eines Virus, sondern um die Erziehung zum angeblich besseren Menschen", argwöhnt Kubicki auf Facebook. Man dürfe Ungeimpfte nicht schlechter stellen, sagte er dem "Spiegel". Und richtig: Manchen kann Freiheit nicht radikal genug sein: "Die FDP hat sich mit großen Freiheitsparolen in den Bundestag gerettet, nur um jetzt, unter dem Deckmantel der 4. Welle, autoritäre Fantasien auszuleben", vermutet eine "Welt"-Journalistin und erntet erheblichen Internet-Applaus.
Soll "ich, ich, ich" der Freiheitsbegriff der FDP sein? Querdenker statt Mövenpick, statt Champagner eine Tube Pferdewurmkur? Im Jahr 2013 flog die Partei aus dem Bundestag. Nahezu alle anderen Parteien stürzten sich damals auf die "Freiheit", probierten sie an wie einen schlecht sitzenden Anzug - sogar die Grünen. Parteichef Christian Lindner warb unterdessen mit dem Begriff "mitfühlender Liberalismus" um neue Gefolgschaft. Er wollte das Image von Kälte und Klientelpolitik abstreifen. Wie viel Mitgefühl hat die FDP für Menschen, die auf Intensivstationen arbeiten oder sterben? Lindner relativiert wissenschaftlichen Konsens zu Kontaktbeschränkungen vor laufender Kamera, sein General Volker Wissing verkündet: "Unser Gesundheitssystem ist stabil". Beide korrigieren sich später. Sind das Flirts mit Schwurblern?
Die disziplinierende Kraft der Macht
Allein die disziplinierende Kraft möglicher Regierungsbeteiligung verhindert, dass andere Stimmen der Liberalen, oft die der jüngeren, laut gegen das schlichte Freiheitsmarketing protestieren. Immerhin: Der Innenpolitiker Konstantin Kuhle warb kürzlich in einem Gastbeitrag für die FAZ ein wenig versteckt für die Impfpflicht. "Freiheit ist kein Schimpfwort" steht über dem Text. Und dennoch: "Wer die Freiheiten schützen möchte, die über viele Monate der Pandemie hinweg mühsam, auch durch Impfungen, errungen wurden, der wird sich einer sorgfältigen Diskussion und Abwägung mit Blick auf Impfpflichten für bestimmte Bereiche nicht verschließen", schreibt er tastend.
Je länger der Satz, desto größer die Bauchschmerzen, das ist auch so ein Gesetz der Kommunikation. Intelligenter als "ich, ich, ich" ist dieser Freiheitsbegriff aber mit Sicherheit.
Quelle: ntv.de