
Die eine geht, der andere kommt: Kanzlerin Merkel erlebt ihr wohl letzte MPK, Vizekanzler Scholz hat wohl noch ein paar vor sich.
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Bund und Länder einigen sich auf weitgehende Maßnahmen im Kampf gegen die vierte Welle. Doch die scheidende Bundeskanzlerin und ihr Nachfolger bewerten diesen Erfolg höchst unterschiedlich. Viel hätte wohl nicht für eine größere Corona-Blockade der deutschen Politik gefehlt.
Es hätte gar nicht so viel gefehlt und die laufende Corona-Krise hätte die nächste Mutation erlebt: zur Regierungskrise. In Bund und Ländern hatte sich in den letzten Wochen ein tiefer Zwiespalt aufgetan über den Umgang mit der vierten Pandemie-Welle. Die Konfliktlinie verläuft dabei zwischen der Union auf der einen Seite und den drei Ampelparteien auf der anderen, wobei die Unionsseite die Autorität hat, SPD, FDP und Grüne aber über die Macht verfügen. Hier die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, der christdemokratische NRW-Regierungschef Hendrik Wüst; da der im Werden begriffene Bundeskanzler Olaf Scholz und die Mehrheit der von SPD und Grünen regierten Bundesländer. Im Ringen mit nie dagewesenen Corona-Ansteckungszahlen wirkt in Deutschland ein neues, dynamisches Machtgefüge, das einander leicht hätte blockieren können - zu einem denkbar kritischen Zeitpunkt.
Diese Blockade ist am Ende eines politisch hoch spannenden Donnerstags vorerst abgewendet: Die Regierungschefs aller Bundesländer fanden bei der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit den Vertretern der scheidenden und der kommenden Bundesregierung so viel Übereinstimmung, dass die am Vormittag im Bundestag beschlossenen Änderungen am Infektionsschutzgesetz nicht am Freitag von der Union im Bundesrat blockiert werden wird. Die Union ist zwar weiterhin unzufrieden damit, dass die epidemische Lage nationaler Tragweite ausläuft. Doch zumindest hat sie Scholz das Versprechen abgerungen, dass die Corona-Maßnahmen bei einer erneuten MPK am 9. Dezember noch einmal überprüft werden.
Merkel macht Enttäuschung deutlich
"Die Zusage haben wir heute vom Bundesfinanzminister erhalten", sagte Wüst. Diese "Evaluierungsklausel" sei wichtig. "Und dafür danke ich ausdrücklich", sagte Wüst in Richtung Scholz. Andernfalls wäre der Konflikt wohl schärfer geworden - auch wenn die scheidende Kanzlerin ihre Partei vor einer Blockadehaltung in dieser Frage gewarnt hatte. Doch auch Merkel hielt nach der MPK noch einmal fest: "Wenn schon die epidemische Lage nationaler Tragweite aufgehoben wird - was mir überhaupt nicht einleuchtet, was ich als psychologisches Signal schon immer für falsch gehalten habe -, dann hätte ich mir wenigstens gewünscht, dass die Länder die gleichen Maßnahmen wie bisher zur Verfügung haben."
Und genau dieser Streitpunkt bleibt offen. Denn Scholz hält das am Donnerstag verabschiedete Infektionsschutzgesetz für angemessen und sagte nach der Einigung der Ministerpräsidentenkonferenz: "Ich glaube, das war wirklich ein guter Tag." Das Infektionsschutzgesetz sei ein "viel weitreichenderer Maßnahmenkatalog, als er bisher zur Verfügung stand". Den Vorwurf, die Ampel stemme sich zu wenig gegen die laufende Corona-Welle, kann er nicht nachvollziehen. Im Gegenteil: "Wir werden, um durch den Winter zu kommen, einschneidende Maßnahmen sehen, die es bisher nicht gegeben hat", sagte Scholz und verwies auf die erstmalige Einführung der 3G-Regel am Arbeitsplatz, im öffentlichen Nahverkehr und in Zügen.
