Politik

Fünf Tage auf stürmischer See Wie Italien die Seenotretter schikaniert

Die "Geo Barents" im Hafen von Ancona.

Die "Geo Barents" im Hafen von Ancona.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Rettungsschiffe mit Migranten an Bord werden von den italienischen Leitstellen zunehmend in Häfen geschickt, die weit im Norden des Landes liegen. Offiziell, um Süditalien zu entlasten. In Wahrheit dürften auch andere Überlegungen dahinterstecken.

Ein neues Dekret der italienischen Regierung zwingt Rettungsschiffe von Hilfsorganisationen, norditalienische Häfen anzupeilen. Auch bei schlechtem Wetter wird keine Ausnahme gemacht: Für das Rettungsschiff "Geo Barents" der medizinischen Nothilfeorganisation Ärzte ohne Grenzen bedeutete das knapp fünf weitere Tage auf stürmischer See, bevor es am vergangenen Donnerstag um 7.30 Uhr endlich den Hafen von Ancona erreichte.

Ancona liegt 1500 Kilometer von der libyschen Such- und Rettungszone entfernt, in der die Schiffbrüchigen am Samstag zuvor gerettet worden waren. Nichtsdestotrotz und ungeachtet der Wetterberichte, die nicht Gutes vorhersagten, wiesen die italienischen Rettungsleitstellen dem Schiff den Hafen an der Adriaküste zu. Hier hatte am Mittwoch bereits die "Ocean Viking" mit 37 Migranten an Bord anlegen müssen.

"Die Fahrt war eine Herausforderung, die man absolut hätte vermeiden können", sagt die Deutsche Jana Ciernioch. Sie arbeitet für Ärzte ohne Grenzen und unterstützt die Operationen der "Geo Barents" von Rom aus, ist aber selbst auch immer wieder an Bord. So auch dieses Mal. "Wir hatten meterhohe Wellen, die uns am Ende zwangen, im Schritttempo weiterzufahren. Irgendwann war das untere Deck ganz überflutet und wir mussten alle aufs obere bringen", sagt Jana Ciernioch ntv.de. "Alle waren seekrank. Trotzt der Decken war es natürlich kalt, besonders auf dem oberen Deck. So etwas Menschen zuzumuten, die ohnehin schon vor der Rettungsaktion tagelang auf See waren, ist unverantwortlich."

"Besser im Meer sterben als zurück nach Libyen"

Wie herausfordernd die Seefahrt war, sah man den 73 völlig erschöpften Menschen an, die eingehüllt in Decken von Bord gingen. Es waren auch 19 Minderjährige dabei. Fünf davon mussten sofort ärztlich versorgt werden.

Und da war dann noch ein 21-Jähriger aus Eritrea. Während der Fahrt erzählte er Fulvia Conte, einer italienischen Mitarbeiterin von Ärzte ohne Grenzen, seine Geschichte. Als er vier Jahre alt war, sei seine Mutter mit ihm in den Sudan ausgewandert, weil sie nicht wollte, dass er mit acht Jahren zum Militär eingezogen wird. Im Sudan hätte er zuerst in einem Restaurant, danach in einer Goldmine in den Bergen gearbeitet. Irgendwann beschloss er, nach Libyen zu gehen. Dort begann für ihn die Hölle. "Ich wurde misshandelt, gefoltert, ausgebeutet, geschlagen", erzählte er Conte. "Deswegen wollte ich weg. Und sollte ich es nicht schaffen, dann besser im Meer sterben als zurück nach Libyen."

Schikane für PD-Bürgermeister

Die rechtsnationalistische Regierung in Rom weist Kritik am neuen Umgang mit den Rettungsschiffen zurück. "Italien hält sich an das internationale Seerecht", sagte Innenminister Matteo Piantedosi. "Es kann aber nicht sein, dass immer nur die süditalienischen Häfen angedockt werden." Die süditalienischen Städte seien mittlerweile gänzlich überfordert.

Die Beobachtung stimmt zwar. Allerdings wiesen die Bürgermeisterin von Ancona und der Bürgermeister von Livorno, wo am 22. Dezember die "Life Support" mit 142 Menschen angekommen war, darauf hin, dass man die Migranten auch in einem südlicher gelegenen Hafen hätte an Land lassen und dann mit Bussen gleich in den Norden fahren können.

