Am Ende gibt es neue Schulden Meloni erlebt den Fluch des Populismus
17.01.2023, 18:40 Uhr
Meloni in Nöten: Das Geld reicht weder für die Wahlversprechen noch für die europäischen Verpflichtungen. Am Ende wird es wohl neue Schulden geben.
(Foto: AP)
Giorgia Meloni hat den Italienern alles Mögliche versprochen. Ein Luftabwehrsystem, das die Ukraine vor russischen Angriffen schützen würde, bringt sie nun in Schwierigkeiten. Vor allem aber die Drohung der Taxifahrer mit Streik.
Bis zur Wahl lief alles bestens für Giorgia Meloni. Mit 43 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen holte ihr Parteienbündnis im September fast eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, dank eines zum Mehrheitswahlrecht tendierenden Wahlgesetzes von 2017, das die damals stärksten Parteien, die Sozialdemokraten des Partito Democratico (PD) und die Lega von Matteo Salvini, sich so gewünscht hatten, um Zwergparteien wie Melonis Fratelli d’Italia aus dem Parlament zu quetschen. Es kam anders. Nun regiert Meloni, umgezogen vom rechten Katzentisch der Opposition in den Regierungspalast Chigi.
In nur neun Jahren hat sie ihre postfaschistische Partei von 2 auf 26 Prozent gebracht. Sie war Jugendministerin unter Silvio Berlusconi, der sie auch öffentlich herablassend "la piccola" rief, die Kleine. Meloni weiß sich zu präsentieren, sie hat Wortwitz und lässt sich beraten: Wie sie Fragen ausweichen kann, wie sie den Kopf leicht schräg halten muss, um auf Foto und Bildschirmen nachdenklich zu wirken.
Die ersten Beschlüsse ihres Kabinetts waren Streicheleinheiten für die rechte Kernwählerschaft. Das sind traditionell die Millionen kleinen Gewerbetreibenden. Für sie gilt seit Jahrzehnten schon ein besonderer Sozialpakt: Wir, die Rechtsparteien, lassen euch Steuern hinterziehen, solange es in Maßen geschieht - ihr zahlt "Mindeststeuern", die euch vor Kontrollen des Finanzamts bewahren, dafür wählt ihr uns. Nicht umsonst war deren Held über Jahrzehnte der rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung verurteilte Berlusconi. Den Selbstständigen bot die Regierung Meloni sofort eine "flat tax" von 15 Prozent auf alle Einkünfte bis 85.000 Euro an. Ein enormer Vorteil gegenüber einem Angestellten, der mindestens die doppelte Besteuerung erleidet. Aber Angestellte sind eher Linkswähler, Pech für sie.
Streicheleinheiten für die rechte Weltsicht
Dann plante Melonis Kabinett, Geschäfte von der Pflicht zu befreien, elektronische Zahlungsmittel bei Käufen bis zu 60 Euro zu akzeptieren. Das Projekt scheiterte am Einspruch der EU-Kommission, weil es zur Steuerhinterziehung einlade, wie Brüssel meinte. Dabei war das doch gerade der Sinn der Freigrenze: schwarz kassieren zu dürfen. Als Trostpflästerchen kamen neue Regeln für die zivilen Rettungsschiffe im Mittelmeer: Aus Seenot gerettete Migranten müssen "unverzüglich" in einen Hafen gebracht werden, den die Behörden den Schiffen zuweisen. Das sind keineswegs die naheliegenden südlichen Häfen Italiens, sondern vorzugsweise norditalienische Küstenstädte mit linken Bürgermeistern. So musste die "Geo Barents" mit 37 Geretteten 1500 Kilometer durch die aufgewühlte See schippern, um nach Ancona zu gelangen. Natürlich haben die Daumenschrauben für die Seenotretter den Zustrom übers Mittelmeer in keiner Weise verringert. Schon 2022 kamen nur 10 Prozent der Migranten auf NGO-Schiffen nach Italien, im Januar 2023 sind es bisher nicht einmal 1 Prozent, weil die Migranten mit eigenen Booten meist aus Tunesien nach Lampedusa kommen - jetzt wirklich massenhaft, in den ersten zwei Januarwochen schon fast 4000.
