
Das Szenario Neuwahlen könnte letztlich auch sein Amt beschädigen: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
(Foto: picture alliance / Bernd von Jut)
Was passiert, wenn der Parteitag den GroKo-Plänen von SPD-Chef Schulz eine Absage erteilt – oder später die Mitgliederbefragung? Dann gibt es Neuwahlen. Klingt so einfach, ist aber lang und umständlich.
Das deutsche Staatsoberhaupt Frank-Walter Steinmeier hat schon gesagt, was er von der Option Neuwahlen hält: Sie seien nur eine "Ultima Ratio", das unliebsame letzte Mittel, um an eine neue Regierung zu kommen. Wenn jedoch der SPD-Parteitag am Sonntag gegen die Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit der Union stimmt, führt daran wohl kein Weg vorbei. Ähnliches gilt, falls die Parteibasis bei der Mitgliederbefragung "Nein" zum fertigen Koalitionsvertrag sagt.
Eine Minderheitsregierung wird die Union nicht stellen wollen. Mehrfach hat sie betont, wie wichtig eine "stabile" Regierung für Deutschland sei. Auch ein wie auch immer geartetes Kooperationsmodell, eine Koalition "light", wie sie immer mal wieder im Gespräch war, kommt für CDU/CSU nicht infrage. Und bei den Wählern ist die Option Neuwahlen einer Umfrage von Infratest Dimap zufolge ohnehin deutlich beliebter (54 Prozent Zustimmung) als eine Minderheitsregierung (42 Prozent Zustimmung). Dann eben Neuwahlen.
Neuwahlen waren doch immer so leicht
Doch weder die Parteien und ihre gewählten Abgeordneten können den Neustart selbst veranlassen, noch kann es die Regierung. Laut Grundgesetz hat der Bundestag nicht das Recht, sich selbst aufzulösen und es gibt auch keine Frist, innerhalb derer nach einer Wahl eine Regierung zustande kommen muss. Mit der Vertrauensfrage hat die Bundeskanzlerin ein Verfassungswerkzeug, um Neuwahlen zu erzwingen. Doch sie ist derzeit nicht die gewählte Kanzlerin, sondern die geschäftsführende und genießt ohnehin nicht das Vertrauen der Parlamentarier. Aus diesem Grund können die Abgeordneten ihr auch nicht das Misstrauen aussprechen.
Warum nicht einfach Neuwahlen? Das klingt so schön einfach. Und dass dieses Szenario mit so viel Leichtigkeit in die aktuelle Regierungsbildungsdebatte eingebracht wird, hat damit zu tun, dass der Ablauf von Neuwahlen in der Vergangenheit auch einfach war: 1972 zweifelte Willy Brandt an seinem Rückhalt im Parlament, 1982 brauchte Helmut Kohl eine neue Legitimierung nach einem Koalitionswechsel und 2005 wusste Gerhard Schröder wegen der schwarz-gelben Übermacht im Bundesrat nicht mehr, wie er weiterregieren sollte. In allen drei Fällen stellten die Regierungschefs die Vertrauensfrage, das Parlament entschied gegen sie und der Bundespräsident ordnete Neuwahlen an. Genau das aber geht jetzt nicht.
Zunächst müsste laut Artikel 63 des Grundgesetzes der Bundespräsident dem Bundestag einen Kanzlerkandidaten vorschlagen. Der bräuchte dann die Mehrheit der Abgeordneten, um ins Amt zu gelangen. Schafft er das nicht, hat der Bundestag zwei Wochen Zeit, in beliebig vielen Wahlgängen einen Kanzler zu wählen. Misslingt auch das, muss das Parlament nach Ablauf der 14-tägigen Frist ein weiteres Mal abstimmen, wobei dann die relative Mehrheit ausreicht. Den Zuschlag bekommt also der Kandidat, der die meisten Stimmen bekommt.
Wer macht sich zum Lückenbüßer?
Danach kommt wieder der Bundespräsident ins Spiel: Entweder er ernennt einen Minderheitskanzler oder er löst den Bundestag auf. Dann gäbe es Neuwahlen.
Aber wen sollte Steinmeier vorschlagen, um dieses Szenario erst einmal in Gang zu setzen? Das müsste gewissermaßen ein Lückenbüßer sein, bei dem von vornherein feststeht, dass ihn keiner will. Ob Angela Merkel oder Martin Schulz sich auf diese Weise verheizen lassen, ist sehr ungewiss. Denn welches Bild würde entstehen, wenn sich die Mehrheit des Bundestages gegen diese Kandidaten ausspricht und sie bei anschließenden Neuwahlen wieder als Spitzenkandidaten aufträten?
Eine andere Möglichkeit wäre, dass Angela Merkel doch antritt und sich zumindest auf Zeit zu einer Minderheitskanzlerin machen ließe. Für jedes Vorhaben müsste sie dann die Zustimmung in anderen Parteien finden und könnte, falls die Mehrheitsfindung nicht funktioniert, am Ende dann doch die Vertrauensfrage stellen. Wenn sie dabei nicht die Mehrheit erreicht, kann der Bundespräsident – wie auch 1972 bei Brandt, 1982 bei Kohl und 2005 bei Schröder – innerhalb von 21 Tagen das Parlament auflösen und es gäbe Neuwahlen.
Abgesehen davon, dass den Umfragen zufolge eine Neuwahl die Karten nicht völlig neu mischen würde und die Parteien anschließend vor einem ähnlichen Dilemma stehen könnten wie jetzt, ist der Weg dorthin kompliziert und lang. Auch im Blick auf das Vertrauen der Bevölkerung in die Verfassungsorgane könnte er durch Platzhalter-Kandidaten und Wahlen, die niemand gewinnen soll, problematisch sein. Steinmeier hat sein politisches Gewicht für das Zustandekommen einer GroKo in die Waagschale geworfen. Dass er sich auf ein Verfahren, die sogenannte "unechte Kanzlerwahl", einlässt, das er zuvor abgelehnt hatte, könnte letztlich ihn beschädigen. Insofern sind Neuwahlen für das Staatsoberhaupt auch ein Risiko.
Quelle: ntv.de