Die Schiffe werden vor allem in Städte geschickt, die von Mitte-Links-Parteien geführt werden - die Bürgermeisterin von Ancona und der Bürgermeister Livorno gehören beide dem sozialdemokratischen Partito Democratico an. Dem widersprach die Regierung in Rom mit dem Argument, dass die Region Marken, in der Ancona liegt, von einem Mitte-Rechts-Bündnis regiert wird.

Die Kosten sollen erhöht, die Zeit auf See verringert werden

Es könnte aber auch sein, dass es weitere und wichtigere Gründe für die neue Strategie gibt. Ärzte ohne Grenzen vermutet, dass die mit den längeren Fahrstrecken verbundenen höheren Treibstoffkosten das Budget so mancher Hilfsorganisation sprengen werden. Gorden Isler vom deutschen Verein Sea-Eye, der das Rettungsschiff "Sea-Eye 4" betreibt, sagte ntv.de, das Vorgehen der italienischen Regierung habe zum Ziel, "das Ende eines Einsatzes zu erzwingen und so die Zeit der Schiffe im Einsatzgebiet zu verkürzen".

Seit dem 1. Januar müssen zivile Rettungsschiffe, die Migranten aus Seenot gerettet haben, sofort den Hafen anpeilen, der ihnen von den zuständigen Behörden zugewiesen wird. Nach der ersten Rettungsaktion dürfen sie zudem keine weiteren durchführen, auch wenn sie entlang der Strecke auf weitere Menschen in Seenot stoßen. Innenminister Piantedosi behauptet, dass das neue Dekret im Einklang mit dem internationalen Seerecht stehe.

Doch darüber gibt es Zweifel, zumindest mit Blick auf einige Punkte. Zum Beispiel beim Verbot, nach der ersten Rettungsaktion keine weiteren mehr durchzuführen. Laut internationalem Seerecht sei das oberste Gebot, dass Menschen in Seenot Hilfe bekommen müssten, betont Jana Ciernioch. Jeder Kapitän sei dazu verpflichtet. "Wenn wir auf Seenotfälle treffen, die in unserer unmittelbaren Umgebung sind, dann retten wir sie natürlich. Würden wir es nicht machen, würden wir gegen das internationale wie das Europarecht verstoßen."

Außerdem hat die italienische Regierung schon einen Rückzieher machen müssen. In der ersten Version des Dekrets stand, dass die Migranten noch an Bord der Rettungsschiffe Asylanträge stellen müssten. "Das wurde aber dann geändert" erklärt Ciernioch, "denn, wie auch das Hilfswerk UNHCR Italien gegenüber mahnend unterstrich, gibt es für solch eine Verordnung keine rechtliche Grundlage. Die Prüfung des Asylstatus sowie der Antrag dafür kann nur an Land gestellt werden. Der Migrant kann einzig und alleine schon an Bord mitteilen, dass er die Absicht hat, einen solchen Antrag zu stellen."

Keine Hilfe von den Freunden aus Schweden

Premierministerin Giorgia Meloni, die Chefin der rechtsnationalen Fratelli d’Italia, hofft jetzt auf den EU-Sondergipfel am 9. und 10. Februar, bei dem es vor allem um Migration gehen soll - beziehungsweise darum, wie Europa seine Außengrenzen noch stärker schließen kann.

Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft hat den italienischen Hoffnungen aber schon einen Dämpfer verpasst. In einem Interview mit der "Financial Times" ließ Schwedens EU-Botschafter Lars Danielsson wissen: "Sicher werden wir daran weiter arbeiten, aber es wird kein Migrationsabkommen während der schwedischen Ratspräsidentschaft geben. Erst im Frühjahr 2024 wird es so weit sein."

Für die Koalition in Rom ist das ein herber Schlag. Als im September die rechtsextreme Partei der Schwedendemokraten bei den Parlamentswahlen auf Platz zwei landete, zeigte sich Meloni hocherfreut. Noch erfreuter war man, weil die konservative Minderheitsregierung auf die Unterstützung der Schwedendemokraten angewiesen ist. Man rechnete mit einem weiteren Verbündeten. Wenn es um Migranten geht, hört die Freundschaft aber offenbar auf.

Quelle: ntv.de

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