Auch so eine Streicheleinheit für die rechte Weltsicht war der Vorschlag der "Brüder Italiens", den Kindern von frisch gelandeten Migranten, die noch keine Aufenthaltsgenehmigung haben, die Teilnahme am Schulunterricht zu verbieten. Dumm nur, dass alle Kinder per Schulgesetz zum Schulbesuch verpflichtet sind. Nicht nur Unkenntnis des geltenden Rechts, sondern richtig dummes Zeug verbreitete Tourismusministerin Daniela Santanchè, als sie meinte, die künstlich beschneiten Pisten der wegen der Klimakrise trockenen Skigebiete wären doch eine Hilfe für die Landwirtschaft, denn wenn der künstliche Schnee schmelze, helfe das den Bauern, die Felder zu bewässern. Erst Wasser den Berg hochpumpen, dann Kunstschnee herstellen, um es wieder unten aufzufangen. Auweia.
Das war fast so schlimm wie der Vorschlag aus der Meloni-Regierung, die digitale Identität SOID, die bisher von neun privaten Providern für 31 Millionen Italiener organisiert wird, allein über den elektronischen Ausweis lenken zu wollen. Dieser Ausweis mit dem Kürzel CIE ist deutlich weniger verbreitet, hat Extra-Kosten und ist nur mit Zusatzgeräten und neuwertigen Smartphones nutzbar.
Die faschistischen Wurzeln sind nicht kalt
Noch schlimmer als die schlichte Unwissenheit ist jedoch der unverhohlene Stolz auf die faschistischen Wurzeln der Partei Melonis. "Die Wurzeln sind nicht kalt", schrieb Senatspräsident Ignazio La Russa, der Sohn eines faschistischen Granden und Gründers der Mussolini-Nachfolgepartei MSI, dem Movimento Sociale Italiano. Deren Ehrenpräsident war einer der größten Kriegsverbrecher Italiens: General Rodolfo Graziani war der Schlächter von zehntausenden Zivilisten in Libyen und setzte Giftgas gegen den äthiopischen Widerstand ein. Von 1944 bis 1945 war Graziani Kriegsminister der faschistischen "Repubblica Sociale" von Hitlers Gnaden. Ganze vier Monate saß er für seine Kriegsverbrechen im Gefängnis. Abgeordneter war er deutlich länger: Bis zu seinem Tod 1955 saß er für den MSI im Parlament. Meloni war noch Mitglied in der Jugendorganisation dieser Partei.
Dass die faschistischen Wurzeln tatsächlich nicht kalt sind und die Spur bis in die Regierung reicht, belegt Melonis Schwager Francesco Lollobrigida, ein weitläufiger Verwandter der gerade verstorbenen Gina Lollobrigida. Als in der Gemeinde Affile bei Rom 2012 ein Gedenk-Mausoleum für Graziani eingeweiht wurde, ehrte auch Lollobrigida den Kriegsverbrecher. Jetzt ist er Minister für Landwirtschaft und Ernährungssouveränität in der italienischen Regierung.
Vom Faschismus distanzieren wollen sich die FdI-Minister nicht: "Ich sehe das sehr entspannt", war Melonis einziger Kommentar zum Thema Faschismus. Die meisten Italiener sehen es genauso. Vor Roms Olympiastadion steht noch immer eine Riesen-Stele mit der Aufschrift MVSSOLINI DVX, "Mussolini, der Führer". Südlich von Rom, in den unter Mussolini entwässerten Gebieten, findet man Kirchen mit Eingangsmosaiken, die den "Duce" mit nacktem Oberkörper beim Dreschen zeigen.
Sehr entspannt ist auch die Lage im Parlament. Den Sozialdemokraten kann Meloni lächelnd zuschauen, wie die sich politisch zerlegen, nachdem der Brüsseler Korruptionsskandal, der hochrangige PD-Abgeordnete betrifft, die Partei schwer getroffen hat und der alte Parteichef zurückgetreten ist.
"Too big to fail"
Auch der klassische Schwachpunkt aller italienischen Regierungen, seit Berlusconi 2011 über die Schuldenkrise stürzte, der gigantische Schuldenberg, musste Meloni zunächst nicht wirklich beunruhigen. Der Haushalt Italiens sieht für 2023 Ausgaben von 814 Milliarden Euro vor, davon 80 Milliarden allein für den Zinsdienst. Aber Europa wird Italien nicht hängenlassen, trotz der 2770 Milliarden Euro Gesamtschulden, von denen die europäischen Institutionen, vor allem die EZB, mittlerweile 42 Prozent halten. Meloni weiß: Italiens Schuldenberg war bisher das größte politische Pfund der Stiefelrepublik: Das Land ist "too big to fail", zu groß, um einen Bankrott zuzulassen, der ganz Europa mit in den Abgrund reißen könnte.