Ein Unionserfolg, den Scholz braucht
Scholz verzichtete auch weitgehend auf drastische Schilderungen der Lage. "Ich sage allerdings, die Lage ist hochdramatisch", warnt dagegen Merkel. "Es ist wirklich absolute Zeit zum Handeln." Wüst stellte fest: "Wir sind in dieser Pandemie sehr, sehr nahe an dem Punkt, an den wir nie kommen wollten, nämlich dass in deutschen Krankenhäusern entschieden werden muss, wen man noch behandeln kann." Scholz sagt lediglich: "Es ist wichtig, dass wir uns jetzt unterhaken."
Dass die Union an anderer Stelle Druck gemacht hat, kommt der SPD sogar Recht. Die Bundesländer und der Bund verständigten sich darauf, dass eine Impfpflicht für Heil- und Pflegeberufe kommen soll sowie für alle Mitarbeitende in Krankenhäusern und Behinderteneinrichtungen. Das wollen auch SPD und Grüne, scheiterten bislang aber am Widerstand ihres Ampelkoalitionspartners FDP. "Da die Bundesregierung sich ja einvernehmlich mit den Ländern auf dieses Papier verständigt hat, kann man davon ausgehen, dass diese Aufgeschlossenheit sehr weitgehend ist und auch in die nächste Regierung hereinreicht", sagte Scholz nach der MPK. Die FDP steht nun auch in den Ländern, wo sie Juniorpartner der CDU ist, unter Druck, sich einer Impfpflicht zu beugen.
2G bald überall
Auch wenn die im Bundestag und die von der Bund-Länder-Runde beschlossenen Maßnahmen der Union nicht weit genug gehen, steht am Ende dieses Tages ein weitgehend umfassendes und einheitliches Instrumentarium fest. 2G als Zugangsvoraussetzung zu fast allem und zwar in jedem Bundesland, wo die Hospitalisierungsquote größer 3 ist. Das ist fast überall und bald im ganzen Land der Fall. Ab einem Wert größer 6 sollen die Bundesländer 2G-Plus-Regeln verhängen, also tagesaktuelle Tests zuzüglich zum Geimpft- oder Genesen-Nachweis fordern können.
Ab einer Hospitalisierungsquote größer 9 dürfen die Länder nach eigener Gesetzgebung alle Register ziehen. Welche das aber sind, blieb am Donnerstag unklar. Wüst schimpfte, es könne nicht sein, "dass in extremen Hotspots die flächendeckende Schließung von gastronomischen Einrichtungen nicht möglich ist". Darüber hatten sich am Vormittag im Bundestag auch die Unionsabgeordneten beklagt, während Ampelpolitiker wie die Grünen-Abgeordnete Manuela Rottmann aus dem Gesetzestext vorlasen, um darzulegen, dass alles Notwendige auch rechtlich gehe.
Boostern wollen jetzt alle
Ampel-Parteien und Union zeigten sich dagegen einig, dass die Auffrischungsimpfung für alle über 18 mit mehr als 5 Monaten Abstand zur letzten Corona-Impfung nun schnellstmöglich auf den Weg gebracht werden soll. Am selben Tag hatte die Ständige Impfkommission (STIKO) die erwartete Empfehlung hierzu abgegeben. Von einer "guten Nachricht" sprach Merkel. "Aber es ist auch eine herausfordernde Nachricht, weil damit 27 Millionen mehr Menschen mit Impfungen versehen werden müssen."
Scholz zählte gar "fast 30 Millionen Auffrischungsimpfungen", die bis zum Jahresende verspritzt werden müssen. "Das zu organisieren ist eine große Anstrengung", sagte Scholz, ein "Kraftakt". Und Berlins scheidender Regierender Bürgermeister, noch so ein Politiker auf dem Sprung, warnte schon einmal die vielen Booster-Interessenten vor "Wartezeiten". Und: "Ich bitte dafür um Verständnis." Weil die spät gestartete Auffrischungskampagne in die Zuständigkeit aller Regierungsparteien in Bund und Ländern fällt, war hierzu am Donnerstag kein Dissens zu vernehmen.
Quelle: ntv.de