Politik

Luftschläge in Russland "Ukrainische Gegenangriffe sind legitim"

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Am 1. April steigt Rauch über einem brennenden Öldepot in der russischen Stadt Belgorod auf. Nach Angaben Russlands wurde das Feuer durch einen ukrainischen Luftangriff verursacht.

(Foto: picture alliance/dpa/Russian Defence Ministry)

Brennende Öldepots, feindliche Drohnen, zerstörte Militärgebäude: Der Krieg in der Ukraine scheint mittlerweile auch auf russischem Boden stattzufinden. Militärexperte Carlo Masala hält mögliche Luftschläge der Ukraine auf militärische Einrichtungen in Russland für plausibel und legitim.

Am 1. April schien der Ukraine-Krieg zum ersten Mal auch auf russischem Territorium angekommen zu sein. In der russischen Stadt Belgorod, etwa 40 Kilometer entfernt von der ukrainischen Grenze und 80 Kilometer entfernt von Charkiw, geriet ein Öldepot in Flammen. Russland machte dafür das ukrainische Militär verantwortlich, das aus zwei Hubschraubern heraus Raketen auf das Öllager abgefeuert haben soll.

Bis heute ist aber unklar, ob es sich um einen Angriff der Ukrainer handelt oder ob Russland selbst dahintersteckt. Mit einer sogenannten "False-Flag-Aktion", ein Militärschlag unter "falscher Flagge", hätte Moskau eine Rechtfertigung für noch mehr Angriffe in der Ukraine, lautet die Theorie. Allerdings gibt es auch hierfür keine Beweise.

Mehrere Explosionen in Belgorod

Vier Wochen später kam es zu weiteren Explosionen und Bränden auf russischem Boden: Am 30. April wurde in der Region Kursk eine für Russland strategisch wichtige Eisenbahnbrücke zerstört. Die Stadt ist etwa 90 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Auch hierfür machte Russland die Ukraine verantwortlich. Genauso für ein brennendes Munitionslager in Belgorod drei Tage zuvor und Explosionen in Militärgebäuden, ebenfalls in der Region Belgorod in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai.

Warum die Militäreinrichtung gebrannt hat, ist nicht bekannt. Auf Twitter kursieren Videos, die angeblich ukrainische Drohnen über Belgorod zeigen sollen. Ob die Aufnahmen echt sind, ist aber noch nicht klar. Eine "offizielle" Ursache für die brennenden Gebäude der russischen Militäreinrichtung gibt es also nicht.

Brennende Öllager in Brjansk

Ende April hat es auch mehrere Vorfälle in der russischen Stadt Brjansk gegeben, sie liegt etwa 120 Kilometer nördlich der ukrainischen Grenze und gilt genau wie Belgorod als wichtiger Logistik-Stützpunkt des russischen Militärs. Dort brannte es in zwei Öllagern. Ob die Feuer in einem Zusammenhang zum Krieg in der Ukraine stehen, ist aber ebenfalls unklar.

Nur wenige Tage danach soll laut russischer Darstellung ein ukrainisches Flugzeug versucht haben, in den Luftraum der Region Brjansk einzudringen. Die russische Flugabwehr habe das verhindert, dabei sei aber ein Logistik-Gebäude beschädigt worden, und auch ein Ölterminal sei von Munition getroffen worden, teilte der Gouverneur der Region Brjansk, Alexander Bogomas, mit.

Außerdem hat Russland - ebenfalls Ende April - nach eigenen Angaben eine ukrainische Aufklärungsdrohne über Woronesch abgeschossen. Die Stadt liegt etwa 250 Kilometer nordwestlich der Grenze zur Ukraine. All diese Informationen können nicht unabhängig bestätigt werden.

Steckt Ukraine hinter Angriffen?

Zumindest was das Equipment angeht, könnte die Ukraine aber tatsächlich hinter den Angriffen stecken. Das ukrainische Militär besitzt mehrere Kurzstreckenraketen, mit denen sie theoretisch Waffenlager oder Öldepots in Russland nahe der Grenze angreifen kann.

Für Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität in München ist das ein plausibles Szenario. "Das, was die Ukrainer da auf russischem Territorium veranstalten, ist zunächst einmal alles nur mit Blick auf den Konflikt in der Ukraine selber zu sehen", sagt der Militärexperte im Stern-Podcast "Ukraine - die Lage".

Angriffe auf militärische Anlagen, Raffinerien und sonstige "Unterstützungs-Anlagen" seien für die Ukraine strategisch wichtig, analysiert Masala. "Ich wäre vorsichtig damit, zu sagen, wir werden auch noch erleben, dass Russen in Russland angegriffen werden. Das wäre sicherlich eine neue Dimension, aber das halte ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt für ausgeschlossen."

Angriffe auf "Russen in Russland" würden der Ukraine keinen strategischen Vorteil in der Ukraine bringen, stellt der Militärexperte klar. "Also halte ich das für kein plausibles Szenario."

Türkische Kampfdrohnen im Dauereinsatz

Noch vor dem Krieg hatte die Ukraine von der Türkei zwölf Bayraktar-Kampf- und Aufklärungsdrohnen gekauft, mit etwa 150 Kilometern Reichweite. Noch 20 weitere dieser Drohnen hat die Ukraine dann, wie es aussieht, kurz nach Kriegsbeginn erworben. Die Bayraktar-Drohnen sind im laufenden Krieg auch schon mehrmals eingesetzt worden - teils mehr, teils weniger erfolgreich. Möglicherweise hat die Ukraine auch "Totschkas" eingesetzt, das sind Boden-Boden-Raketen mit einer Reichweite von gut 100 Kilometern.

Gesicherte Informationen gibt es aber auch in diesem Fall nicht. Es gibt keinen Beweis dafür, dass die Ukraine russische Ziele angegriffen hat, in Belgorod, Kursk oder anderswo. Carlo Masala hält Militärschläge der Ukraine auf strategisch wichtige Ziele aber für gerechtfertigt, solange keine Menschen getroffen werden. "Ich halte das für sehr legitim, weil das die einzige Möglichkeit ist, die Versorgung russischer Streitkräfte in der Ukraine zu behindern."

Mysteriöse Feuer in ganz Russland

Die Explosionen und Feuer in der Nähe der Grenze sind aber nicht die einzigen Vorfälle in Russland. Momentan gibt es im ganzen Land etliche mysteriöse Brände. Unter anderem in Rüstungsfirmen und Militäreinrichtungen.

Mitte April brannte es in einem Forschungsinstitut der russischen Raketenstreitkräfte in der Stadt Twer, nördlich von Moskau. Das Gebäude ist komplett zerstört worden. Laut lokaler Medien sind bei dem Feuer 20 Menschen ums Leben gekommen. Nur wenige Stunden später brannte eine Chemiefabrik östlich von Moskau. Und Anfang Mai gab es einen Brand in einer Munitionsfabrik in der Millionenstadt Perm am Ural. Drei Menschen kamen dabei ums Leben.

Diese Städte sind Hunderte oder gar über tausend Kilometer von der Ukraine entfernt. Ukrainische Raketen und Drohnen können sie also nicht erreichen. Kiew kann nicht hinter diesen Vorfällen stecken. Wahrscheinlicher ist Brandstiftung, um Korruption zu verschleiern, das vermutet zumindest der Strategieberater Marcus Ewald. Oder es handelt sich um Sabotageakte von Putin-kritischen Russen, die die russischen Kriegsziele behindern wollen.

"Wieder was gelernt"-Podcast

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.

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Quelle: ntv.de

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