Doch jetzt gerät Melonis Regierung unter Druck. Die Gelder fließen unter zwei Bedingungen, die sich als Zielkonflikt mit den populistischen Wahlversprechen erweisen. Erstens muss Italien strikt den Haushaltsvorgaben aus Brüssel folgen. Zweitens gilt die nicht offizielle, aber implizite Bedingung, dass Italien die NATO-Verpflichtungen einhält, den Kampf der Ukraine gegen die russische Invasion zu unterstützen.
Bisher schien beides kein Problem. Zwar sind ihre zwei Bündnispartner, Berlusconi und Salvini, als Putin-Bewunderer aufgetreten. Bei der Wahl im September aber wurden sie abgestraft und hielten sich bis vor kurzem bedeckt. Rom lieferte Waffen an die Ukraine, wenn auch nicht viele. Bis Ende 2022 gingen Militärausrüstungen im Wert von 800 Millionen Euro an das überfallene Land. Eingemottete Truppentransporter M113, Fh70-155mm Haubitzen, MGs, 120mm Mörser, einige gepanzerte Truppentransporter "Lince", sechs Stück deutsche Panzerhaubitzen 2000 und zwei amerikanische Raketenwerfer.
Eine eigene Panzerproduktion hat Italien nicht: Eine "Leopard 2"-Diskusssion konnte daher nicht aufkommen. Dafür produziert Italien zusammen mit Frankreich eines der modernsten Luftabwehrsysteme der Welt, das SAMP/T-System. Und das ist nun ein Riesenproblem für die Regierung Meloni.
Der Fluch des Populismus
Italien verfügt über sechs solcher Systeme. Jedes kann innerhalb von zehn Sekunden acht Raketen abschießen, die dank Seitenschub voll lenkfähig sind. Das Boden-Luft-System hat eine Reichweite von 100 Kilometern und erreicht eine Höhe von 20.000 Metern. Eine Großstadt wie Kiew könnte mit einer SAMP/T-Batterie komplett vor ballistischen Raketen, Bombern und Mikrodrohnen geschützt werden. Kein Wunder, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf dieses System als Willkommensgeschenk Italiens beim geplanten Kiew-Besuch Melonis im Februar hofft.
Allerdings kosten die SAMP/T-Systeme 700 Millionen Euro pro Stück. Italien müsste seine Militärhilfe für die Ukraine also deutlich aufstocken, denn die verschossenen Raketen müssen ja auch ersetzt werden. Und das bei eigentlich verschlossenen Staatskassen. Meloni steckt in der Populismus-Falle. Im Wahlkampf hatte sie die Abschaffung aller Zusatzsteuern auf Treibstoffe an der Tankstelle versprochen. Jetzt musste sie die Sprit-Subventionen von 30 Cent pro Liter komplett kassieren, weil "wir das Geld einfach nicht haben". Schon wittern ihre Koalitionspartner Morgenluft beim Wettstreit um den populistischsten Slogan.
Wenn, wie jetzt, die 40.000 italienischen Taxifahrer mit Streik drohen, vor allem die 7700 tassisti in Rom, dazu die Tankstellenpächter im ganzen Land, dann wird es für jede Regierung in Italien ernst. Gerade die Taxifahrer gelten als rechte Kernklientel. Regierungen aller Couleur haben jahrelang dafür gekämpft, sie zur Annahme elektronischer Zahlungsmittel zu zwingen. Wenn die weißen Taxis die Stadt am Tiber blockieren, herrscht Notstand in Rom.
Es ist der Fluch des Populismus. Woher die Milliarden Euro für die Subventionierung an der Tankstelle nehmen? "Wir haben die dreißig, vierzig Milliarden nicht in der Kasse", sagt Meloni. Das stimmt. Aber eine echte Wahl hat sie auch nicht. Am Ende wird es wohl neue Schulden geben. Die 700 Millionen Euro für ein SAMP/T-System sind angesichts des gigantischen Schuldenberges Italiens eben nur Peanuts. Und auch Europa weiß: besser neue Schulden, als wenn Italien aus der Koalition der Ukraine-Verteidiger ausbricht und unter dem Druck streikender Taxifahrer Pleite geht.
Quelle: ntv.de